Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. HoffmannЧитать онлайн книгу.
mit voller Gewalt andrängend, aufsprengte, hinaus auf den Flur. Indem ich ihn zerfleischte, daß er blutbedeckt dalag, raste er vor Schmerz, und die fürchterlichen hohlen Töne, die er ausstieß, weckten das ganze Haus. Bald wurde es lebendig – Bediente – Mägde rannten die Treppe herab mit Ofengabeln – Schaufeln – Prügeln bewaffnet, aber mit stummem starren Entsetzen betrachteten sie die Szene, keiner wagte sich mir näher, denn sie hielten mich für toll und fürchteten meinen verderblichen Biß. Unterdessen stöhnte und ächzte halb ohnmächtig Georg unter meinen Bissen und Tritten, ich konnte nicht von ihm ablassen. Da flogen Prügel, Geschirre nach mir, krachend zersplitterten die Fenster, – Gläser, Teller, noch vom gestrigen Schmause stehen geblieben, stürzten zertrümmert von den Tischen, aber mich traf kein wohlgezielter Wurf. Der lange verhaltene Grimm machte mich mordsüchtig; ich war im Begriff, meinen Feind bei der Kehle zu packen und ihm das Garaus zu machen, da sprang einer mit einem Gewehr aus dem Zimmer, das er sogleich auf mich abdrückte, die Kugel sauste mir dicht bei den Ohren vorbei. Ich ließ den Feind ohnmächtig liegen und setzte die Treppe hinab. Wie das wütende Heer kam mir nun der dicke Haufe nachgetrappelt. – Meine Flucht gab ihnen Mut. – Aufs neue flogen Besen – Prügel – Ziegelsteine mir nach, von denen mich einige hart genug trafen. Nun war es Zeit, sich aus dem Staube zu machen; ich stürzte mich auf die Hintertür, sie war zum Glück nur angelehnt, und im Augenblick befand ich mich in dem weitläufigen Garten. Schon tobte mir der Haufe nach – der Schuß hatte die Nachbarn geweckt – »ein toller Hund, ein toller Hund!« erscholl es überall; nach mir geworfene Steine sausten durch die Luft, da gelang es mir nach drei vergeblichen Sprüngen endlich, über die Mauer zu setzen, und nun rannte ich unaufhaltsam fort durch das Feld und gönnte mir kaum einen Augenblick Ruhe, bis ich glücklich hier anlangte, wo ich auf eine seltsame Weise mein Unterkommen bei dem Theater fand.
Ich. Wie, Berganza! – Du bei dem Theater?
Berganza. Du weißt ja, daß das eine alte Neigung von mir ist.
Ich. Ja! ich erinnere mich, daß du schon deine Heldentaten auf dem Theater deinem Freunde Szipio erzähltest; also setzest du diese jetzt von neuem fort?
Berganza. Mit nichten; ich bin jetzt, so wie unsere Theaterhelden, ganz zahm, in gewisser Art konversationsmäßig geworden. Statt daß ich sonst als des Ritters wackre Dogge den Feind zu Boden warf oder den Drachen in den Wampen packte, tanze ich jetzt nach Taminos Flöte und erschrecke den Papageno. Ach, mein Freund, es kostet einem ehrlichen Hunde viel Mühe, sich so durch die Welt zu hantieren. Aber sage mir, wie hat dir die Geschichte der Hochzeitnacht gefallen?
Ich. Aufrichtig gesagt, lieber Berganza, scheinst du mir die Sache zu schwarz gesehen zu haben. Cäcilia mochte von der Natur auf die seltenste Weise zur Künstlerin ausgestattet gewesen sein, ich geb' es zu –
Berganza. Zur Künstlerin ausgestattet? – Ha, Freund! Hättest du nur drei Töne von ihr gehört, du würdest sagen, die Natur habe den geheimnisvollsten Zauber des heiligen Tons, der die Wesen entzückt, in ihr Innres gelegt! – O Johannes, Johannes! das waren ja oft deine Worte. Doch weiter mit deinem Einwurf, mein poetischer Freund!
Ich. Nicht empfindlich, Berganza. – Ich meine ferner, es sei möglich, daß der Georg eigentlich eine Bestie war (verzeih mir den Ausdruck!). Konnte nun aber Cäciliens Gemüt die Bestie nicht entbestialisieren, und er wie mancher junge Lüstling nicht ein ganz ordentlicher ehrenfester Ehemann, sie aber eine biedere Hausfrau werden? und dann wäre doch immer ein sehr guter Zweck erreicht.
Berganza. O ja, indessen höre recht aufmerksam an, was ich dir jetzt sagen werde. – Es besitzt jemand ein Stück Land, das die Natur mit ganz besonderem Wohlgefallen im Schoße der Erde mit allerlei wunderbaren farbigen Schichten und metallischen Ölen, vom Himmel herab aber mit duftigen Dünsten und feurigen Strahlen nährte, daß die schönsten Blumen ihre bunten glänzenden Häupter über das gesegnete Land erheben, und ihre mannigfaltigen Wohlgerüche, wie in einem jubelnden Choral zum Himmel aufatmend, die gütige Natur preisen. Nun will er das herrliche Stückchen Erde verkaufen, und es fänden sich auch wohl viele, die die holden Blumen lieben, hegen und pflegen würden; aber er selbst denkt: »Blumen sind nur zum Putz, und ihr Duft ist eitel,« und schlägt das Land an einen los, der die Blumen ausrupft und dafür tüchtiges Gemüse, Kartoffeln und Rüben anpflanzte, das nun zwar nützlich ist, weil man satt davon werden kann, aber die holden duftenden Blumen sind untergegangen auf immer. – Was würdest du zu diesem Besitzer, zu diesem Gemüsegärtner sagen?
Ich. O daß der Teufel den verfluchten Gemüsegärtner tausendmal mit seinen Krallen zerrisse!
Berganza. Recht so, mein Freund! Nun sind wir einig, und so ist mein Grimm in der verrufenen Hochzeitsnacht, die mir ewig unvergeßlich bleiben wird, hinlänglich entschuldigt!
Ich. Höre, lieber Berganza! Du hast da erst eine Materie berührt, die mich nur zu sehr interessiert, – das Theater! –
Berganza. Vom Theater überhaupt nur zu reden, ekelt mich über alle Maßen an: es ist eine der abgedroschensten Materien seit der Zeit, daß Theaternachrichten in allen nur möglichen Zeitschriften stehende Artikel geworden sind, und jeder, der auch mit dem ungeübtesten Blick, ohne alle Vorkenntnisse hineinguckt, sich berufen fühlt, darüber hin und her zu schwatzen.
Ich. Aber da du selbst soviel poetischen Sinn zeigst, ja selbst des poetischen Ausdrucks mächtig bist, so daß, da du deine Pfote schwerlich jemals wirst zum Schreiben brauchen können, ich immer deinen Schreiber machen und jedes deiner Worte aufschreiben möchte, so oft dir der Himmel zu sprechen vergönnt; sage mir, ist wohl die Absicht unserer neuen Dichter, das Theater wieder aus dem Schlamme zu ziehen, in den es bisher versunken, zu verkennen? – Wieviel herrliche Bühnenwerke sind in der neuesten Zeit entstanden, und –
Berganza. Halt, lieber Freund! dies Bestreben, endlich einmal die Bühne auf den ihr gebührenden hohen poetischen Standpunkt zu erheben und sie aus dem Schlamme der Gemeinheit zu retten, verdient die rege Teilnahme und das aufmunternde Lob aller wahrhaft poetisch Gesinnten; allein außerdem, daß sich noch eine ganze Masse Menschen, die den Pöbel auf ihrer Seite hat oder vielmehr selbst der Pöbel ist, einerlei, ob er aus der Loge oder von der Galerie ins Theater schaut, jenem Bestreben entgegensetzt, so scheint auch die Verworfenheit und die Imbezillität unserer Schauspieler und Schauspielerinnen immer mehr zuzunehmen, so daß es bald unmöglich sein wird, ihnen irgendein Meisterwerk in die Hände zu geben, ohne es von ihren groben Fäusten zerrissen und zerfetzt zu sehen.
Ich. Dein Urteil über unsere Bühnenhelden finde ich hart.
Berganza. Aber wahr! – Um das Volk recht von innen kennen zu lernen, muß man so wie ich eine Zeitlang unter ihnen gelebt und oftmals in der Garderobe den stillen Beobachter gemacht haben. – Es ist wohl etwas Herrliches, irgendeinen großen Charakter der alten oder neuern Zeit, den der Dichter mit Kraft und Wahrheit geschildert, und dem er Worte in den Mund gelegt hat, die dem erhabenen Sinne geziemen, nun darstellend so in das Leben zu rufen, daß es dem Zuschauer vergönnt scheint, den Helden in seiner schönsten Zeit handeln zu sehen und die höchste Glorie, zu der er sich aufgeschwungen, anzustaunen oder seinen Untergang zu betrauern. Man sollte glauben, die ganze Phantasie des Schauspielers müßte erfüllt sein von dem darzustellenden Charakter, ja, er müßte selbst der Held geworden sein, der so und nicht anders sprechen und handeln kann, und der bewußtlos Erstaunen, Bewunderung, Entzücken, Furcht und Entsetzen erregt. – Nun höre man aber den Helden hinter den Kulissen, wie er auf die Rolle schimpft, wenn die Hände sich nicht rührten, wie er sich in der Garderobe in gemeinen Späßen erlabt, wenn er endlich »den Drang des Hohen abgeschüttelt« – ja, wie er sich darauf etwas zugute tut, die Rolle, je poetischer sie ist und je weniger sie daher von ihm verstanden wird, desto geringer und verächtlicher zu behandeln, und, als in der Einbildung höher stehend, die sogenannten Kenner zu bespötteln, denen solch unverständiges tolles Zeug eine kindische Freude machen kann. – Mit den Damen hat es ganz die gleiche Bewandtnis, nur ist es noch schwieriger, sie zu irgendeiner exotischen Rolle zu bewegen, da sie einen nach ihrem Geschmack vorteilhaften Anzug und wenigstens einen, nach ihrem Ausdruck, brillanten Abgang als unerläßliche Bedingnisse voraussetzen.
Ich. Berganza, Berganza,