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Die Forsyte Saga. John GalsworthyЧитать онлайн книгу.

Die Forsyte Saga - John Galsworthy


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Wo war dieses berauschende Gefühl, so voller Leben zu sein und das alles genießen zu können?

      Er war der größte Operngänger seiner Zeiten gewesen! Jetzt gab es keine Oper mehr! Dieser Wagner hatte alles zugrunde gerichtet. Es gab weder Melodien noch Stimmen, die diese hätten singen können. Ach! Die wunderbaren Sänger! Alle weg! Er saß da und verfolgte die Darstellung der altbekannten Szenen, ein benommenes Gefühl in seinem Herzen.

      Von der silbernen Locke über seinem Ohr bis zur Haltung seines Fußes im Lacklederschuh mit Elastikeinsatz war nichts an dem alten Jolyon unbeholfen oder schwach. Er saß so aufrecht – oder zumindest fast so aufrecht – wie zu jenen guten alten Zeiten, als er jeden Abend hierherkam. Er sah noch genauso gut – oder zumindest fast genauso gut. Doch wie sehr er sich doch müde und desillusioniert fühlte!

      Er hatte sein ganzes Leben lang alles genossen, auch Unvollkommenes – und es hatte viel Unvollkommenes gegeben. Er hatte es alles in Maßen genossen, um sich jung zu halten. Doch nun hatte ihn seine Fähigkeit zu genießen im Stich gelassen, seine Philosophie, und was zurückblieb, war dieses schreckliche Gefühl, dass alles aus und vorbei war. Noch nicht einmal der Gefangenenchor oder die Arie des Florestan konnten das schwermütige Gefühl seiner Einsamkeit vertreiben.

      Wenn doch nur Jo hier bei ihm wäre! Der Junge musste inzwischen vierzig sein. Er hatte vierzehn Lebensjahre seines einzigen Sohnes untätig verstreichen lassen. Und Jo war kein Ausgestoßener der Gesellschaft mehr. Er war verheiratet. Der alte Jolyon hatte sich nicht zurückhalten können, seine Zustimmung diesbezüglich durch einen Scheck an seinen Sohn über fünfhundert Pfund zum Ausdruck zu bringen. Der Scheck war in einem Brief vom Hotch Potch mit folgenden Worten zurückgesendet worden:

      Liebster Vater,

      dein großzügiges Geschenk war willkommen als Zeichen, dass du schlechter von mir denken könntest. Ich sende es dir wieder zurück, doch solltest du es für richtig halten, es für unseren kleinen Mann (wir nennen ihn Jolly) anzulegen, der unseren Vornamen trägt und, mit deiner Erlaubnis, unseren Nachnamen, würde ich mich sehr freuen.

      Ich hoffe von ganzem Herzen, dass du so gesund wie eh und je bist.

      Dein dich liebender Sohn

      Jo

      Der Brief war wie der Junge. Er war immer ein liebenswerter Kerl gewesen. Der alte Jolyon hatte ihm dies geantwortet:

      Mein lieber Jo,

      ich habe die Summe (fünfhundert Pfund) deinem Jungen gutgeschrieben, unter dem Namen Jolyon Forsyte, und sie wird ordnungsgemäß mit fünf Prozent verzinst werden. Ich hoffe, dir geht es gut. Noch bin ich gesundheitlich fit wie eh und je.

      Liebe Grüße

      dein dich liebender Vater

      Jolyon Forsyte

      Und jedes Jahr am ersten Januar zahlte er hundert Pfund und die Zinsen dazu. Die Summe wurde immer beträchtlicher – nächstes Neujahr würden es fünfzehnhundert Pfund und noch was sein! Und es lässt sich kaum sagen, wie viel Zufriedenheit ihm diese jährliche Einzahlung gegeben hatte. Doch der Briefkontakt hatte geendet.

      Trotz seiner Liebe zu seinem Sohn, trotz eines gewissen Instinkts, der teilweise angeboren war, teilweise, wie bei tausenden anderen seiner Klasse, das Ergebnis ständigen Abwickelns und Beobachtens von Geschäften und durch den er Verhalten eher anhand von Resultaten als anhand von Prinzipien beurteilte, empfand er tief in seinem Herzen eine Art Unbehagen. Sein Sohn hätte unter den gegebenen Umständen vor die Hunde gehen müssen. Dieses Gesetz war in all den Romanen, in all den Predigten und in all den Dramen, die er jemals gelesen, gehört oder gesehen hatte, festgelegt.

      Irgendetwas fühlte sich irgendwie falsch für ihn an, als er den Scheck zurückerhielt. Warum war sein Sohn nicht vor die Hunde gegangen? Andererseits, wer konnte das schon sagen?

      Er hatte natürlich gehört – um genau zu sein, hatte er sich persönlich bemüht, dies herauszufinden -, dass Jo in St. John’s Wood wohnte, dass er ein kleines Häuschen mit Garten in der Wistaria Avenue hatte und seine Frau mit zu gesellschaftlichen Anlässen nahm – zweifelsohne in seltsamen gesellschaftlichen Kreisen. Und dass sie zwei Kinder hatten – den kleinen Jungen, den sie Jolly nannten (in Anbetracht der eher weniger heiteren Umstände erschien ihm dieser Name zynisch, und der alte Jolyon fürchtete und verabscheute Zynismus), und ein Mädchen namens Holly, das nach der Heirat geboren worden war. Wer konnte schon sagen, wie die Verhältnisse seines Sohnes wirklich waren? Er hatte die Einkunft, die er von seinem Großvater mütterlicherseits geerbt hatte, in Kapital umgewandelt und bei Lloyd’s als Versicherungsgeber angefangen. Außerdem malte er auch – Aquarelle. Der alte Jolyon wusste das, weil er sich hin und wieder heimlich eines seiner Bilder gekauft hatte, nachdem er zufällig seinen Namen unten auf einem Bild der Themse in einem Schaufenster entdeckt hatte. Er bewahrte sie in einer Schublade verschlossen auf.

      In dem großen Opernhaus überkam ihn eine schreckliche Sehnsucht, seinen Sohn zu sehen. Er erinnerte sich an die Zeiten, als er ihn immer in seinem braunen Leinenanzug unter seinen Beinen vor und zurück rutschen hatte lassen, die Zeiten, als er neben dem Pony des Jungen hergelaufen war und ihm das Reiten beigebracht hatte, den Tag, an dem er ihn zum ersten Mal in die Schule gebracht hatte. Er war ein liebevoller, liebenswerter kleiner Kerl gewesen! Als er dann nach Eton ging, hatte er vielleicht etwas zu viel von dieser erstrebenswerten Art übernommen, die man, wie der alte Jolyon wusste, nur an solchen Orten und nur zu einem hohen Preis bekommen konnte. Aber er war immer ein angenehmer Zeitgenosse gewesen, immer ein guter Kamerad, selbst nach Cambridge – vielleicht ein wenig abgehoben aufgrund der Vorteile, die er genossen hatte. Was seine Meinung zu den Privatschulen und Unis des Landes anging, war der alte Jolyon niemals ins Schwanken geraten. Er hielt rührend an seiner bewundernden und zugleich misstrau­ischen Haltung gegenüber einem System fest, das für die Elite des Landes gemacht war und zu dessen Privilegierten er selbst nicht gehört hatte … Nun, wo June weggefahren war und ihn verlassen hatte ‒ oder so gut wie verlassen ‒ wäre es tröstlich gewesen, seinen Sohn wiederzusehen. Voller Schuldgefühl wegen dieses Verrats an seiner Familie, seinen Prinzipien, seiner Klasse richtete der alte Jolyon seinen Blick auf den Sänger. Ein erbärmliches Etwas – ein elendes erbärmliches Etwas! Und der Florestan war zum Einschlafen!

      Die Oper war zu Ende. Die waren ja heutzutage leicht zufriedenzustellen!

      Im Gedränge der Straße schnappte er einem korpulenten und sehr viel jüngeren Mann eine Droschke, die dieser bereits als seine betrachtete, direkt vor der Nase weg. Sein Weg führte durch die Pall Mall, und statt dann durch den Green Park weiterzufahren, bog sein Fahrer an der Ecke in die St. James’s Street ab.

      Der alte Jolyon streckte seine Hand durch die Klappe (Umwege konnte er nicht ausstehen), doch dann sah er beim Abbiegen ihnen gegenüber das Hotch Potch, und die Sehnsucht, die er den ganzen Abend still in sich getragen hatte, siegte. Er befahl dem Kutscher zu stoppen. Er wollte hineingehen und fragen, ob Jo noch immer Mitglied sei.

      Er ging hinein. Die Halle sah noch genauso aus wie damals, als er immer mit Jack Herring dort gegessen hatte; sie hatten den besten Koch in ganz London. Er sah sich mit diesem scharfsinnigen, direkten Blick um, dank dessen er schon immer besser bedient wurde als die meisten anderen Männer.

      »Ist Mr Jolyon Forsyte noch Mitglied hier?«

      »Ja, Sir. Er ist gerade im Klub, Sir. Ihr Name?«

      Der alte Jolyon war überrascht. »Ich bin sein Vater«, antwortete er. Dann stellte er sich mit dem Rücken zum Kamin.

      Der junge Jolyon hatte seinen Hut aufgesetzt und wollte gerade den Klub verlassen, als er beim Durchqueren der Halle dem Por­tier begegnete. Er war nicht mehr jung, sein Haar wurde schon grau und auf seinem Gesicht – das Ebenbild seines Vaters in schmal, mit dem gleichen großen, weit herabhängenden Schnurrbart – hatte das Leben deutlich seine Spuren hinterlassen. Er wurde blass. Diese Begegnung war schrecklich nach all den Jahren, denn nichts auf der Welt war so schlimm wie eine Szene. Sie standen voreinander und gaben sich wortlos die Hand. Dann sagte sein Vater mit einem Zittern in der Stimme: »Wie geht es dir, Junge?«

      Der Sohn antwortete: »Wie geht es dir, Papa?«

      Die


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