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Eine Mutter. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Eine Mutter - Gerstäcker Friedrich


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der Schloßgasse zu Haßburg – denn die alte Stadt, welche in längstvergangenen Zeiten einmal der Sitz eines Erzbischofs gewesen, hatte die verschiedenen Benennungen aus ihrer Glanzperiode noch getreulich aufbewahrt – stand ein nicht sehr großes, aber wunderlich verziertes Gebäude. Es war massiv, aus dunkelgrauem, halbverwittertem Sandstein aufgeführt und mit einer wahren Verschwendung von Steinhauerarbeit bis unter den Giebel hinauf bedeckt.

      Was die zahllosen Gruppen, Bilder und Arabesken daran alle bedeuten sollten, wäre wohl schwer zu entziffern gewesen – möglich, daß selbst die Urheber derselben keine rechte Idee davon gehabt. Deutlich erkennbar war aber noch eine ordentliche Legion von dicken, pausbackigen Engeln mit Posaunen und sonstigen Instrumenten, die jeden nur einigermaßen benutzbaren Raum ausfüllten und den obern Theil des Hauses vollständig bedeckten, während zwei sehr durch die Zeit und Sturm und Wetter mißhandelte Riesen, die zwischen Drachenköpfen und Ungeheuerschwänzen ihren Platz behaupteten, das Portal zu tragen schienen.

      Und bunt und prächtig genug mußte das Haus ausgesehen haben, als es aus der Hand des Künstlers frisch hervorging. Noch jetzt ließen sich nämlich an einigen geschützten und tiefer liegenden Stellen Spuren von früherer Vergoldung und Malerei erkennen, mit denen besonders die Instrumente der Engel geglänzt und geschimmert haben mochten.

      An eine Renovation dieser geschwundenen Pracht hatte freilich Niemand gedacht. Das Haus gerieth in die Hände einer Familie, die seine Lage für eine Wirthschaft passend fand, da es dem Theater schräg gegenüber und auch in der Nähe des Domes wie des Rathhauses stand, und der neue Eigenthümer, mit einer unbestimmten Ahnung, daß die vielen Engel wohl eine Andeutung der künftigen Seligkeit selber sein könnten, nannte seine Wirthschaft drinnen nach den Sinnbildern draußen »Zum Paradies«.

      Der Mann verdiente viel Geld damit, und als er älter und ihm das Geräusch und die eigene Unbequemlichkeit eines solchen Lebens zu groß wurde, ließ er die Wirthschaft eingehen, den obern Stock zu Familienwohnungen einrichten und behielt nur die unteren Räumlichkeiten mit den Kellern für sich, in welchen er eine ganz vortreffliche Weinstube etablirte.

      Der alte Trauvest war von jeher ein ausgezeichneter Weinkenner gewesen und hatte immer etwas auf ein gutes Getränk gehalten. Seine Weinstube bekam deshalb bald einen Namen und die in Haßburg ansässigen »Künstler«, lustiges, luftiges Volk, das solche Plätze immer am besten aufzustöbern weiß, erwählte den Ort zu seiner Künstlerkneipe, wozu ihnen der Wirth, damit sie nicht mit dem gewöhnlichen trocknen Pfahlbürger und Stammgast Einen Tisch zu besetzen brauchten, ein kleines besonderes Käfterchen hübsch einrichten und sogar mit Eichenholz austäfeln ließ. Der und Jener »stiftete« dann auch noch bald einen alten, wunderlich geschnitzten Schrank, bald ein paar antike Sessel, hundertjährige Pocale und Deckelkrüge, alte Waffen und Rüstungen, kurz, was in der Art aufzutreiben war, hinein, so daß sich der kleine, malerisch geschmückte Raum bald in ein ordentliches Raritäten-Cabinet verwandelte.

      Das Haus wurde zuletzt wirklich dadurch berühmt, und kein Fremder besuchte Haßburg, der sich nicht bemüht hätte, auch die Künstlerkneipe im »Paradies«, die das lustige Völkchen dem Namen des Gebäudes gerade entgegen »Die Hölle« taufte, kennen zu lernen.

      Zu den Künstlern: Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich in Haßburg aufhielten, fühlten sich aber auch die Schauspieler hingezogen. Der gute Wein hatte sie schon lange in das »Paradies« geführt, die bessere Gesellschaft lockte sie aus dem »Paradies« in die »Hölle«, und von den Künstlern wurden sie, als einer freien Kunst angehörend, auch mit offenen Armen empfangen.

      Der Schauspieler ist überhaupt der beste Gesellschafter in der Welt und steht ja auch mit allen anderen Künstlern in nächster und innigster Beziehung. Wie der Maler, muß er Charaktere studiren, um sie wahr und treu, nicht auf der Leinwand, sondern im wirklich lebendigen Bild wiederzugeben. Mit dem Dichter muß er fühlen, empfinden und sich begeistern, und alles das in rasch wechselnden Gestalten, Schlag auf Schlag, und Triumph oder Niederlage bringt ihm schon der nächste Augenblick, der nächste Abend.

      Alle anderen Künstler schaffen nicht allein für ihre Zeit, nein, sie haben die Hoffnung, daß auch noch spätere Geschlechter sich ihrer Werke freuen mögen und ihr Name noch genannt wird, wenn sie schon selbst dahingegangen. Nicht so der Schauspieler, der, nur auf den augenblicklichen Erfolg angewiesen, auch nur für diesen wirkt und schafft. Der Beifall des Publikums, das ihn selber hört und sieht, ist seine Belohnung; dieser strebt er nach, und ist ihm die gesichert, dann geht er freudig und vertrauensvoll an's nächste Werk.

      Dieser Erfolg des Augenblickes übt aber auch natürlich auf sein ganzes Leben entschiedenen Einfluß, denn er verwächst mit ihm und theilt sich seinem ganzen Charakter mit; die Vergangenheit existirt nicht für ihn, was anders ist sie auch, als eine abgespielte Komödie – und die Zukunft? Eine neue brillante Rolle kann ihm die rosig genug gestalten, weshalb sich jetzt schon Sorgen darüber machen? Noch läuft sein Contract, das Publikum liebt ihn, oder – hat sich an ihn gewöhnt, und was die sonstigen kleinen Leiden und Ärgernisse betrifft, die nun einmal als Salz und Würze unseres ganzen Lebens dienen müssen, ei, die hat er reichlich in vermutheten Intriguen der Intendanz oder der eigenen Collegen, oder in boshaften Recensionen eines nicht gehörig honorirten Theaterkritikers – was will er mehr?

      Leichtes Blut schwimmt oben, leichtes Blut gehört zu seiner ganzen Existenz, und gerade dieser, in den meisten Fällen liebenswürdige leichte Sinn läßt ihn das Leben an seiner lichten Seite fassen und ihm Alles abgewinnen, was eben daraus zu gewinnen ist.

      Gute und vielbeschäftigte Schauspieler und Schauspielerinnen – während Sänger und Sängerinnen – mit wenigen Ausnahmen – nur ihre Noten studiren und sich verwünscht wenig um Text, Sujet oder Charakter ihrer Rolle kümmern – müssen auch gebildete Menschen sein, und sind es fast stets. Sie haben dabei die Form des Umganges vollständig in ihrer Gewalt, sie müssen verstehen, sich in allen Kreisen des Lebens zu bewegen, und verstehen es, und mit einem gewissen Instinct, der sie alles Steife und Langweilige vermeiden läßt, bringen sie bald Leben in jeden Cirkel, den sie besuchen.

      Es ist mit Einem Wort ein frohes, glückliches Völkchen, und wer in ihrer Mitte nicht warm wird und seinen im gewöhnlichen Leben noch ängstlich gepflegten Zopf auf kurze Zeit vergißt, den kann man ruhig aufgeben. Er ist für die Gesellschaft verloren und paßt nur noch für »Gesellschaften«.

      Es läßt sich denken, daß auch in der »Hölle« ein munterer Ton herrschte, wie denn auch vor Allem hier die Regel galt, nichts, und wäre es der bitterste Scherz gewesen, übel zu nehmen. Schon über der Thür stand auch auf einer großen, schwarzen Tafel mit dicken, goldenen, altdeutschen Buchstaben der etwas ungelenke Vers:

      Wer hier in diese Stuben kombt ein,

      Laß allen Ärger und Hader daheim.

      Und gerade dieses laisser aller der Gesellschaft hatte manche junge Leute aus Kreisen, die sonst nicht gern ein »bürgerliches Wirthshaus« besuchen, veranlaßt, dann und wann hier vorzusprechen und sich ein Stündlein unter den Künstlern, unter denen sie immer einzelne Bekannte fanden, zu amüsiren. Besonders waren einige Artillerie-Officiere, die selber zeichneten und malten, regelmäßige Besucher der »Hölle« geworden und zogen dann wieder Andere nach.

      So hatte sich denn auch am heutigen Abend, während vorn in der Weinstube die steiferen Bürger, Beamten und Professoren saßen, in der »Hölle« ein lustiges Völkchen zusammengefunden, das dem guten Weine des alten Trauvest wacker zusprach. Vom Theater schien aber nur das Schauspiel vertreten, da heute eine Oper gegeben wurde; sonst saß aber eine gemischte Gesellschaft in Uniformen, Sammetröcken und Joppen um den langen Tisch, und das Gespräch hatte sich gerade um einen Wein gedreht, den ihnen Trauvest als Markobrunner vorgesetzt und den ein Hauptmann von Seidlitz für Deidesheimer erklärte, so daß schon eine Wette angeboten und acceptirt war.

      »Wo nur Handor heute bleibt?« rief Höfken, der das Fach der Charakterrollen am Theater bekleidete; »der hat die beste Zunge von uns Allen, und seinem Urtheil füge ich mich.«

      »Topp, angenommen!« rief der Gegenpart.

      »Handor muß etwas auf dem Strich haben,« meinte Berthel, der Heldenvater; »er geht mir schon seit etwa


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