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Auf dem Gipfel gibt's keinen Cappuccino. Heidi SandЧитать онлайн книгу.

Auf dem Gipfel gibt's keinen Cappuccino - Heidi Sand


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      schicksalsbericht

      Heidi Sand mit Kristin Koopmann

      Auf dem Gipfel gibt’s keinen Cappuccino

      Vom tiefsten Punkt meines Lebens

      auf den höchsten Berg der Welt

      kurz & bündig verlag | Frankfurt a. M. | Basel

      Für meine fantastischen Kinder

      Paul, Harriet und Henrik

      Vorwort

      Der Ausblick und das Glück, diesen Moment erleben zu dürfen, treiben mir die Tränen in die Augen. Ich stehe auf dem mit 8 848 Metern höchsten Punkt der Erde, dem Gipfel des Mount Everest. Dem Dach der Welt.

      Hinter mir liegen anstrengende Monate voller schöner, aber auch qualvoller Momente, voller unvergesslicher Erinnerungen, aber auch ungewisser Stunden mit dem Tod vor Augen.

      Und das sind nur die Emotionen, die schon lange in mir vorgingen, bevor ich auch nur in die Nähe des Everests gelangte.

      Mein Name ist Heidi Sand, ich bin passionierte Bergsteigerin und Bildhauerin, Ehefrau, Mutter von drei Kindern, und ich habe ein Enkelkind. Ich habe das große Glück gehabt, auf dem Everest zu stehen.

      Dieses Buch ist jedoch kein Bergsteigerbuch. Es geht um das, was vor dem Everest geschah. Um den Grund, warum ich auf dem Everest stehe. Ich möchte meine eigenen Erfahrungen nutzen und Ihnen Mut machen.

      Im Sommer 2010 wurde bei mir Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Im ersten Moment war ich mir sicher, dass ein Fehler vorlag. Ich war 43 Jahre alt, meiner Meinung nach topfit und kerngesund, und außerdem wollte ich drei Wochen später an einem Ultramarathon teilnehmen. Ich gab den Ärzten diese Informationen, sie gaben mir einen OP-Termin und einen sechsmonatigen Behandlungsplan.

      Achtzehn Monate später stand ich auf dem Everest.

      Ich erzähle Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass das Leben und das Bergsteigen durchaus Parallelen aufweisen. Es gibt Täler und Gipfel, Rückschläge und wunderschöne Momente, die zu Erinnerungen werden. Der Trick ist, immer weiterzugehen. Den Dreck abzuklopfen, aufzustehen und einen Fuß vor den anderen zu setzen. Klingt leicht, oder?

      Aber wie macht man das? Wenn ich es wüsste, wäre dieses Buch eine Anleitung zum Glücklichsein. Die kann ich Ihnen nicht versprechen. Aber ich kann Ihnen zeigen, wie ich aus dem tiefsten Tal meines Lebens auf den höchsten Berg der Welt kam. Ich möchte Sie auf diese Reise mitnehmen, meine Erfahrungen mit Ihnen teilen und Ihnen hoffentlich etwas mitgeben, was Ihnen hilft, Ihre eigenen Hürden zu überwinden.

      Jeder von uns kommt an einen Punkt, an dem es nicht so einfach weitergeht, wie wir das gern wollten. Dabei muss es sich nicht um eine potenziell tödliche Krankheit handeln. Ob im Berufsleben oder in einer Beziehung, bei einem Projekt oder einer Herzensangelegenheit, ein oder zwei Hürden, die unüberwindbar erscheinen, gibt es auf jedem Weg. Ich weiß, dass es bei mir so war. Ich weiß aber auch, wie ich diesen Punkt überwinden konnte. Und ich möchte Ihnen zeigen, wie ich es geschafft habe.

      Ich freue mich, dass ich Sie auf diesen Weg mitnehmen darf, und hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Erfahrungen helfen kann. Im besten Fall können Sie so auch Ihren Everest bezwingen. Wie immer er aussieht. Und glauben Sie mir: Der Ausblick wird überwältigend sein.

      Ihre Heidi Sand

      Willkommen auf meiner Reise

      Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe und drei Kindern war ich der Meinung, ich wüsste, was Geduld ist. Ich musste auf 5 300 Meter steigen, um eines Besseren belehrt zu werden.

      Da sitze ich nun mit Hunderten anderen Bergsteigern in dieser Zeltstadt auf Geröll, das ultimative Ziel buchstäblich direkt vor Augen, und doch ist alles, was ich gerade machen kann, rumsitzen und Tee trinken. Immerhin ist er warm. Aber da kribbelt es schon im Hintern. Ich bin schließlich nicht hier, um mich auszuruhen. Ich will auf den höchsten Punkt der Welt, auf das Dach der Welt, nach ganz oben. Es ist ein ambitioniertes Ziel. Eines, das nur wenige Menschen bisher erreicht haben. Nicht jeder schafft es. Einige bleiben für immer oben. Ich möchte zu keiner dieser beiden Gruppen gehören.

      Hier im Basislager stehe ich am Anfang der Everest-Reise, stecke aber mittendrin in einer ganz anderen. Meiner persönlichen Reise. Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier. Jeder ist das. Einige wollen hoch, weil er der höchste Berg der Welt ist. Einige, um es sich zu beweisen. Einige, um es abzuhaken, weil sie eben schon am Nordpol oder auf einigen anderen Gipfeln waren und der Everest noch fehlt. Angeblich soll George Mallory, einer der Wegbereiter des Bergsteigens, auf die Frage, warum er auf den Gipfel des Everest will, geantwortet haben: «Weil er da ist.» Auch das ist sicher ein guter

      Grund.

      Ich bin hier, weil mir der Gedanke, dass ich eines Tages den Everest besteigen könnte, vor achtzehn Monaten neuen Lebensmut gegeben hat. Damals steckte ich mitten in einer langwierigen Chemotherapie und brauchte dringend ein Ziel, auf das ich hinarbeiten konnte. Eine Belohnung. Irgendetwas, was mir den Alltag und die Behandlung erträglicher machen konnte. Ich erinnere mich sehr genau an den Moment im Oktober 2010, nach der sechsten von insgesamt zehn Behandlungen. Bis dahin hatte ich die Chemo gut weggesteckt, aber nun saß ich vollkommen erschöpft und niedergeschlagen auf dem Balkon unserer Hütte in Grindelwald mit einer Tasse Tee in der einen und dem Buch Die weiße Spinne in der anderen Hand. Der österreichische Alpinist Heinrich Harrer schreibt darin über den Reiz und die Gefahren der Eiger-Nordwand, jener Gebirgsflanke, auf die ich gerade einen wunderschönen Blick hatte. Und in diesem Moment formte sich tief in meinem Unterbewusstsein dieser Gedanke. Der Gedanke, dass ich auf etwas hinarbeiten musste, der Krankheit Darmkrebs zeigen musste, dass sie mich nicht kleinkriegen würde. Ich musste mich wehren und dieses passive Gefühl der Kraftlosigkeit und Wehrlosigkeit loswerden. Ich musste aufstehen und aktiv werden. Im wahrsten Sinne weitergehen.

      Zu sagen, die Krebsdiagnose sei damals überraschend

      gekommen, wäre untertrieben. Meine erste Reaktion war, den Arzt zu bitten, die richtige Krankenakte zu konsultieren. Ich war 43 Jahre alt, meiner Meinung nach topfit und kerngesund. Also informierte ich den Arzt, dass ich in drei Wochen an einem Ultramarathon teilnehmen werde. Er gab mir den freundlichen Rat, den Lauf vielleicht abzusagen und stattdessen gesund zu werden. Daran habe ich mich gehalten. Was ich jetzt gerade in fünf Wörtern zusammengefasst habe, war aber nicht einfach. Eine Chemo ist das nie. Keine Krise ist das. Sie ist eine Reise mit vielen Hindernissen. Eine, die viele Parallelen zum Bergsteigen hat. Man sieht in der Ferne den Gipfel, das Ziel, und man rennt los. Aber der Weg geht nicht immer aufwärts, manchmal muss man durch ein Tal oder über eine Gletscherspalte, manchmal rutscht man ab und kann sich gerade noch halten. Ich stürzte nach der sechsten Chemo ab. Ich brauchte ein neues Ziel. Auf dem Balkon in Grindelwald fasste ich es in Worte: Um meinen persönlichen Everest zu bezwingen, setzte ich mir das Ziel, den wirklichen Everest zu besteigen.

      Als ich ein paar Tage später aus Grindelwald nach Hause zurückgekehrt war, nahm ich ein Buch der österreichischen Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner in die Hände, der dritten Frau, die alle Achttausender bestiegen hatte, und las über ihre Everest-Besteigung. Bedingt durch die Behandlung, schlief ich beim Lesen mehrmals ein, aber zu diesem Zeitpunkt war der Gedanke in meinem Kopf und das große Ziel längst formuliert. Nun musste ich es nur noch meiner Familie sagen.

      Ein derart konkretes Ziel, einen innigen Wunsch vor Augen zu haben, veränderte alles für mich. Zum Positiven. Es ging nicht mehr um die Chemo und die Krankheit, sondern um etwas Größeres. Ich lebte nicht mehr von Behandlung zu Behandlung, sondern für ein Datum in der Zukunft, in der alles gut wäre. Ich lebte für den Moment, in dem ich geheilt wäre und das machen würde, was mir Energie gibt. Diese Einstellung hat mir zusätzliche Kraft gegeben und die dringend benötigte Ablenkung. Die Therapien sind zeitaufwendig, man hat sehr viel Zeit zum Nachdenken. Das ist nicht immer gut.

      In den ersten Wochen und Monaten nach der Diagnose habe ich diese Zeit damit verbracht, mein Leben neu zu formulieren, ihm eine neue Wende zu geben. Ich fragte mich, was ich noch erreichen wollte. Und im selben Moment


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