Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.
zur Karriere verpflichtet.
»Warum heiraten Sie nicht?« fragte Benjamin Lenz. »Heiraten Sie«, drängte er.
Es war Zeit, Abschied von der Reichswehr zu nehmen. Wenn es nach denen in München gehen sollte, konnte man sein Leben lang bei der Reichswehr bleiben und Stabsoffizier werden. Trebitschs Stelle war schon besetzt. Man mußte sich umsehen. Was kam aus der Volkstümlichkeit des Tages? Ach! Es war ein kurzer Ruhm! Morgen ereignet sich Neues, und die Zeitungen sind undankbar. Man vergißt. Man macht vergessen.
Benjamin Lenz will an der Quelle sitzen, er braucht nicht beliebige Freunde, er braucht Männer in hohen Ämtern. Benjamin hat keinen Bedarf an kleinen Leutnants. Er will Berichte aus erster Hand; Einblick in einen wichtigen staatlichen Betrieb.
Theodor müßte heiraten. Dieser simple Theodor wird unter den Händen einer ehrgeizigen Dame höchste Ämter bekleiden. »Nützen Sie die Konjunktur aus!« sagte Benjamin.
Freilich konnte er nicht mehr Soldat sein. Wie war er gewachsen. Vor einem Jahr noch hätte er sein Leben als Offizier beschließen mögen.
Was war alles vor einem Jahr noch!
Armselige Zeit, Schinkensemmeln und Kaffee mit Haut bei Efrussi, Hülsenfrüchte einmal in der Woche und die »Weisen von Zion«. Anders, als es in dem Buche stand, waren die Zionweisen. Sie strebten nicht die Macht in Europa an. Sie hatten Verstand. Sie hatten Geld. Am größten war die Macht des Geldes. Aber es ließ sich nicht erobern. Längst wuchs Theodors Kapital nicht mehr, Benjamin Lenz sagte: »Verkaufen Sie! Wer an der Börse nicht heimisch ist, den bestiehlt sie. Wie die Zigeuner macht sie es.
Benjamin sah es gern, wenn Theodor kein überflüssiges Geld hatte. Benjamin leiht seinen Freunden willig und bar. Er ist ein nobler Mensch, Benjamin Lenz. Er ist glücklich, wenn er Theodor helfen kann.
München hätte gern Theodor bei der Reichswehr gelassen. Aber er war heute nicht mehr abhängig wie einst. Er meldete sich krank. Er war ein Neurastheniker. Neurasthenie ist nicht nachweisbar, sagte Benjamin Lenz.
Theodor schied aus der Reichswehr. Eine intime Feier veranstaltete das Kasino. Er meldete seinen Austritt in München und bat um neue Aufträge.
Es war ihm, als hätte er letzte Hindernisse aus dem Wege geräumt.
XXIV
Eine Woche später verlobte er sich mit Fräulein v. Schlieffen. Geld für Geschenke, Blumen, eine Feier streckte Benjamin vor.
Unerschöpflich schienen Benjamins Gelder.
Fräulein v. Schlieffen tanzte nicht mehr. Auch ritt sie nicht mehr. Sie verlor plötzlich alle sportlichen Leidenschaften.
Sie saß zu Hause und stickte Monogramme auf Hemden, Unterhosen, Taschentücher.
Jeden Abend kam Theodor nach Potsdam.
Der erste Schnee fiel. Feuer brannte im Kamin.
Einmal brachte Theodor seine Schwestern mit.
Sie saßen stumm und knicksten vor der Tante und gingen.
Sie waren betäubt von dem Klang des Namens: Schlieffen.
Theodors Mutter traute sich nicht einmal, nach der Braut zu fragen.
Längst war Theodor nicht mehr im Hause der geringschätzig Geduldete. Wie gut hatte es Gott gewollt, daß er Theodor am Leben gelassen hatte.
Wenn der selige Vater noch lebte! dachte die Mutter. Sie stickte auch Monogramme. Sie trieb mit einer roten Seide gereimte Sprüche in verschiedene Gegenstände.
Der große Hilper hatte jetzt das Ministerium für Inneres. Er kannte ja Theodor. Ob er ihn kannte.
Der Pressechef war jener kleine Redakteur des »Nationalen Beobachters«.
Allen gefiel Theodor. Er war ein gefälliger Mensch und bescheiden trotz allen Verdiensten. Auch besaß er Kenntnisse. Er schien mit der Presse gut zu leben. Und er hatte gesellschaftliche Beziehungen.
Keine Sünde war von ihm bekannt worden. Niemals hatten ihn Gerichte gesucht. Er besaß ein tadelloses Vorleben. Er war sogar Jurist.
Weshalb sollte Theodor nicht in ein Amt kommen?
Hilper beschloß, Theodor Lohse in ein Amt zu bringen. Er versprach es auch.
Jetzt ging Theodor durch die Ämter, Geheimräte schüttelten seine Hand, sie wußten noch nicht, wozu er ausersehen war; aber daß er ausersehen war, wußten sie.
Der Journalist Pisk brachte einmal seinen Freund Tannen mit. Der Name Tannen war ein Pseudonym. Aber Tannen selbst ein gesprächiger Mensch, ein lächelnder Mensch, er lächelte ein Berufslächeln wie Jongleure, wenn sie sich verneigen.
Kleine Notizen brachte Tannen in die Zeitungen. Er berichtete, daß beim Staatssekretariat für öffentliche Sicherheit eine neue Stelle geschaffen würde: eine Art Relaisposten zwischen dem Ministerium des Innern und dem Staatssekretariat und der Polizei.
Der Journalist Pisk ging zum Minister und erkundigte sich.
»Ich habe noch nichts davon gehört!« sagte Hilper.
Denn Hilper war ein einfacher Mann, ein westfälischer Oberlehrer und kein Diplomat.
»Aber es wäre doch eine glänzende Idee«, sagte Pisk.
Und dann erzählte Pisk, daß der Professor Bruhns von der Sternwarte seinen sechzigsten Geburtstag feierte.
Der Minister war ein klassischer Philologe und verstand nichts von Astronomie.
»Hat er Verdienste?« fragte der Minister.
»Und ob!… Er ist einer der besten Meteorologen«, sagte Pisk. »Er hat ein zweibändiges Werk über Saturn geschrieben.«
»So!« sagte der Minister. »Es ist gut, daß Sie mir das sagen. Soll ich schriftlich gratulieren? Oder einen Vertreter schicken?«
»Einen Vertreter, Exzellenz«, sagte Pisk.
Ihn ging der Professor gar nichts an, aber er mußte Brücken finden, Brücken zum Thema: Lohse.
»Wissen schon«, sagte Pisk – er vermied direkte Ansprachen –, »daß Lohse heiratet?«
»Ah!…« sagte der Minister. »Wen?«
»Eine v. Schlieffen!…«
»Schlieffen?! Guter Name!«
»Große Karriere eigentlich!« sagte Pisk.
»Reich?«
»Sie soll reich sein!«
»Donnerwetter!« sagte der Minister, der ein armes Mädchen geheiratet hatte, als er noch Professor gewesen.
»Gescheiter Junge!« sagte Pisk.
»Und bescheiden!« fügte der Minister hinzu.
Und dann sprachen sie noch von Professor Bruhns.
Und Pisk schrieb:
»Die Nachricht von der neuen Stelle beim Staatssekretär für öffentliche Sicherheit wird von zuständiger Seite bestätigt. Als kommender Mann ist ein in den letzten Wochen oft genannter ehemaliger Offizier in Aussicht genommen.«
Im Jänner war die Hochzeit.
XXV
Zum erstenmal ging Benjamin Lenz zu einer Trauung. Er ging nicht, er glitt im Auto vor das Portal der Kirche, er trug zum erstenmal Zylinder und Frack, und später saß er an einem Tisch mit Offizieren und alten Damen und trank Wein, den er selbst gekauft