Falco. Andrea FehringerЧитать онлайн книгу.
darf sie net mitnehmen, war ihm plötzlich klar, net nach dem, was sie dem Hans grad an’tan hat. Aber genauso klar war ihm: Er würde sie mitnehmen. Beim Gedanken an das schwarze Loch, das im 18. Bezirk auf ihn wartete, stieg ihm die Übelkeit auf. Hätte der Teufel gesagt, er kommt mit, er hätte ihn mitgenommen. Er hätte heute jede mitgenommen. Warum nicht sie?
4. KAPITEL
FALCO TRIFFT FAUST
Wer zuletzt geht, dreht in der Stadt das Licht ab. Das schien im München der ausklingenden 70er Jahre die einzig gültige Regel zu sein. Und auch sie wurde nicht eingehalten. München war die Hauptstadt des guten Tons in der Popbranche. Namhafte internationale Bands von den Stones bis zu Queen kamen her, um hier zu arbeiten. Was mit dem gesellschaftsrelevanten guten Ton dieses zutiefst frömmelnden Landstrichs naturgemäß nichts, aber auch gar nichts gemein hatte. Im Gegenteil. Damals gab es in München garantiert mehr Soundstudios als Kirchen, mehr Discos als Bierlokale, mehr Rock- als Pfadfindergruppen und mehr Abtreibungen als Aufgebote. In früheren Zeiten hatte man in solchen Fällen die Wäsche weggesperrt und gleich darauf die Töchter.
Musikanten waren in der Stadt. Darunter auch die Hallucination Company. Adam Wickerls ausgeflipptes Rocktheater, in Wien längst so berühmt wie berüchtigt, war hier auf Anhieb ein Sensationserfolg. Das Gastspiel im „Marienkäfer“ fand höchsten Anklang bei der Kritik und war allabendlich bis auf den letzten Platz ausverkauft. Eine Tatsache, die den Protagonisten aus Wien eine Stammloge im ausgeflipptesten aller In-Lokale der City sicherte: dem „Sugar Shack“.
Auch heute schien wieder ganz München auf Einlaß zu warten. Und die Bodyguards kosteten jeden Millimeter ihrer Macht aus. Wer kein bekanntes Gesicht hatte, wurde nicht einmal ignoriert. Ein Etablissement, das Gäste von Keith Richards abwärts beherbergte und Leute wie die Queen-Stars Brian May oder Roger Taylor zur Stammkundschaft zählte, brauchte sich nicht mit halbseidenen Schwabinger Lokalmatadoren abzugeben. Es war genau das Umfeld, das Hans rund um sich immer vorgeschwebt war. Als er sich dem Lokal näherte, teilte sich die wartende Menge auf einen Wink des Türlstehers wie das Rote Meer vor Moses. Hans durchschritt die Schneise, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, klopfte dem Typen am Eingang jovial auf die Schulter und schlenderte betont lässig ins Halbdunkel des Allerheiligsten. Drinnen scherte sich kein Hund um ihn, aber das machte nichts, er war bereits auf seine Kosten gekommen. Trotz des Aufruhrs draußen war im Lokal kaum noch was los. Hans fand ohne Schwierigkeiten einen Platz an der Bar. Er bestellte einen doppelten Espresso und ein Mineralwasser. Sein übliches Frühstück um die Zeit, sofern die Company einen spielfreien Abend hatte.
Eigentlich führe ich ein putziges Leben, dachte er. Den Satz hatte er in einem Episodenfilm von Neil Simon gehört, in dem Michael Caine einen britischen Antiquitätenhändler mit Schauspielvergangenheit spielt, der seine für den Oscar nominierte Ehefrau nach Los Angeles begleitet. Der Unterschied is nur, sinnierte Hans, daß ich noch keine Vergangenheit hab’ und nicht einmal wen kenn’, der wen kennt, den ich, sagen wir, zur Grammyverleihung nach New York begleiten könnt’. Er nahm einen Schluck Kaffee. Macht nix, wird schon werden. Du bist jung und knusprig.
Während er sich so richtig in seine glänzende Zukunft vertiefte, überhörte er ganz, daß hinter seinem Rücken gerade die Post abging. Ein Hero der Szene war angekommen, und die bereits wartenden Groupies warfen sich ihm standesbewußt an den Hals. Unbeirrt bewegte sich der schwarze Schlapphut, das Markenzeichen des begehrten Neuankömmlings, durch den Schwarm menschlicher Heuschrecken auf die Bar zu. Neben Hans war ein Hocker frei. Während Udo Lindenberg noch seine lange Gestalt vor dem Tresen schlichtete, stand schon sein obligater Whiskey vor ihm. Er schüttete die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Kehle, als hätte nie jemand den Schluckmechanismus erfunden.
Unwillkürlich schaute Hans nach rechts. Ein genußvolles Zittern ging eben in einer wohligen Welle durch den Hamburger. Der Barkeeper hielt es für das Zeichen für Nachschub.
„Aufs Wohl“, sagte Hans.
„Worauf du ’nen lassen kannst“, entgegnete Lindenberg und erledigte den zweiten Whiskey in erprobter Manier. „Dufte Show, Junge“, meinte der berühmte Kollege dann, „ich war gestern da, du bist doch der Typ am Baß, nich wahr?“
„Ja“, bestätigte Hans wortkarg, weil überwältigt von dem Lob des Meisters.
„Aus dir wird noch was, Mann, das habe ich im Urin.“ Dürfte sich eher um ein Prostataleiden handeln, dachte Hans, dem der etwas leidende Gesichtsausdruck seines Nachbarn nicht entgangen war.
„Du klingst, als müßtest du mir meinen vorzeitigen Herztod ankündigen“, meinte Hans.
„Nee. Mehr so’n lebenslanges Herzleiden.“ Lindenberg sah nicht aus, als wolle er der kryptischen Diagnose noch etwas hinzufügen.
„Was meinst du damit?“ fragte Hans schließlich.
„Damit meine ich, daß du dabei bist, Geister zu rufen, die du nich’ so leicht wieder loswirst. Du bist’n anständiger Bassist, aber du agierst da oben schon jetzt wie’n frischgebackener Superstar.“
„Aha.“
„Junge, du hast ja noch keinen Tau, wie aufreibend so ’n Leben sein kann. Trinkste einen mit?“
„Sicher“, stimmte Hans verwirrt zu. Noch begriff er nicht ganz, was der Künstler ihm sagen wollte.
„Auf die Entbehrungen deiner künftigen Karriere“, verkündete der, prostete Hans mit theatralisch erhobenem Glas zu und schwupp, war der Whiskey in ihm verschwunden.
Hans nippte bloß an dem seinen. „Was für Entbehrungen?“
„Alle diese mißgestalteten Stiefgeschwister des Erfolgs und des Ruhms.“ Lindenberg hatte offenbar seinen poetischen Abend. Aber wenigstens erfuhr Hans endlich, wovon der schlapphütige Riese eigentlich redete: „Der Leistungsdruck von deinen Plattenbossen, daß du nach einem Hit augenblicklich einen Megahit aus dir rauszusaugen hast. Die Häme der Journaille, diesen schadenfrohen Visagen, die dich in tausend Silben zerreißen, sobald du auch nur das erste Anzeichen von Müdigkeit zeigst. Der Geifer der Groupies, die sich zuerst an dein’ Knöcheln mitschleifen lassen, und die Gnadenlosigkeit ihres höflichen Desinteresses, wenn du bloß noch Platz zwei in der Hitparade bist. Und die Einsamkeit … die Einsamkeit ist das schlimmste …“
Lindenbergs Stimme verlor sich in seinen Gedanken, als hätte er eben jetzt auch keinen Gesprächspartner. „’tschuldige“, meinte er nach der beredten Pause, „ich wollte dir nich’ den Abend verderben mit meinem Gewäsch.“
„Hat sich nicht nach Gewäsch ang’hört“, beruhigte ihn Hans, den Lindenbergs Monolog schwer beeindruckt hatte. „Von dieser Seite hab’ ich die G’schicht noch nie ang’schaut.“ Und nach ein paar nachdenklichen Sekunden: „Aber so negativ darf man das alles doch auch wieder net seh’n. Im großen und ganzen ist doch Erfolg ein Hammer. Alles, was man sich überhaupt wünschen kann. Der Applaus. Die Autogramme. Die Kohle. Zählt das nix?“
„Gar keine Frage, daß das zählt“, gestand Lindenberg zu, „ich rede ja auch nich’ von den Äußerlichkeiten. Ich rede von dem, was sich in dir drinnen abspielt, und was dir kein Manager der Welt abnehmen kann. Ich rede von dem Preis, denste zahlen mußt für Applaus, Autogramme und die Kohle.“
„Naja, reinknien mußt dich halt, bis du’s packt hast“, meinte Hans.
„Nee, Junge, reinknien genügt nich’. Du mußt ’nen Pakt mit dem Teufel schließen.“ Wie um seine Worte angemessen zu unterstreichen, ballte Lindenberg die Rechte, stieß sie knapp an Hans’ Jochbein vorbei und drückte ihm die Faust in den Nacken.
Jetzt wird er deppert, dachte Hans. Pakt mit dem Teufel. Faust. Wer wär’ denn da der Mephisto?
„Jenau so is es aber, Mann“, bekräftigte Lindenberg, als habe er Hans’ Gedanken lesen können. „Du mußte gewaltig was hergeben von dir, um dahin zu kommen, wo du dich jetzt schon siehst. Mit jeder Stufe nach oben läßte was von dir zurück. In dem Geschäft mußte dich stückweise