Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.
ihn an. Er hat ein steifes, unbewegliches Gesicht mit einem großen Knebelbart, Spitzbart und Adlernase. Hätte er nicht eine blaue Gärtnerschürze umgehabt und einen schweren Spaten in der Hand gehalten, so würde ihn der Junge für einen allen Soldaten gehalten haben.
Der Gärtner geht mit so langen Schritten in den Garten hinein, daß der Junge laufen muß, um mitzukommen. Sie gehen auf einem schmalen Steig, und der Junge tritt versehentlich in das Gras. Sofort erhält er einen Verweis, das Gras nicht niederzutreten, und dann läuft er hinter seinem Führer her.
Der Junge hat eine Empfindung; als halte sich der Gärtner eigentlich für zu fein, seinen Garten so einem Wechselbalg, wie er es ist, zu zeigen, und er wagt nicht, ihn nach etwas zu fragen, sondern läuft nur hinterdrein. Von Zeit zu Zeit wirft ihm der Gärtner ein Wort zu. Gleich hinter der Mauer befindet sich eine Hecke, und als sie da hindurchgehen, sagt er, die nenne er den Kolmård. »Ja, groß genug ist sie, um dem Namen zu entsprechen,« sagt der Junge. Aber der Gärtner macht sich nicht das geringste daraus, zu hören, was er sagt.
Dann kommen sie aus dem Buschwerk heraus, und der Junge kann ein großes Stück des Gartens übersehen. Er entdeckt gleich, daß er nicht gerade groß ist, nicht viel mehr als ein paar Tonnen Land. Die hohe Mauer beschützt ihn nach Süden und Westen zu, nach Norden und Osten aber ist er von Wasser umgeben, so daß keine Umfriedigung nötig ist.
Der Gärtner steht still, um eine Ranke aufzubinden, und währenddessen hat der Junge Zeit, sich umzusehen. Er hat nicht viele Gärten in seinem Leben gesehen, aber ein Gefühl sagt ihm, daß dieser verschieden von allen anderen ist. Er muß auf irgendeine altmodische Weise angelegt sein, denn eine solche wimmelnde Masse von kleinen Hügeln und kleinen Blumenbeeten und kleinen Hecken und kleinen Rasenflächen und kleinen Lusthäusern sieht man heutzutage nirgends. Und auch nicht so ein Gewimmel von kleinen Teichen und gewundenen Kanälen, wie man sie hier auf allen Seiten erblickt.
Überall stehen die prächtigsten Bäume und die lieblichsten Blumen, und das Wasser in den kleinen Kanälen ist dunkelgrün und klar, so daß sich alles darin spiegelt. Und der Junge findet, daß das Ganze wie ein Paradies ist. Er schlägt die Hände zusammen und ruft aus: »Nie im Leben hab’ ich etwas so Hübsches gesehen! Was für ein Garten ist dies doch nur?«
Das ruft er ganz laut, und der Gärtner wendet sich sofort nach ihm um und sagt mit seiner barschen Stimme: »Dieser Garten heißt Sörmland. Wer bist denn du, daß du das nicht einmal weißt? Er hat immer für einen der besten Gärten im Lande gegolten.«
Dem Jungen wird ja ein wenig sonderlich zumute bei der Antwort, aber er hat so viel damit zu tun, sich gründlich umzusehen, daß er gar keine Zeit hat, darüber nachzudenken, was das bedeutet. So schön es ist mit allen den vielen Blumen und den Bächen, die sich dazwischen hindurchschlängeln, so ist da doch noch etwas Ergötzlicheres, nämlich alle die kleinen Lusthäuser und Puppenhäuser, mit denen der Garten angefüllt ist. Sie liegen überall, am meisten aber am Ufer der kleinen Teiche und Kanäle. Es sind keine richtigen Häuser. Sie sind so klein, als seien sie für Leute gebaut, die nicht größer sind als er, aber sie sind alle außerordentlich fein und niedlich. Da sind alle möglichen Arten: einige sehen aus wie Schlösser mit Türmen und Flügeln, andere wie Kirchen, und wieder andere wie Mühlen oder Bauerhäuser.
Sie sind so allerliebst, daß der Junge am liebsten stehen geblieben wäre, um sich jedes einzelne genauer anzusehen, aber er wagt nichts weiter zu tun, als dem Gärtner auf den Fersen zu folgen. Bald aber kommen sie an ein Gutshaus, das größer und schöner ist als irgend eins der anderen, an denen sie vorbeigekommen sind. Es ist dreistöckig mit einem Portal und vorspringenden Flügeln. Es liegt auf einem Hügel mitten zwischen Blumenanlagen, und der Weg dahin führt über einen Kanal nach dem anderen auf kleinen, zierlichen Brücken.
Der Junge wagt nicht vom Wege abzuweichen, aber als er an diesem allen vorübergehen muß, seufzt er so tief, daß der strenge Mann es hört und stehen bleibt. »Dies Haus da nenne ich Eriksberg,« sagt er. »Willst du da hinein, so magst du es meinetwegen gern tun, hüte dich aber vor der Pintorpa-Frau!«
Das läßt sich Niels nicht zweimal sagen. Er läuft die Allee hinab, über die kleinen Brücken, durch den Blumengarten hinauf und in das Tor hinein. Das Ganze scheint für so einen wie er zugeschnitten zu sein. Die Treppenstufen haben die passende Höhe, und er kann jedes Schloß erreichen. Nie hätte er sich aber träumen lassen, daß er so viel Schönes zu sehen bekäme. Die Fußböden sind aus Eichenholz und schimmern, gebohnert und blank. Die Decken sind gegipst und voll von gemalten Bildern. An den Wänden hängt ein Gemälde neben dem anderen. Die Möbel sind mit Seide überzogen, und das Holzwerk daran ist vergoldet. Er sieht Zimmer, dessen Wände ganz mit Büchern bedeckt sind, und er sieht Zimmer, in denen Tische und Schränke mit Kostbarkeiten angefüllt sind.
Wie sehr er sich auch beeilt, hat er doch noch nicht die Hälfte des Hauses besehen, als der Gärtner ihn ruft, und als er wieder hinauskommt, steht der Alte da und kaut vor Ungeduld auf seinem Knebelbart.
»Nun, wie ging es?« fragt der Gärtner. »Hast du die Pintorpa-Frau gesehen?«
Aber der Junge hat kein lebendes Wesen gesehen, und als er das sagt, verzerrt sich das Gesicht des Gärtners. »Hat die Pintorpa-Frau Ruhe gefunden und ich nicht?« sagt er, und der Junge hat nie eine Vorstellung davon gehabt, daß so viel Verzweiflung in einer Menschenstimme beben kann.
Dann geht der Gärtner wieder mit langen Schritten voran, und der Junge läuft hinterdrein und bemüht sich, soviel wie möglich von allen den merkwürdigen Dingen zu sehen. Sie gehen um einen Teich herum, der ein wenig größer ist als die anderen. Lange, weiße Pavillons, die Herrenhäusern gleichen, gucken überall aus dem Buschwerk und die Blumengruppen hervor. Der Gärtner bleibt nicht stehen, sondern wirft dem Jungen in der Eile von Zeit zu Zeit ein Wort hin. »Den Teich nenne ich Yngaran. Hier siehst du Danbyholm. Hier ist Hagbyberga. Hier ist Hovsta. Hier ist Återö.«
Bald darauf gelangt der Gärtner mit ein paar mächtigen Schritten an einen neuen, kleinen Teich, den er Båven rennt, da aber hört er den Jungen einen Schrei der Verwunderung ausstoßen, und nun bleibt er stehen. Der Junge steht vor einer kleinen Brücke, die zu einem Schloß führt, das in dem Teich liegt.
»Wenn du Lust hast, kannst du gern nach Vibyholm hinüberlaufen und dich dort umsehen,« sagt er. »Nimm dich aber vor der Weißen Dame in acht!«
Und der Knabe ist auf und davon, ehe der Gärtner noch ausgeredet hat. Dadrinnen sind so viele Porträts an den Wänden, daß es ihm scheint wie ein Bilderbuch. Es ist hier so ergötzlich, daß er gern die ganze Nacht dageblieben wäre, aber es währt nicht lange, da hört er den Gärtner rufen. »Komm jetzt! Komm jetzt!« ruft er. »Meinst du, ich hätte nichts weiter zu tun, als hier zu stehen und auf so einen Knirps wie dich zu warten!«
Als der Junge über die Brücke gelaufen kommt, ruft er ihm entgegen: »Nun, wie ist es dir ergangen? Hast du etwas von der weißen Dame gesehen?«
Der Junge hat kein lebendes Wesen gesehen, und das sagt er. Da haut der Alte den Spaten so gewaltsam gegen einen Stein, daß der Spaten zerspringt, und mit einer Stimme, die tief unten aus der fürchterlichsten Verzweiflung kommt, sagt er: »Hat die weiße Dame auf Vibyholm Ruhe gefunden und ich nicht?«
Bisher haben sie sich an den südlichen Teil des Gartens gehalten, aber nun geht der Gärtner nach dem westlichen Teil hinüber. Der ist anders angelegt. Da sind große, ebene Rasenflächen, die mit Erdbeerbeeten, Kohlgärten und Fruchtbüschen abwechseln. Hier sind auch viele von den kleinen Lusthäusern, aber die meisten sind rot angestrichen; sie gleichen Bauernhöfen und sind von Hopfengärten und Kirschenbäumen umgeben.
Hier bleibt der Gärtner nicht stehen, um den Jungen irgendwo hineinzulassen. Er sagt nur flüchtig: »Diese Gegend nenne ich Vingåker.«
Gleich darauf steht er vor einem kleinen Gebäude still, das viel einfacher ist als alle die anderen und am meisten Ähnlichkeit mit einer Schmiede hat. »Das ist eine große Werkstatt,« sagt er. »Die nenne ich Eskilstuna. Wenn du Lust hast, kannst du gerne hineingehen und dich da umsehen.«
Der Junge geht hinein und sieht eine unglaubliche Menge Räder, die sich rund herum drehen, Hämmer, die schmieden, und Drehscheiben, die