Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-ClarkeЧитать онлайн книгу.
über rassische Identität und die Leitwerte der weißen Gemeinschaft, gelegentlich ein Interview mit Colin Jordan und Auszüge aus den Schriften Savitri Devis.45 Während sich Tony Williams eher kultiviert und nicht ohne geistigen Anspruch über Geschichte und Philosophie verbreitete, lieferte Steve Sargents Zweimonatsschrift White Dragon (»Weißer Drache«), das sich an Skinheads und Fußballfans wandte, den weißen Rassismus in eher schlichtem agitatorischem Stil.
Landesweite Aufmerksamkeit wurde dem NSM im Frühjahr 1999 zuteil. Im April dieses Jahres detonierten kurz hintereinander drei Nagelbomben in London. Ein paar Wochen später, im Mai, konnte die Polizei den Täter dingfest machen: den arbeitslosen Mechaniker David Copeland. Dieser nun, so stellte sich heraus, war Ende 1998 dem NSM beigetreten. Copeland, geboren 1976, bewohnte jahrelang ein kümmerliches Einzelzimmer in einer Ostlondoner Pension, wo sonst nur Ausländer lebten, was bei ihm das Gefühl der Isolation verstärkt haben muss – und die Neigung zum rassistischen Ressentiment. Bei der extremen Rechten meinte er Gleichgesinnte zu finden. Im Frühjahr 1997 schloss er sich der British National Party an und las nebenher fleißig Christian-Identity-Publikationen im Internet. Schon 1996 hatte er Pläne für eine Serie von Bombenattentaten auf Angehörige ethnischer Minoritäten geschmiedet; die betroffenen Gruppen würden dann, so hoffte er, mit gewalttätigen Gegenschlägen antworten, und der ersehnte Rassenkrieg wäre da. Bald erschien die BNP nicht mehr radikal genug; also ging er zum NSM, das weniger Skrupel in Sachen Gewaltanwendung hatte. Im Februar 1999 ernannte ihn die Bewegung zum Gebietsführer. Copelands erste Nagelbombe explodierte am 19. April im Londoner Stadtteil Brixton, einer Hochburg der Schwarzen, und verletzte neununddreißig Menschen. Am 24. April schlug er in Brick Lane zu, wo vornehmlich Asiaten wohnen: sechs Verletzte. Am 30. April attackierte er auf gleiche Weise ein Homosexuellenlokal in Soho; diesmal blieben drei Tote und fünfundsechzig Versehrte zurück, teilweise grausam verstümmelt. Die Turner Diaries hätten ihn zu seinen Taten inspiriert, sagte Copeland im Verhör; er stellte sich als »einsamen Wolf« hin, der aus eigenem Antrieb gehandelt habe, keinesfalls im Auftrag des NSM.46 Bei Tony Williams aber verursachte der bloße Umstand, dass sein Verbund mit einem Nagelbombenattentäter in Zusammenhang gebracht wurde, helle Panik; und so löste er noch im Mai 1999 das NSM kurzerhand auf. Zwar mag es stimmen, dass Williams’ Trupp Copeland keine Weisung zu den Anschlägen erteilt hatte. Diese waren jedoch nichts anderes als die getreuliche Umsetzung der im rechtsradikalen Schrifttum verbreiteten und wohl in der gesamten einschlägigen Szene viel beredeten Kampfkonzepte des »führerlosen Widerstandes« und der »Phantomzellen«.
Der britische Nazi-Untergrund besteht seit den frühen 60er-Jahren und ist bis heute unvermindert aktiv. Nach wie vor kultiviert er seinen Rassenhass, der sich primär gegen Juden und farbige Ethnien in Englands Großstädten richtet. Nach wie vor versucht er gewaltsame Konflikte zwischen Weißen und Nichtweißen herbeizuführen. Seine Mühen sind nicht ganz ohne Erfolg geblieben. All die lärmenden Protestmärsche, all die hetzerische Rhetorik, all die kriminellen Akte von BM, C 18, NSM und Konsorten – darunter Mord, Körperverletzung und Sachbeschädigung, namentlich Brandstiftung – haben bei der weißen Bevölkerung ein gewisses Quantum an Immigrantenfeindlichkeit oder doch -skepsis geschaffen, die sogar auf die Regierungspolitik abfärbte, und zwar in einem Maße, das in keinem Verhältnis zur Mitgliederzahl der rechtsextremen Verbände steht. Copeland wollte mit seinen Nagelbomben, wir hörten es, den Rassenkrieg provozieren. Diese militante Strategie hat auf englischem Boden ihren Hauptanreger in Colin Jordan, dem Paten des Neonazismus dortzulande. Seit jeher nicht besonders zur Mäßigung neigend und womöglich durch diverse Haftstrafen noch radikalisiert, befürwortete Jordan stets die Bildung revolutionärer Nazi-Zellen, deren Fernziel nichts anderes war als der Umsturz der freiheitlichen Demokratie in einem Moment der Krise. Wie seine amerikanischen Geistesbrüder verband Jordan eine unerschütterliche Liebe zu Hitler und dem Dritten Reich mit einer modernen rassistischen Doktrin, die sich vorwiegend gegen die Anwesenheit farbiger Ethnien innerhalb weißer Nationen wandte. Gleich den amerikanischen Neonazis wollen auch die heutigen britischen Hitlerianer ein globales Zurück zur weißen Dominanz, das mit chiliastischem Eifer zu erzwingen trachten. Sie nehmen die Welt als von heilloser Unordnung gezeichnet wahr, für die sie Liberalismus und Multikulturalismus verantwortlich machen. Dem universalen Chaos, sagen sie, lasse sich nur wehren, wenn allerorten wieder die Arier herrschten.
Anmerkungen
1 Vgl. Angelo del Boca/Mario Giovana: Fascism Today. A World Survey, Heinemann, London 1970, S. 89f.
2 Daten zu Jordans frühen Jahren nach den Angaben auf der vierten Umschlagseite v. Colin Jordan: Merrie England – 2000, Gothic Puppies, Harrogate/U.K. 1993.
3 Colin Jordan: Fraudulent Conversion. The Myth of Moscow’s Change, Britons Publishing Society, London 1955. Wahrscheinlich schrieb Jordan das Buch, um Francis Parker Yockeys Behauptung zu widerlegen, die Sowjetunion stehe nicht (mehr) unter jüdischer Kontrolle; vgl. Kevin Coogan: Dreamer of the Day. Francis Parker Yockey and the Postwar Nazi International, Autonomedia, New York 1999), S. 510f.
4 Arnold Leese: Out of Step. Events in the Two Lives of an Anti-Jewish Camel Doctor [Selbstverlag], Guildford/U.K. 1951, S. 52. Leese war von Beruf Tierarzt. Über Jahre in den britischen Kolonien tätig, spezialisierte er sich auf die Behandlung von Kamelen. In seiner Autobiographie schildert er seinen politischen Lebensweg, berichtet u.a., wie er einst Mitglied der British Union of Fascists wurde, für diese Partei kämpfte, sogar einen Sitz im Stadtparlament von Stamford/Lincolnshire errang, dann aber mit ihr brach und die Imperial Fascist League gründete.
5 Vgl. David Baker: Ideology of Obsession. A. K. Chesterton and British Fascism, I. B. Tauris, London 1996, S. 197.
6 Vorstehende und folgende Informationen über die rechtsextremen Gruppen, zu denen Colin Jordan während der Jahre 1958-62 in Beziehung trat, nach Martin Walker: The National Front, Fontana, London 1977, S. 25-50. Des Weiteren wurde der Lebensbericht eines Polit-Aktivisten herangezogen, der u.a. die Formationen League of Empire Loyalists, National Labour Party, White Defence League sowie die (erste) British National Party »von innen« kennenlernte: John Bean, Many Shades of Black, New Millennium, London 1999, S. 119f, 126-30, 139-153 u. passim.
7 John Beans Bericht über diese Spaltung s. Bean, Shades, S. 147-156.
8 Vgl. John Tyndall: The Eleventh Hour. A Call for British Rebirth, Albion Press, London 1988, S. 7-8, 26-40, 49-56.
9 Colin Jordan: Britain Reborn. The Policy of the National Socialist Movement, National Socialist Movement, London 1962.
10 Näheres zur heimlichen Verbringung Rockwells nach England durch Tyndall und Jordan in William H. Schmaltz: Hate. George Lincoln Rockwell and the American Nazi Party, Brassey’s, Washington 1999, S. 146-148.
11 Zeitungsberichte über das Camp und die verschiedenen Reaktionen (Auswahl): »Home Office Ban Entry of Nazi Delegates«, in The Times, 2. August 1962, S. 10; »Foreign Nazis Banned”, in The Daily Telegraph, 2. August 1962, S. 1; »Secret ’Nazi’ Camp”, in The Daily Telegraph, 6. August 1962, S. 9; »Inquiry on Visit by U.S. Nazi”, in The Times,