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Die Forsyte Saga. John GalsworthyЧитать онлайн книгу.

Die Forsyte Saga - John Galsworthy


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ihre Toten begraben«, wäre ein besseres Sprichwort, wenn die Vergangenheit jemals sterben würde. Das Fortbestehen der Vergangenheit ist einer dieser tragisch-komischen Segen, den jedes neue Zeitalter verleugnet, wenn es voller Selbstbewusstsein die Bühne betritt, um zu behaupten, eine absolute Neuheit zu sein.

      Doch kein Zeitalter ist so neu! Prätentionen und Mode mögen sich ändern, doch die menschliche Natur hat viel von einem Forsyte, und das wird auch immer so sein. Und schließlich könnte sie eine weitaus schlimmere Kreatur sein.

      Wenn wir jetzt auf das Viktorianische Zeitalter zurückblicken, dessen Blüte, Verfall und »Ableben« in der »Forsyte Saga« gewissermaßen gezeigt werden, erkennen wir, dass wir vom Regen in die Traufe gekommen sind. Es wäre schwierig, die Behauptung zu begründen, die Lage in England sei 1913 besser gewesen als 1886, in dem Jahr, in dem die Familie Forsyte beim alten Jolyon zusammenkam, um die Verlobung von June Forsyte und Philip Bosinney zu feiern. Und 1920, als der Clan erneut zusammenkam, um der Hochzeit von Fleur und Michael Mont seinen Segen zu geben, war England ebenso sicher zu aufgeweicht und bankrott wie es in den 1880ern zu erstarrt und niedrigzinsig war. Wären diese Chroniken eine tatsächlich wissenschaftliche Studie des Wandels im Laufe der Zeit, würden sie wahrscheinlich Aspekte wie die Erfindung des Fahrrads, des Autos und des Flugzeugs, den Einzug einer billigen Presse, den Niedergang des Landlebens, das Städtewachstum und die Geburtsstunde des Kinos eingehend beleuchten. In Wirklichkeit können die Menschen ihre eigenen Erfindungen kaum kontrollieren, sie lernen bestenfalls, sich an die neuen Bedingungen anzupassen, die diese Erfindungen schaffen.

      Doch diese lange Geschichte ist keine wissenschaftliche Studie zu einem Zeitalter. Vielmehr ist sie eine intime Darstellung der Verwirrungen, die Schönheit in den Leben der Menschen verursachen kann.

      Die Figur der Irene, die – wie der Leser wohl bemerkt haben mag – immer nur durch die Wahrnehmung anderer Charaktere auftritt, ist eine Verkörperung Verwirrung stiftender Schönheit, die in eine von Besitz bestimmte Welt eindringt.

      Es hat sich gezeigt, dass die Leser beim Waten durch die Meere der Saga zunehmend geneigt sind, Mitleid mit Soames zu haben, und zu denken, dass sie damit gegen die Gefühle seines Schöpfers rebellieren. Doch so ist es ganz und gar nicht! Auch er empfindet Mitleid für Soames, dessen Lebenstragödie in dem sehr einfachen, nicht zu verhindernden Unglück besteht, nicht liebenswert zu sein und dabei nicht dickhäutig genug, um sich dieser Tatsache vollkommen unbewusst zu sein. Nicht einmal Fleur liebt Soames so, wie er nach seinem Empfinden geliebt werden sollte. Doch wenn die Leser Soames bemitleiden, sind sie vielleicht auch geneigt, Feindseligkeit gegenüber Irene zu empfinden. Denn im Grunde, so denken sie, war er kein schlechter Kerl, es war nicht seine Schuld, sie hätte ihm verzeihen sollen und so weiter.

      Und da sie Partei ergreifen, erkennen sie die simple Wahrheit nicht mehr, die der ganzen Geschichte zugrunde liegt: Wenn in einer Beziehung bei einem Partner absolut und definitiv keine ­sexuelle Anziehungskraft vorhanden ist, dann können kein Mitleid, keine Vernunft, kein Pflichtgefühl und kein was auch immer der Welt eine von der Natur bestimmte Abneigung überwinden. Ob es so sein sollte, spielt keine Rolle, Tatsache ist nämlich, dass es nie so ist. Und wo Irene hart und grausam erscheint, wie im Bois de Boulogne oder in der Goupenor-Galerie, ist sie klugerweise nur realistisch, denn sie weiß, dass auch nur das geringste Zugeständnis den kleinen Finger bedeuten würde, dem das Unmögliche folgt, die abstoßende ganze Hand.

      Ein möglicher Kritikpunkt in Bezug auf die letzte Phase der Saga wäre, dass Irene und Jolyon – jene Rebellen gegen Besitztum – geistigen Besitzanspruch auf ihren Sohn Jon erheben. Doch das wäre übertriebene Kritik im Hinblick auf die Geschichte. Denn kein Vater und keine Mutter hätten zulassen können, dass der Junge Fleur heiratet, ohne die Tatsachen zu kennen. Und es sind diese Tatsachen, die für Jon ausschlaggebend sind, nicht die Meinung seiner Eltern. Außerdem begründet Jon seine Meinung nicht auf seinem eigenen Wohl, sondern auf Irenes Wohl, und Irenes Meinung wird zu einem ständig wiederholten: »Denk nicht an mich, denk an dich selbst!« Dass Jon, der die Tatsachen kennt, die Gefühle seiner Mutter versteht, kann kaum zu Recht als Beweis dafür angesehen werden, dass sie doch eine Forsyte ist.

      Doch auch wenn das Eindringen der Schönheit und Freiheitsansprüche in einer von Besitz bestimmten Welt die wichtigsten Themen der Forsyte Saga sind, kann sie nicht von der Anklage freigesprochen werden, dass sie die gehobene Mittelschicht einbalsamiert. So wie die alten Ägypter die notwendigen Güter für ein zukünftiges Dasein um ihre Mumien platzierten, so habe ich mich bemüht, die Tanten Ann, Juley und Hester, Timothy und Swithin, den alten Jolyon und James und ihre Söhne mit dem auszustatten, was ihnen ein wenig Weiterleben hernach sichern soll, ein wenig Balsam im turbulenten Gilead eines »Zersetzungsfortschritts«.

      Wenn die gehobene Mittelschicht – zusammen mit anderen Bevölkerungsschichten – dazu bestimmt ist, sich zu Formlosigkeit »weiterzuentwickeln«, so liegt sie festgehalten in diesen Seiten für umherwandernde Besucher des weitläufigen und unübersichtlichen Museums der Literatur unter Glas. Hier ruht sie, konserviert in ihrem eigenen Saft: dem Besitzinstinkt. 1922.

      »… Ihr antwortet:

      Die Sklaven sind ja unser …«

      Der Kaufmann von Venedig

      Für Edward Garnett

Teil 1

      Wer bereits die Ehre hatte, bei einer der Familienfeiern der For­sytes zu Gast zu sein, der weiß, was für ein faszinierender und aufschlussreicher Anblick sich einem dort bietet – der Anblick einer Familie der gehobenen Mittelschicht in voller Pracht. Doch diejenigen dieser privilegierten Gäste, die in Besitz psychoanalytischer Fähigkeiten sind (eine Gabe ohne finanziellen Wert und somit eine, der die Forsytes keine Beachtung schenken), werden Zeuge eines Schauspiels, das nicht nur an sich schön anzusehen ist, sondern auch ein tiefliegendes, kompliziertes menschliches Problem verdeutlicht. Um es einfacher auszudrücken: Das Zusammenkommen dieser Familie, von der keiner der Zweige den anderen leiden konnte und keine drei Mitglieder etwas füreinander empfanden, das es verdient, als Sympathie bezeichnet zu werden, zeigt diesem Gast jenen eigenartigen zähen Zusammenhalt, der eine Familie zu einer solch beeindruckenden gesellschaftlichen Einheit werden lässt, einem so deutlichen Abbild der Gesellschaft im Kleinformat. Ihm wurde Einblick gewährt in die dunklen Wege des gesellschaftlichen Aufstiegs, er hat Erkenntnisse über patriarchalisches Leben gewonnen, über das Schwärmen wilder Horden, den Aufstieg und Untergang von Nationen. Er ist wie jemand, der das Wachsen eines Baumes von seiner Pflanzung an beobachtet hat – ein Paradebeispiel für Zähigkeit, Abwehr äußerer Einflüsse und Erfolg inmitten von hunderten anderen, sterbenden Pflanzen, die weniger faserig, kräftig und ausdauernd sind -, um schließlich eines Tages zu sehen, wie er mit vollem, zartem Blattwerk am Höhepunkt seiner Blüte in fast schon abstoßender Üppigkeit gedeiht.

      Womöglich könnte am 15. Juni 1886 gegen vier Uhr nachmittags ein zufällig im Haus des alten Jolyon Forsyte anwesender Beobachter die Familie Forsyte am Höhepunkt ihrer Blüte gesehen haben.

      An diesem Tag fand ein Empfang statt, um die Verlobung von Miss June Forsyte, der Enkelin des alten Jolyon, und Mr Philip Bosinney zu feiern. Herausgeputzt mit hellen Handschuhen, dunkelbeigen Anzugwesten, Federn und Kleidern, war die gesamte Familie anwesend. Sogar Tante Ann, die nur noch selten ihre Ecke im grünen Empfangszimmer ihres Bruders Timothy verließ, wo sie im Schutz eines Straußes von gefärbtem Pampasgras in einer hellblauen Vase den ganzen Tag saß und las oder strickte, umgeben von einer drei Generationen der Forsytes umfassenden Ahnengalerie. Sogar Tante Ann war da, ihr unbeugsamer Rücken und die Würde ihres ruhigen alten Gesichtes eine Personifikation des unnachgiebigen Besitzanspruchs auf ihre Idee der Familie.

      Wann immer ein Forsyte sich verlobte, heiratete oder geboren wurde, waren die Forsytes anwesend. Wann immer ein Forsyte starb – aber bis jetzt war noch keiner der Forsytes gestorben, sie starben nicht. Der Tod widersprach ihren Prinzipien, und so trafen sie Vorkehrungen gegen ihn, die instinktiven Vorkehrungen von vor Lebenskraft strotzenden Menschen, die empfindlich auf Übergriffe auf ihr Eigentum reagieren.

      Die Forsytes, die sich an diesem Tag unter die anderen anwesenden Gäste mischten, sahen noch gepflegter als gewöhnlich aus und strahlten


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