Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.
eine dumme Angst hatte ihn damals noch beherrscht, und die Schuld daran schob er den Juden zu. Wie überhaupt die Juden seine langjährige Erfolglosigkeit verursacht hatten und ihn an der schnellen Eroberung der Welt hinderten. In der Schule war es der Vorzugsschüler Glaser, andere Juden – er wußte sie nicht zu nennen – kamen später. Sie waren, wie alle Welt wußte, furchtbar, weil sie Macht besaßen. Aber auch häßlich und abscheulich, überall, wo sie auftauchten, in der Bahn, auf der Straße, im Theater. Und Theodor zupfte, wenn er einen Juden sah, auffällig an seiner Krawatte, um den anderen auf das drohende Zeichen des Hakenkreuzes aufmerksam zu machen. Die Juden erbebten nicht, ihre Frechheit erweisend. Sie sahen gleichgültig auf Theodor, manchmal höhnten sie ihn sogar, und er wurde beschimpft, wenn er Rechenschaft forderte.
Er war gereizt, und es geschah, daß er des Nachts in stillen Straßen Passanten schmähte und, wenn ihm Gefahr drohte, in einer Nebenstraße verschwand. Von solchen Abenteuern erzählte er gelegentlich dem Detektiv Klitsche, dem Doktor Trebitsch und wurde von ihnen, nicht wie er erwartet hatte, belobt, sondern ermahnt, Disziplin zu üben. Denn Leute, die einer Organisation angehörten, müßten Aufsehen vermeiden.
Von nun an schwieg er, aber der Haß fraß in ihm und machte sich frei in Artikeln für den »Nationalen Beobachter«. Die Aufsätze wurden immer gewalttätiger, bis das Blatt für einen Monat verboten wurde, und ausdrücklich wegen der Artikel Theodor Lohses. Zu diesem Erfolg gratulierten ihm einige junge Leser schriftlich. Auch Frauen schrieben ihm. Theodor antwortete. Man besuchte ihn. Gymnasiasten, Mitglieder des Bismarck-Bundes luden ihn ein, sahen zu ihm auf, Mittelpunkt war er und stillschweigend gewähltes Haupt, Vorträge hielt er und stand, umbrandet vom Beifall seiner Verehrer, auf dem Podium. Er gründete einen nationalen Jugendbund, zog an Sonntagen mit seinen Jungen hinaus in die Wälder und lehrte sie exerzieren.
Indessen fehlte es ihm an Geld. Weit und breit war keine Aussicht mehr, neues zu verdienen, es waren ruhige Zeiten. Im Büro des Detektivs Klitsche ließen sich keine Spitzel mehr blicken. Klitsche war allerdings nicht auf sie angewiesen, er bekam Gehalt, er stand in steter Verbindung mit München. Theodor hätte gern eine ähnliche Stelle bekleidet, er liebte Klitsche nicht. Klitsche war ein Hindernis. Dieser Klitsche war Wachtmeister gewesen, Theodor war immerhin Leutnant und akademischer Bürger. Er ließ manchmal bei Trebitsch seine Unzufriedenheit merken. Einmal sagte Trebitsch im Spaß: »Vielleicht stirbt Klitsche.«
Seit jenem Tag dachte Theodor an Klitsches Tod. Aber Klitsche war gesund, jede Zusammenkunft bewies es, jeder Händedruck, jedes mächtige Gelächter. Es war keine Hoffnung, daß Klitsche jemals nach München abberufen wurde. Und daß man ihm eine Verfehlung nachweisen könnte.
Manchmal träumte Theodor von einem Verrat Klitsches. Wie? War es ganz unmöglich? Verkehrte Klitsche nicht mit kommunistischen Spitzeln? Wer beaufsichtigte ihn? Wer kannte ihn eigentlich genau? Mußte es nicht einem aufmerksamen Beobachter gelingen, den Detektiv zu fangen?
Vorläufig war es unmöglich, und Theodor brauchte Geld. Ein Versuch, bei Trebitsch eine Anleihe zu machen, schlug fehl. Trebitsch erklärte nicht nur, daß er selbst Schulden habe, sondern er verwies auch auf reichere Menschen aus der Bekanntschaft Theodors, wie zum Beispiel der Prinz es war.
»Sie sind ja mit dem Prinzen befreundet!« sagte Trebitsch.
Ja, er war mit dem Prinzen befreundet. War ihm der Prinz nichts mehr schuldig?
Er ging zu Prinz Heinrich. Er mußte lange warten, es war nachmittags, und der Prinz schlief. Dann kam er, im geblümten seidenen Pyjama, mit schlafgeröteten Wangen und Grübchen wie ein gewecktes Kind.
»Ach, Theo!« sagte der Prinz.
Er setzte sich, legte einen Fuß auf den Tisch, ließ die Pantoffeln fallen und betrachtete seine spielenden Zehen. Dazu summte er ein Lied. Er gähnte dazwischen. Er hörte nicht alles, was Theodor sagte. Schließlich unterbrach er ihn:
»Du kannst mit mir nach Königsberg fahren, zur Bootstaufe!«
Also fuhr Theodor, mit einer blühweißen Seemannskappe bekleidet, in einem Coupé erster Klasse nach Königsberg. Seine Hoheit der Prinz schlief unterwegs, ein Buch von Heinz Tovote in der herabhängenden Rechten. Der Ruderklub »Deutsche Treue« holte sie ab, fütterte sie, legte sie schlafen. Sie standen am nächsten Tag, es war ein Sonntag, am Seeufer, und es regnete, wie gewöhnlich bei Bootstaufen. Eine weißgekleidete Jungfrau hielt ein Weinglas in der Rechten, einen Regenschirm in der Linken, der Prinz trat an das Boot, gab ihm seinen Namen und zerschmetterte das Weinglas am Bordrand. Alle riefen dreimal hipp, hipp, hurra! Und der Regen rauschte.
Nachmittags besichtigten sie eine Ehrenkompanie der Reichswehr, lernten die Burschenschaft »Rhenania« kennen, und Theodor erkannte in dem Studenten Günther einen Kameraden aus dem Felde. Sie tranken zusammen, sie gingen durch die Stadt, sie erzählten Erlebnisse, sie hielten einander für prachtvolle Menschen und umarmten sich. Nun gab es kein Geheimnis zwischen ihnen, Theodor verschwieg nur seine Verbindung mit dem Prinzen und mit Klitsche. Dennoch nannte er auch diesen Namen einmal, und nun gestand Günther, daß auch er der Stelle S II in München angehöre und von Klitsche Aufträge erhalte. Aber er sei jetzt der Politik müde und wolle heiraten. Seine Braut lebe in Berlin. Ja, er wollte mit Theodor nach Berlin fahren. Er sehne sich.
Seine Braut war die Tochter eines Arbeiters. Der Vater Betriebsrat bei den Schuckert-Werken. Ein einfacher Arbeiter sogar und ein Roter.
Ob Günther nun auch ein halber Roter wäre, fragte Theodor. Er hielt die Hände in den Taschen und spreizte die Finger. Er horchte mit tausend Ohren.
»Nein!« Aber Günther sprach mit seinem Schwiegervater und ließ eines jeden Meinung gelten.
Sie fuhren zusammen; der Prinz schlief in einem Abteil nebenan, und Theodor schwieg. Er sah in die Landschaft. Er betrachtete Günther, den strohblonden, blauäugigen Buben mit dem dummredlichen Gesicht.
Was war ihm Günther? Name und Gesicht gleichgültig und durch Zufall bekannt. Wie der junge Thimme zum Beispiel.
Liebte er Günther? Liebte er jemanden? Ja, er liebte sein Volk. Im Dienste seines Volkes stand er. Wenn Günther nicht die Wahrheit sprach? Wenn er nur die Hälfte sagte? Wenn er ein Verräter war? mit den Kommunisten verhandelte? die Organisation verriet?
Hier war Theodor auf eine Sache gestoßen. Und mußte vorsichtig sein. Die Sache wies einen Weg.
Detektiv Klitsche hörte Theodor zu. War Näheres nicht zu erfahren?
Es gab nichts, weder konnte die Braut Günthers etwas verraten noch Günther selbst. Einmal fragte Theodor vorsichtig, ob der Schwiegervater nicht Kommunist wäre.
»Ja!« Günther lachte.
Sie gingen durch den Abend, Arm in Arm. Theodor und Günther. Schon betäubte ihn die Macht, Theodor, den Mächtigen, schon knotete er Schlingen mit gehässigen Fingern, Theodor, der Kluge; sah er seine Verdienste, sich selbst erhaben über Klitsche, über Trebitsch, über alle. Er fuhr nach München, mächtig wurde er, übernahm die Leitung. Theodor, ein Führer. Hastig lief er zu Trebitsch, erzählte von Günthers Verrat, Gefahren sah er und schilderte sie und hetzte sich in Begeisterung, angespornt durch des Bärtigen zustimmendes Lächeln. Am Abend sendete Klitsche Boten aus, sechzehn Angehörige der Stelle S II kamen zusammen, zwei Kerzen entzündete Trebitsch und verlas das Protokoll mit Theodor.
Hat Günther gestanden, daß sein Schwiegervater Kommunist und Haupt einer geheimen Organisation ist?
Ja!
Die Arbeiter mit Waffen versorgt?
Ja!
Und Günther beteiligt sich an den Arbeiten?
Ja!
Die Paragraphen acht und neun aus den Statuten lauten:
»Dem Femetod verfallen ist, wer gegen die vaterländischen Organisationen durch List oder offene Gewalt vorgeht;
wer mit Parteien der Linken ohne Wissen der Leitung und nicht zu Spionagezwecken Verkehr pflegt.«
Der Student Günther ist schuldig.
Entscheidet das Los?
»Ich