Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.
hätte am Ende der Zeit und der Vergänglichkeit nicht widerstehen können, sondern hätte bald mit Kirchen ohne Dach und Häusern ohne Schmuck und öden, leeren Straßen dagestanden, so wie diese. Dann war es doch besser, daß sie in all ihrer Herrlichkeit unten im Verborgenen bewahrt worden war.
»Es ist gut, daß es kam, wie es kam,« dachte er. »Hätte ich die Macht, die Stadt zu erlösen, ich glaube, ich würde es nicht tun.« Und dann trauerte er nicht mehr darüber.
Und da sind gewiß viele unter den jungen Leuten, die so denken. Aber wenn man alt wird und sich hat gewöhnen müssen, mit wenigem zufrieden zu sein, da freut man sich mehr über das Visby, das da ist, als über ein schönes Vineta auf dem Grunde des Meeres.
XIV. Die Sage von Samlaand
Dienstag, den 12. April.
Die wilden Gänse hatten eine gute Reise übers Meer gehabt und sich in der Tjuster Harde im nördlichen Smaaland niedergelassen. Diese Harde sah so aus, als könne sie sich nicht entschließen, ob sie Land sein wolle oder Meer. Überall drangen die Meerbusen ein und zerschnitten das Land in Inseln und Halbinseln, in Landzungen und Vorgebirge. Das Meer war so aufdringlich, daß das einzige, was sich aufrecht halten konnte, Hügel und Felsklippen waren. Alles niedrige Land war unter der Meeresfläche verborgen.
Es war Abend, als die wilden Gänse von dem Meer hereinkamen, und das hügelige Land lag hübsch zwischen den blinkenden Fjorden. Hier und da auf den Inseln sah der Junge Häuser und Hütten, und je weiter er auf das Land zu kam, um so größer und besser wurden die Häuser. Schließlich wuchsen sie zu großen, weißen Schlössern heran. An der Küste entlang stand in der Regel ein Kranz von Bäumen, dahinter lagen Felder und oben auf dem Gipfel der kleinen Hügel begannen die Bäume von neuem. Er konnte nicht umhin, an Bleking zu denken. Hier war wieder ein Ort, wo sich Land und Meer in einer stillen, schönen Weise begegneten und gleichsam bestrebt waren, einander das Schönste und Beste zu zeigen, was sie besaßen.
Die wilden Gänse ließen sich auf einem kahlen Werder tief drinnen im Gänsefjord nieder. Beim ersten Blick auf die Küste sahen sie, daß der Frühling große Fortschritte gemacht hatte, während sie draußen auf den Inseln waren. Die großen, prächtigen Bäume waren noch nicht belaubt, aber die Erde unter ihnen war bunt von gelben Ranunkeln und blauen und weißen Anemonen.
Als die wilden Gänse den Blumenteppich sahen, erschraken sie und glaubten, sie seien zu lange in dem südlichen Teil des Landes gewesen. Akka sagte sofort, es sei keine Zeit, einen ihrer Ruheplätze in Smaaland aufzusuchen. Schon am nächsten Morgen müßten sie nordwärts über Ostgotland ziehen.
Der Junge würde also nichts von Smaaland zu sehen bekommen, und darüber mußte er sich ärgern. Von keinem der andern Landesteile hatte er soviel reden hören wie von Smaaland, und er hätte es so gern mit eigenen Augen gesehen.
Im letzten Sommer hatte er als Gänsejunge bei einem Bauer in der Nähe von Jordberga gedient und war fast jeden Tag mit ein paar armen Smaaländer Kindern zusammengekommen, die ebenfalls Gänse hüteten. Die Kinder hatten ihn geradezu entsetzlich mit ihrem Smaaland geneckt.
Es wäre nun übrigens unrecht, zu sagen, daß ihn das Gänsemädchen Aase geneckt hätte. Dazu war sie viel zu klug. Wer aber necken konnte, das war ihr Bruder, der kleine Mads.
»Hast du gehört, wie es zuging, als Smaaland und Schonen erschaffen wurden, Gänsejunge Niels?« fragte er zum Beispiel, und als Niels Holgersen nein sagte, begann er sogleich die alte Scherzsage zu erzählen.
»Ja, siehst du, das war damals, als der liebe Gott dabei war, die Welt zu erschaffen. Wie er so recht mitten in der Arbeit war, kam Sankt Petrus vorbei. Der blieb stehen und sah zu, und dann sagte er, ob das ein schweres Stück Arbeit sei. ›Ach ja, so ganz leicht ist es nicht,‹ sagte der liebe Gott. Sankt Petrus blieb noch eine Weile stehen, und als er sah, wie leicht es ging, ein Land nach dem andern fertig zu machen, bekam er auch Lust, es einmal zu probieren. ›Hast du nicht das Bedürfnis, dich ein wenig auszuruhen?‹ sagte Sankt Petrus, ›dann könnte ich ja inzwischen die Arbeit für dich tun.‹ Aber das wollte der liebe Gott nicht. ›Ich weiß nicht, ob du so erfahren in der Kunst bist, daß ich dir anvertrauen kann, da fortzufahren, wo ich aufhalte,‹ erwiderte er. Da war Sankt Petrus beleidigt und sagte: ›Er glaube wohl, daß er ebenso gute Länder erschaffen könne wie der liebe Gott selber.‹
Nun traf es sich so, daß der liebe Gott gerade dabei war, Smaaland zu erschaffen. Es war noch nicht einmal halb fertig, aber es sah so aus, als wenn es ein ganz herrliches und fruchtbares Land werden würde. Dem lieben Gott wurde es schwer, nein zu Sankt Petrus zu sagen, und er dachte im übrigen wohl, daß, was gut begonnen war, von niemand ruiniert werden könne. Deshalb sagte er: ›Wenn du so willst wie ich, dann wollen wir einmal sehen, wer sich am besten auf diese Art Arbeit versteht. Du, der du nur ein Anfänger bist, sollst das fertig machen, was ich begonnen habe, und ich will ein neues Land schaffen.‹ Darauf ging Sankt Petrus sofort ein, und sie begannen ein jeder auf seinem Fleck zu arbeiten.
Der liebe Gott zog ein wenig weiter nach Süden, und dort machte er sich daran, Schonen zu schaffen. Es währte nicht lange, bis er fertig war, und dann fragte er Sankt Petrus, ob er fertig sei und sich seine Arbeit einmal ansehen wolle. ›Ich habe meine längst in Ordnung,‹ sagte Sankt Petrus, und man konnte es seiner Stimme anhören, wie zufrieden er mit dem war, was er ausgerichtet hatte.
Als Sankt Petrus Schonen sah, mußte er zugeben, daß von dem Lande nichts anderes als Gutes zu sagen war. Es war ein fruchtbares Land, leicht zu bestellen, mit großen Ebenen, wohin er sah, und kaum einen Ansatz zu Bergen. Man konnte sehen, der liebe Gott hatte die Absicht gehabt, es so zu machen, daß da gut sein war. ›Ja, das ist wirklich ein gutes Land,‹ sagte Sankt Petrus, ›aber ich glaube doch, daß meins noch besser ist.‹ – ›Laß uns einmal hingehen und es besehen,‹ sagte der liebe Gott.
Als Sankt Petrus mit der Arbeit begann, war das Land nach Norden und Osten schon fertig, aber der südliche und westliche Teil und das ganze Innere des Landes durfte er auf eigene Hand erschaffen. Als nun der liebe Gott da hinaufkam, wo Sankt Petrus gearbeitet hatte, erschrak er so, daß er plötzlich still stand und sagte: ›Was in aller Welt hast du mit diesem Lande gemacht, Sankt Petrus?‹
Sankt Petrus stand auch da und sah sich verwundert um. Er hatte den Gedanken gehabt, daß es nichts gäbe, was so gut für ein Land wäre wie Wärme. Darum hatte er eine unendliche Menge von Steinen und Felsblöcken zusammengesammelt und ein Hochland ausgemauert, und das hatte er getan, damit es bis dicht an die Sonne hinaufkommen und reichlich Sonnenwärme haben sollte. Oben auf die Steinmassen hatte er eine dünne Schicht fruchtbare Erde ausgebreitet, und dann hatte er geglaubt, daß das Ganze klipp und klar sei. Aber während er unten in Schonen war, fielen ein paar heftige Regenschauer, und mehr war nicht nötig, um zu zeigen, wozu seine Arbeit taugte. Als der liebe Gott kam, um das Land in Augenschein zu nehmen, war alle die fruchtbare Erde weggespült, und der kahle Felsboden guckte überall hervor. Wo er am besten war, lagen Lehm und schwerer Kies auf dem Felsen, aber das sah so mager aus, daß jedes Kind begreifen konnte, hier würde kaum etwas anderes wachsen als Tanne und Wacholder und ein wenig Moos und Heidekraut. Wasser allein war reichlich da. Das füllte alle Schluchten in den Felsen, und überall sah man Seen und Flüsse und Bäche, gar nicht zu reden von Mooren und Sümpfen, die sich über große Strecken ausbreiteten. Und das ärgerlichste war, daß, während einige Gegenden Überfluß an Wasser hatten, es an anderen Stellen so kärglich damit bestellt war, daß große Strecken Erde als unfruchtbare Heideflächen dalagen, auf denen Erde und Sand bei dem leisesten Windhauch in die Höhe wirbelten.
›Was hast du dir doch nur dabei gedacht, als du ein solches Land schufst?‹ sagte der liebe Gott, und Sankt Petrus entschuldigte sich und sagte, er habe das Land so hoch aufgebaut, damit es Nutzen von der Sonnenwärme haben sollte. ›Aber dann bekommt es ja auch um so mehr von den Nachtfrösten,‹ sagte der liebe Gott, ›denn die kommen auch vom Himmel. Ich fürchte, daß das bißchen, das hier wachsen kann, erfrieren wird.’‹
Daran