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Die Frau von dreißig Jahren. Оноре де БальзакЧитать онлайн книгу.

Die Frau von dreißig Jahren - Оноре де Бальзак


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Existenz verbarg einen bitteren Hohn. War sie nicht genötigt, einen hohlen Götzen zu ehren, ihren Beschützer zu schützen, der, armselig wie er war, ihr zum Lohn für ihre stetige Hingebung die selbstsüchtige Liebe der Ehemänner zuwarf, nur das Weib in ihr sah, sich nicht die Mühe nahm, sich um das zu kümmern, was ihr Vergnügen machte, und, was beides eine gleich große Kränkung für sie war, der nicht wusste, woher ihre Traurigkeit und ihr Hinsiechen kam? Wie die meisten Ehemänner, die das Joch eines höher stehenden Geistes fühlen, beschwichtigte der Marquis seine Eigenliebe, indem er von der physischen Schwäche Julies auf ihre geistige Schwäche schloss und sich beim Schicksal darüber beklagte, dass es ihm ein kränkliches Mädchen zur Frau gegeben habe.

      Kurz, er betrachtete sich als Opfer, während er der Henker war. Mit allem Ungemach dieser traurigen Existenz beladen, musste die Marquise noch ihrem einfältigen Gebieter zulächeln, ein Haus der Trauer mit Blumen schmücken und auf ihrem an heimlichen Qualen erblassten Gesicht das Glück zur Schau stellen. Dieses Ehrgefühl, diese großartige Selbstverleugnung verliehen der jungen Marquise allmählich eine weibliche Würde, ein Bewusstsein der Tugend, das ihr zum Schutz gegen die Gefahren der Welt diente. Im übrigen, um diesem Herzen auf den Grund zu gehen, mochte das verborgene Missgeschick, das ihrer ersten unschuldigen Mädchenliebe widerfuhr, ihr einen Widerwillen gegen die Leidenschaft eingeflößt haben; vielleicht auch begriff sie nicht die Selbstvergessenheit und die unerlaubten, sinnverwirrenden Freuden, die manche Frauen alle Gesetze der Vernunft und alle Regeln der Tugend, auf denen die Gesellschaft beruht, in den Wind schlagen lassen. Wie auf einen Traum verzichtete sie auf die Süßigkeit, die sanfte Harmonie des Daseins, wie sie ihr die weise Erfahrung der Madame de Listomère-Landon verheißen hatte; sie erwartete ergeben das Ende ihrer Leiden, indem sie jung zu sterben hoffte. Seit ihrer Rückkehr aus der Touraine war ihre Gesundheit von Tag zu Tag schwächer geworden, und das Leben schien ihr vom Leiden abgemessen zu sein; ein Leiden allerdings, das bei oberflächlicher Beurteilung einen eleganten, nahezu wollüstigen Anschein hatte und für die Laune einer Zierpuppe gelten konnte. Die Ärzte hatten die Marquise verurteilt, auf einem Diwan ausgestreckt zu liegen, wo sie inmitten der Blumen, die sie umgaben, verkümmerte und gleich ihnen dahinwelkte. Ihre Schwäche verbot ihr das Gehen und die freie Luft; sie fuhr nur im geschlossenen Wagen aus. So, umgeben von allen Wunderdingen des Luxus und der modernen Industrie, glich sie weniger einer Kranken als einer lässig-trägen Königin. Einige Freunde, die vielleicht in ihr Unglück und ihre Hinfälligkeit verliebt waren und auf eine künftige günstigere Gesundheit spekulierten, kamen, in der Gewissheit, sie immer zu Hause zu finden, ihr Neuigkeiten zuzutragen und die tausend kleinen Begebenheiten, die das Pariser Leben so abwechslungsreich machen, zu berichten. Ihre Melancholie, tief und ernst wie sie war, war immerhin doch die Melancholie des Überflusses. Die Marquise d'Aiglemont glich einer schönen Blume, deren Wurzel von einem schwarzen Insekt zernagt wird. Sie ging bisweilen in Gesellschaft, nicht aus Neigung, aber um den Anforderungen der Stellung, die ihr Mann anstrebte, zu gehorchen. Ihre Stimme und ihr vollendeter Gesang verschafften ihr den Beifall, der einer jungen Frau fast immer schmeichelt; aber was nützten ihr Erfolge, welche weder zu ihren Gefühlen noch zu irgendwelchen Hoffnungen eine Beziehung hatten? Ihr Mann liebte die Musik nicht. Sie fühlte sich fast immer befangen in den Salons, wo ihre Schönheit begehrliche Huldigungen auf sich zog. Ihre Lage erregte dort eine grausame Teilnahme, eine triste Neugierde. Sie litt an einer gefährlichen Krankheit, die häufig genug tödlich verläuft, die sich die Frauen ins Ohr sagen und für die unsere wissenschaftliche Terminologie noch keine Bezeichnung hat. Trotz der Stille, in der sich ihr Leben abspielte, war die Ursache ihres Leidens doch für niemanden ein Geheimnis. Sie war auch in der Ehe noch junges Mädchen geblieben und empfand Scham vor jedem Blick. Um nicht erröten zu müssen, wollte sie nur heiter und lachend erscheinen; sie heuchelte Freude, sagte stets, sie befände sich wohl, oder wich den Fragen über ihre Gesundheit mit schamhaften Lügen aus. Im Jahre 1817 jedoch trug ein Ereignis viel dazu bei, den beklagenswerten Zustand, in dem sich Julie bisher befunden hatte, zu ändern. Sie gebar eine Tochter und wollte sie selbst stillen. Zwei Jahre lang war ihr Leben dank der lebhaften Zerstreuungen und unruhigen Freuden der Mutterschaft weniger unglücklich. Sie konnte sich von ihrem Manne fernhalten. Die Ärzte prophezeiten ihr eine bessere Gesundheit; aber die Marquise glaubte nicht an diese hypothetischen Verheißungen. Wie alle Menschen, für die das Leben keine Annehmlichkeit ist, sah sie vielleicht im Tode eine glückliche Lösung.

      Zu Anfang des Jahres 1819 gestaltete sich für sie das Leben grausamer denn je. Als sie eben anfing, sich über ein gewisses Scheinglück, das sie hatte erlangen können, zu freuen, taten sich schreckliche Abgründe vor ihr auf: ihr Mann hatte sich ihrer nach und nach ganz entwöhnt. Diese Abkühlung einer schon an und für sich lauen und ganz egoistischen Neigung konnte mehr als ein Unglück herbeiführen, das sie mit ihrem feinen Takt und ihrer Klugheit voraussah. Obwohl sie sicher war, eine große Macht über Victor zu behalten und für immer seine Achtung erlangt zu haben, so fürchtete sie doch den Einfluss der Leidenschaften auf einen so unselbständigen und eingebildeten Menschen. Oft fanden ihre Freunde Julie in Betrachtungen versunken; die weniger hell sehenden fragten sie scherzend nach dem Grund, als ob eine junge Frau nur an eitle Dinge denken könne und hinter den Gedanken einer Familienmutter nicht meistens der Ernst steckte. Das Unglück verführt ebenso zur Träumerei wie das wahre Glück. Oft, wenn Julie mit ihrer Hélène spielte, betrachtete sie diese mit finsterem Blick und antwortete nicht auf die kindlichen Fragen, die die Mütter so zu beglücken pflegen, weil sie von Gegenwart und Zukunft Aufschluss über ihr Schicksal forderte. Wenn sie sich dann zuweilen der Szene in den Tuilerien erinnerte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Die vorahnenden Worte ihres Vaters klangen ihr von neuem im Ohr, und sie warf sich vor, seine Weisheit verkannt zu haben. Von diesem törichten Ungehorsam rührte alles Unglück her, und oft wusste sie nicht, welches von ihren Leiden am schwersten zu tragen war. Nicht nur, dass ihr Mann keine Ahnung von den Reichtümern ihres Herzens hatte, sie konnte sich mit ihm nicht einmal über die gewöhnlichsten Angelegenheiten des Lebens verständigen. Gerade zu der Zeit, als die Fähigkeit zu lieben sich stärker und lebhafter in ihr entwickelte, verflüchtigte sich die erlaubte, die eheliche Liebe inmitten schwerer seelischer und physischer Leiden. Schließlich hatte sie für ihren Mann nur mehr das an Verachtung grenzende Mitleid, das auf die Dauer alle Gefühle ankränkelt. Aus Unterhaltungen mit Freunden, aus Beispielen und mancherlei Abenteuern der Gesellschaft erriet sie wohl, welches unendliche Glück die Liebe in sich bergen musste; aber auch ihr verwundetes Herz selber überkam manchmal ein Vorgefühl der tiefen, reinen Freuden, in denen sich geschwisterliche Seelen vereinigen. In dem Bilde, das ihr Gedächtnis von der Vergangenheit erstehen ließ, erschien das treue Gesicht Arthurs mit jedem Tage reiner und schöner, aber flüchtig; denn sie wagte nicht, sich bei dieser Erinnerung aufzuhalten. Die schweigsame, schüchterne Liebe des jungen Engländers war das einzige Ereignis, das in der Zeit ihrer Ehe einige sanfte Spuren in ihrem traurigen, einsamen Herzen hinterlassen hatte. Vielleicht dass alle enttäuschten Hoffnungen, alle fehlgegangenen Wünsche, die nach und nach Julies Geist verdüsterten, sich durch ein natürliches Spiel der Phantasie auf diesen Mann bezogen, dessen Art, Gefühl und Charakter so viel Einklang mit den ihrigen aufzuweisen schienen. Doch dieser Gedanke kam ihr immer wie ein Traum, eine Laune vor. Sie erwachte aus diesen immer in Seufzern endenden Wahngebilden unglücklicher als zuvor und fühlte ihre verborgenen Schmerzen hernach um so stärker, wenn sie diese unter den Fittichen eines erträumten Glückes eingeschläfert hatte. Oft gewannen ihre Klagen einen Charakter von Torheit und Verwegenheit, sie wollte Glück um jeden Preis; aber öfter noch verharrte sie in irgendeiner stumpfen Betäubung, hörte zu, ohne zu verstehen, oder fasste so vage und unbestimmte Gedanken, dass sie keine Worte hätte finden können, sie auszudrücken. Sie war in ihren innersten Regungen verletzt, durfte ihr Leben nicht so führen, wie sie es als junges Mädchen erträumt hatte, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Tränen zu ersticken. Bei wem hätte sie sich beklagen sollen? Wer hätte sie verstanden? Überdies hatte sie jenes äußerste weibliche Zartgefühl, jene köstliche Schamhaftigkeit, die darin besteht, jede unnütze Klage zu unterdrücken und keinen Vorteil daraus zu ziehen, dass der Triumph den Sieger und den Besiegten in gleicher Weise beschämen muss. Julie versuchte, Monsieur d'Aiglemont mit ihren eigenen Tugenden und Gaben auszustatten, und rühmte sich, das Glück zu genießen, das sie entbehrte. Sie wandte ihre ganze weibliche Klugheit auf, ihren Mann zu schonen, der nie etwas davon erfuhr und im übrigen durch ihre Art nur noch mehr in seinem Despotismus bestärkt wurde. Zeitweise war sie wie trunken von Unglück, völlig


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