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Mir ist, als wenn dich der Schmerz ein wenig ungerecht machte gegenüber – manchem, was dir geblieben.
Wegrat. Ungerecht –? Nein, ich will es wirklich nicht sein. Ihr nehmt es mir doch nicht übel, Kinder . . .! Nicht wahr, Felix, du verstehst mich ganz gut? Es gibt so vieles, was die jungen Leute von uns fortruft – fortlockt – fortreißt von allem Anbeginn. Wir führen ja doch nur einen Kampf um unsere Kinder von dem Augenblick an, da sie überhaupt da sind – und einen ziemlich aussichtslosen obendrein. Das liegt im Laufe der Welt: Sie können uns ja nie gehören. Und was die andern Menschen anbelangt . . . auch unsere Freunde sind doch nur Gäste in unserem Leben, erheben sich vom Tisch, wenn abgespeist ist, gehen die Treppe hinab und haben – wie wir – ihre eigene Straße und ihr eigenes Geschäft. Das ist ja auch ganz natürlich . . . Was nicht hindert, Julian, daß man sich freut – aufrichtig freut, wenn einer den Weg wieder zu uns findet. Und gar einer, der einem wirklich sein Lebtag sehr wert gewesen. Das kannst du mir glauben, Julian. Händedruck. Und nicht wahr, so lang du in Wien bleibst, seh' ich dich wieder öfters bei mir? Du würdest mir einen rechten Gefallen erweisen.
Julian. Gewiß werd' ich kommen.
Stubenmädchen tritt ein. Der Wagen ist da, Herr Professor. Ab.
Wegrat. Ich komme schon. Zu Julian. Du hast mir viel zu erzählen. Du warst ja so gut wie verschollen. Es interessiert mich natürlich zu wissen, was du alles gemacht hast – und noch mehr, was du vorhast. Felix sprach uns von einigen sehr interessanten Entwürfen, die du ihm gezeigt hast.
Julian. Ich begleite dich, wenn es dir recht ist.
Wegrat. Danke. Aber noch freundlicher wäre es von dir, wenn du gleich bei uns bliebst und mit uns zu Mittag speisen wolltest.
Julian. Nun . . .
Wegrat. Ich bin rasch fertig; ich habe heute nur rein administrative Angelegenheiten zu erledigen – ein paar Unterschriften. In Dreiviertelstunden bin ich zurück. Indes leisten dir die Kinder Gesellschaft, wie so oft in früherer Zeit . . . Kinder! – – Also du bleibst? Auf Wiedersehen. Ab.
Achte Szene
Felix, Julian.
Lange Pause.
Felix. Warum sind Sie nicht mit ihr fortgegangen?
Julian. Deine Mutter ist ohne Schuld; wenn es eine gibt, so trag' ich sie allein. Ich will dir alles erzählen.
Felix nickt.
Julian. Es war damals verabredet, daß wir zusammen fort sollten. Alle Vorbereitungen waren getroffen. Wir wollten im geheimen den Ort verlassen, weil deine Mutter vor Auseinandersetzungen und Erklärungen eine begreifliche Scheu hatte. Unsere Absicht war, von der Reise aus, nach wenigen Tagen, die Sache aufzuklären. Die Stunde unserer gemeinschaftlichen Abreise war schon bestimmt. Der . . . später ihr Gatte wurde, war eben auf einige Tage nach Wien gereist, um Dokumente zu besorgen; in einer Woche sollte die Hochzeit sein. Pause. Unser Plan stand fest. Alles war verabredet. Der Wagen war schon bestellt, der abseits vom Orte warten sollte. Am Abend hatten wir einander Adieu gesagt und waren beide überzeugt, daß wir uns am nächsten Morgen wiedersehen würden, um uns überhaupt nie wieder zu trennen. – Es kam anders. – – Du darfst nicht daran denken, daß es deine Mutter war, du mußt mich anhören, als wäre es die Geschichte von fremden Leuten – dann wirst du alles verstehen.
Felix. Ich höre.
Julian. Im Juni war ich in die Kirchau gekommen, an einem schönen Sommermorgen – mit ihm . . . Du weißt es ja. Ich wollte mich nur wenige Tage aufhalten. Aber ich blieb. Einigemal nahm ich mir vor, zur rechten Zeit wieder abzureisen: Aber ich blieb. Und lächelnd mit schicksalhafter Notwendigkeit glitten wir in Sünde, Glück, Verhängnis, Verrat – und Traum. Ja wahrhaftig, davon hatte es am allermeisten. Und nach diesem letzten Abschied, der nur für eine Nacht gelten sollte; – als ich in das kleine Wirtshaus zurückgekehrt war und alles für die Reise in Ordnung brachte, kam ich eigentlich das erstemal recht zum Bewußtsein der Dinge, die geschehen waren und die bevorstanden. Es war wirklich beinah, wie wenn ich erwachte. Erst jetzt, in der Stille der Nacht, während ich am offenen Fenster stand, wurde es mir klar, daß morgen früh eine Stunde kam, die über meine ganze Zukunft entscheiden sollte. Und da begann es . . . wie leichte Schauer über mich zu fließen. Unten sah ich die Straße hinlaufen, auf der ich gekommen war; die führte ins Land hinaus, stieg die Hügel hinan, die die Aussicht versperrten, und verlor sich ins Weite, ins Unbegrenzte – zu tausend unbekannten, unsichtbaren Straßen, die alle in diesem Augenblick noch zu meiner freien Verfügung standen. Mir war, als läge dort, hinter jenen Hügeln meine Zukunft, schimmernd von Glanz und Abenteuern, und wartete auf mich . . . aber auf mich allein. Das Leben gehörte mir – aber nur dieses eine. Und um es ganz zu nehmen und ganz zu genießen, um es so zu leben, wie es mir bestimmt war, braucht' ich völlige Sorglosigkeit und Freiheit wie bisher. Und ich wunderte mich beinah, daß ich so bereit gewesen war, die Unbekümmertheit meiner Jugend, die Fülle meines Daseins hinzugeben . . . Und wofür? – Für eine Leidenschaft, die in all ihrer Glut und Süßigkeit doch begonnen hatte wie manche andere und bestimmt war zu enden wie alle.
Felix. Bestimmt war zu enden?. . . Enden mußte?
Julian. Ja. Mußte. Im Augenblick, da ich das Ende vorhersah, war es gewissermaßen schon da. Auf etwas warten, das kommen muß, heißt, es tausendmal, heißt – es in Wehrlosigkeit und Überdruß und Zorn erleben. Das wußt' ich tief in dieser Stunde. Und ich hatte Angst davor. Dabei fühlt' ich ganz gut, daß ich im Begriff war, gegen ein Wesen, das sich mir vertrauensvoll hingegeben, rücksichtslos, verräterisch zu handeln. – Aber alles schien mir wünschenswerter – nicht nur für mich, auch für sie – als ein langsames, klägliches, unwürdiges Vergehen. Und alle meine Bedenken gingen unter in der ungeheuern Sehnsucht, mein Leben pflichtenlos, ungebunden weiterzuführen. Viel Zeit zu überlegen hatt' ich nicht. Und ich war froh darüber. Ich war entschlossen. Ich wartete den Morgen nicht ab. Noch eh' die Sterne untergegangen waren, bin ich fort.
Felix. Entflohen . . .
Julian. Nenn' es, wie du magst. – Ja, es war eine Flucht, so gut und so schlecht, so unbedenklich und . . . so feig wie irgend eine . . . mit aller Angst des Verfolgtwerdens, mit aller Glückseligkeit des Entkommenseins. Ich verhehle dir nichts, Felix. Du bist jung, es wäre sogar möglich, daß du es besser begreifst, als ich selbst es heute begreife. Es zog mich nicht zurück, keine Spur von Reue regte sich. Wie ein Rausch durchströmte mich das Gefühl, frei zu sein. – Schon am Ende des ersten Tages war ich weit, – weiter, als auf irgend einem Meilenzeiger zu lesen stand. Schon an diesem ersten Tag begann das Bild der Frau zu verblassen, die zu einer schmerzlichen Enttäuschung, vielleicht zu schlimmerem erwacht war, verklang mir die Erinnerung ihrer Stimme, war sie ein Schatten gleich andern, die weit hinter mir zurück im Vergangenen schwebten.
Felix. Nein, es ist nicht wahr! So rasch war sie nicht vergessen, so reuelos zogen Sie nicht in die Welt. Dies soll eine Art von Buße sein. Sie stellen sich anders dar, als Sie sind.
Julian. Nicht, um mich zu beschuldigen, und nicht, um mich zu verteidigen, sprech' ich zu dir. Ich sage dir einfach die Wahrheit. Du sollst sie hören. Es war deine Mutter, und ich bin es, der sie verlassen hat. Und ich sage dir noch mehr. Gerade an die Zeit, die dieser Flucht gefolgt ist, denk' ich zurück wie an die hellste und reichste, die ich jemals erlebt habe. Niemals, nicht früher und nicht später, hab' ich in einem so herrlichen Bewußtsein von Jugend und Unbeschränktheit geschwelgt, niemals war ich so völlig Herr meiner Gaben, meines Lebens . . . nie ein so glücklicher Mensch als gerade damals.
Felix ruhig. Und wenn sie sich getötet hätte?
Julian. Ich glaube, ich hätte mich dessen für wert gehalten – in dieser Zeit.
Felix. Und vielleicht waren sie es damals wirklich. – Und sie wollte es tun, des bin ich gewiß. Der Lüge und Qual wollte sie ein Ende machen, wie es hunderttausend Mädchen vor ihr getan. Aber Millionen tun es nicht, und es sind die klügern. Und sicher dachte sie auch daran, dem, der sie zur Gattin nahm, die Wahrheit