Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.
und ihre dicken Schnäbel, und dann begannen sie zu singen: »Orr, orr, orr«.
Gerade als die Birkhähne anfingen, um die Wette mit den Auerhähnen zu singen, geschah etwas, was noch nie geschehen war. Während alle Tiere ganz in Anspruch genommen waren von dem Spiel der Auerhähne, schlich sich ein Fuchs ganz leise an die Bergkuppen der wilden Gänse heran. Er ging sehr vorsichtig und kam ein Stück des Hügels hinauf, ehe ihn jemand entdeckte. Plötzlich ward jedoch eine Gans seiner ansichtig, und da sie sich nicht denken konnte, daß sich ein Fuchs in guter Absicht zwischen die Gänse schlich, begann sie zu rufen: »Nehmt euch in acht, ihr wilden Gänse! Nehmt euch in acht!« Der Fuchs schnappte nach ihr, vielleicht hauptsächlich damit sie schweigen solle, aber die wilden Gänse hatten den Ruf bereits vernommen und hoben sich alle in die Luft empor. Und als sie davongeflogen waren, sahen die Tiere Reineke Fuchs auf der Bergkuppe der wilden Gänse stehen, die tote Gans im Rachen.
Aber weil Reineke so den Frieden des Spieltages gebrochen hatte, erhielt er eine so harte Strafe, daß er zeitlebens bereute, seiner Rachgier keinen Zwang angetan zu haben, daß er versucht hatte, doch einmal Akka und ihrer Schar Schaden zuzufügen. Er wurde sofort von einer Schar von Füchsen umringt und nach dem alten Gesetz verurteilt, das also lautet: Wer an dem großen Spieltage den Frieden stört, soll zu Landflüchtigkeit verdammt sein. Auch nicht ein Fuchs wollte das Urteil mildern, denn sie wußten alle, daß sie im selben Augenblick, wo sie das versuchten, vom Spielplatz verjagt werden würden und nie mehr ihren Fuß dorthin setzen durften. Also wurde Landesverweisung über Reineke ausgesprochen, ohne daß jemand Einspruch dagegen erhob. Es wurde ihm verboten, sich in Schonen aufzuhalten. Er wurde von Frau und Sippe verbannt, von Jagdgründen und Wohnung, von den Ruhestätten und Schlupfwinkeln, die bisher die seinen gewesen waren, und mußte sein Glück im fremden Lande suchen. Und auf daß alle Füchse in ganz Schonen wußten, daß Reineke dortzulande friedlos war, biß ihm der älteste der Füchse den rechten Ohrzipfel ab. Sobald das geschehen war, fingen alle die jungen Füchse an, vor Blutdurst zu heulen und stürzten sich über Reineke. Es blieb ihm nichts weiter übrig als zu fliehen, und mit allen den jungen Füchsen auf den Fersen eilte er fort vom Kullaberge.
Dies alles trug sich zu, während die Birkhähne und Auerhähne ihren Sängerkampf abhielten. Aber diese Vögel gehen in dem Maße in ihrem Gesang auf, daß sie weder sehen noch hören. Sie hatten sich auch gar nicht stören lassen.
Kaum war der Wettstreit der Waldvögel beendet, als die Kronhirsche vom Häckeberge vortraten, um ihr Kampfspiel zu zeigen. Es waren mehrere Paar Kronhirsche, die gleichzeitig kämpften. Sie stürzten sich mit großer Kraft aufeinander, schlugen die Geweihe dröhnend gegeneinander, so daß sie sich ineinanderflochten, und suchten sich gegenseitig hintenüber zu zwingen. Sie rissen Heidehügel mit ihren Hufen aus, ihr Atem stand wie eine Rauchwolke um sie, aus ihren Kehlen tönte ein fürchterliches Brüllen, und an ihrem Bug floß Schaum herab.
Ringsumher auf den Hügeln herrschte atemlose Stille, während die streitgewohnten Hirsche kämpften. Und bei allen Tieren wurden neue Gefühle wachgerufen. Alle fühlten sie sich mutig und stark, belebt von wiederkehrender Kraft, neugeboren vom Frühling, frisch und aufgelegt zu allerhand Abenteuern. Sie empfanden keinen Zorn gegeneinander, aber doch hoben sich alle Flügel, die Nackenfedern sträubten sich, die Krallen wurden gewetzt. Hätten die Häckeberger noch einen Augenblick weitergestritten, würde auf den Hügeln ein wilder Kampf entstanden sein, denn sie waren alle von einem brennenden Verlangen erfaßt, zu zeigen, daß auch sie voller Leben waren, daß die Ohnmacht des Winters vorbei war, daß ihre Leiber von Kraft glühten.
Aber die Kronhirsche beendeten ihren Kampf im rechten Augenblick, und sofort lief ein Flüstern von einem Hügel zum andern: »Jetzt kommen die Kraniche.«
Und dann kamen die Vögel im grauen Dämmerungsgewande, mit Federbüschen auf den Flügeln und rotem Federschmuck im Nacken. Die großen Vögel mit ihren hohen Beinen, ihren schlanken Hälsen und ihren kleinen Köpfen kamen in mystischer Verzückung die Hügel hinab. Während sie vorwärtsglitten, drehten sie sich herum, halb fliegend, halb tanzend. Die Flügel anmutig erhoben, bewegten sie sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Es lag etwas Seltsames und Fremdes über ihrem Tanz. Es war, als spielten graue Schatten ein Spiel, dem die Augen kaum zu folgen vermochten. Es war, als hätten sie es von den Nebeln gelernt, die über den einsamen Mooren schweben. Es lag Zauberei darin. Alle, die noch nie auf dem Kullaberge gewesen waren, begriffen, warum die ganze Zusammenkunft ihren Namen nach dem Tanz der Kraniche hatte. Es lag Wildheit darüber, aber das Gefühl, das es wachrief, war trotzdem eine sanfte Sehnsucht. Niemand dachte jetzt mehr daran, zu kämpfen. Aber statt dessen empfanden alle, die Beschwingten und die, so da keine Schwingen hatten, ein Sehnen, unendlich hoch emporzusteigen, sich über die Wolken zu erheben, das zu suchen, was dahinter war, den beschwerenden Körper abzuwerfen, der zur Erde niederzog, und zu dem Überirdischen emporzuschweben.
Eine solche Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach dem, was sich hinter dem Leben verbirgt, empfanden die Tiere nur einmal im Jahre, nämlich an dem Tage, wo sie den großen Kranichtanz sahen.
VI. Im Regenwetter
Mittwoch, den 30. März.
Es war der erste Regentag auf der Reise. Während der ganzen Zeit, die sich die wilden Gänse in der Gegend des Bombsees aufgehalten, hatten sie gutes Wetter gehabt, aber an demselben Tage, als sie die Reise gen Norden antraten, fing es an zu regnen, und der Junge mußte mehrere Stunden ganz durchnäßt und zähneklappernd vor Kälte auf dem Ganserücken sitzen. Am Morgen, als sie von dannen zogen, war es still und klar. Die wilden Gänse flogen hoch oben in der Luft, gleichmäßig und ohne Hast, in strenger Ordnung, mit Akka an der Spitze, und die übrigen in zwei schrägen Reihen hinter ihr drein. Sie ließen sich keine Zeit, die Tiere auf dem Felde zu necken, da sie aber nicht imstande waren, sich ganz ruhig zu verhalten, fangen sie die ganze Zeit im Takt mit den Flügelschlägen ihren gewöhnlichen Lockruf: »Wo bist du? Hier bin ich. Wo bist du? Hier bin ich.«
Sie riefen alle gleich eifrig, und sie hielten nur hin und wieder inne, um den weißen Gänserich auf die Wegezeichen aufmerksam zu machen, nach denen sie ihren Kurs nahmen. Auf dieser Reise bestanden die Zeichen aus den kahlen Hügeln des Linderoder Abhanges, dem Schloß Ovesholm, dem Kristianstädter Kirchturm, der Königsburg Backaskog auf der schmalen Landzunge zwischen dem Omannasee und dem Ivösee und aus dem steilen Abhang des Ryßberges.
Es war eine einförmige Reise, und als die Regenwolken sich zusammenzogen, schien es dem Jungen geradezu, als sei dies eine Abwechslung. In alten Zeiten, als er die Regenwolken nur von unten gesehen hatte, fand er, daß sie grau und langweilig waren, aber es war etwas ganz anderes, oben zwischen ihnen zu fein. Jetzt konnte er deutlich sehen, daß die Wolken mächtige Frachtwagen waren, die mit wolkenhohen Fudern am Himmel entlang fuhren: einige von ihnen waren mit großen grauen Säcken beladen, andere mit Tonnen, die so groß waren, daß sie einen ganzen See fassen konnten, und wieder andere mit großen Kübeln und Flaschen, die zu einer gewaltigen Höhe aufgestapelt waren. Und als so viele Wagen dahergefahren waren, daß sie den ganzen Himmelsraum füllten, war es, als gäbe einer ein Zeichen, denn auf einmal fing es an, aus Kübeln, Tonnen, Flaschen und Säcken Wasser auf die Erde hinab zu strömen.
In demselben Augenblick, als die ersten Frühlingsschauer auf die Erde niederschlugen, stimmten alle Vögel in Hainen und Buschwerken ein solches Freudengeschrei an, daß die ganze Luft davon widerhallte, so daß der Junge zusammenzuckte. »Jetzt bekommen wir Regen, der Regen bringt uns den Frühling, der Frühling bringt uns Blumen und grüne Blätter, und Blumen bringen uns Larven und Insekten, Larven und Insekten bringen uns Essen, und gutes Essen ist das beste, was es gibt,« sangen die kleinen Vögel.
Auch die wilden Gänse freuten sich über den Regen, der kam, um die Pflanzen aus ihrem Schlaf zu erwecken und Löcher in die Eisdecke auf den Seen zu schlagen. Sie konnten nicht auf die Dauer so ernsthaft sein wie bisher, sondern ließen lustige Rufe über die Gegend unter ihnen erschallen.
Als sie über die großen Kartoffelfelder flogen, von denen es so viele in der Umgegend von Kristianstad gibt, und