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Hochzeit des Lichts. Albert CamusЧитать онлайн книгу.

Hochzeit des Lichts - Albert  Camus


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hat der Mensch alles, was er begehrt, in Fülle und kann sich Rechenschaft ablegen von seinem Reichtum.

      Man muss sicherlich lange in Algier gelebt haben, ehe man begreift, wie sehr eine im Übermaß schenkende Natur den Menschen verarmen kann. Wer etwas lernen, sich erziehen, sich bessern will, ist hier verloren. Dies Land gibt keine Lehren. Es verspricht nichts und hält auch nicht mit Hoffnungen hin. Es begnügt sich zu geben, und zwar im Überfluss. Es ist ganz und gar für die Augen da, und sobald man es genießt, kennt man es auch. Seine Genüsse kennen kein Heilmittel, und seine Freuden keine Hoffnung. Es verlangt klare sehende Seelen, die keinen Trost brauchen. Es will, dass man sich zu seiner Klarheit wie zu einem Glauben bekennt. Seltsames Land, das dem Menschen, den es ernährt, beides zugleich gibt: Glanz und Elend! So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die reiche Sinnlichkeit dieser Menschen mit dem äußersten Elend zusammentrifft. Jede Wahrheit hat ihre Bitterkeit. Ist es da verwunderlich, dass ich dieses Land nie mehr liebe, als wenn ich unter seinen ärmsten Menschen bin?

      Die jungen Männer können hier gleichermaßen ihre Jugend wie ihre Schönheit ausleben. Dann kommen der Abstieg und das Vergessenwerden. Sie haben aufs Fleisch gesetzt und wussten, dass sie verlieren müssen. Wer jung und gesund ist, findet in Algier überall eine Freistatt und feiert überall Triumphe: die Bucht, die Sonne, die roten und weißen Farbspiele der das Meer säumenden Terrassen, die Blumen und die Sportplätze, die jungen, frischen Mädchen – alles lädt ihn ein. Wer aber seine Jugend verloren hat, sucht vergebens, wo er bleiben soll und wo er seiner Schwermut entfliehen kann. Anderswo gibt es Plätze genug – Italiens Terrassen, Europas Klöster, die harmonischen Hügel der Provence –, wo der Mensch sich retten und schmerzlos von sich selber befreien kann. Hier aber verlangt alles die Einsamkeit und das Blut der jungen Menschen. Der sterbende Goethe rief nach »mehr Licht«. In Belcourt und Bab-el-Oued hocken die Alten hinten in den Cafés und hören zu, wie die glatt gescheitelten jungen Leute prahlen.

      Der Sommer in Algier weiht uns in all diese Dinge ein. In diesen Monaten ist die Stadt verlassen und leer; nur der Himmel und die Armen sind geblieben. Mit den Letzteren steigen wir hinab zum Hafen, zu seinem sonnenwarmen Wasser und seinen sonnenbraunen Frauenleibern. Abends kehren diese Armen ermattet vom Genuss dieser Reichtümer zurück zu ihrer Petroleumlampe auf dem wachstuchbedeckten Tisch – ihrem einzigen Besitz.

      In Algier sagt niemand »ein Bad nehmen«, sondern »sich ein Bad leisten«, se taper un bain. Man badet im Hafen, und man ruht sich aus auf den Bojen. Schwimmt man an einer Boje vorbei, auf der bereits ein hübsches Mädchen sitzt, so ruft man den Kameraden zu: »Eine Möwe, sag ich dir!« Das sind harmlose Vergnügungen. Und offenbar sind sie das Ideal dieser jungen Leute; denn die meisten von ihnen treiben es so den ganzen Winter, setzen sich jeden Nachmittag nackt in die Sonne und verzehren ihr bescheidenes Mahl. Keiner von ihnen hat die öden Traktate der Naturschwärmer gelesen – diese Protestanten des Fleisches (denn es gibt Systematiker des Leibes, die ebenso hoffnungslos borniert sind wie gewisse Systematiker des Geistes); aber sie fühlen sich wohl in der Sonne. Man kann die Wichtigkeit dieser Gewohnheit für unsere Epoche nicht hoch genug einschätzen. Zum ersten Mal nach zweitausend Jahren gibt es am Strand wieder nackte Leiber. Zwanzig Jahrhunderte lang haben die Menschen sich bemüht, der griechischen Unbefangenheit und Schamlosigkeit Sittsamkeit beizubringen und das nackte Fleisch unter allerhand Kleidern zu verstecken. Heute sind diese Zeiten vergessen; und die Jünglinge, die am Strand des Mittelmeeres um die Wette laufen, reichen den Athleten von Delos die Hand. Wer so mit seinem Leib unter Leibern lebt, lernt, dass der Leib seine eigenen Wünsche und Launen und, wenn man mir ein offenbar sinnloses Wort gestattet, seine eigne Seele hat.[1]

      Die Entwicklung des Leibes wie die des Geistes hat ihre Geschichte, ihre Fortschritte, ihre Rückfälle und ihre Mängel. Betrachten wir zum Beispiel die Farbe. Wer im Sommer regelmäßig im Hafen badet, kann beobachten, wie die weiße Haut eines jeden Leibes zunächst goldbraun und dann bronzebraun wird, bis sie zuletzt eine gewisse Tabakfarbe annimmt, womit der Körper an der Grenze seiner Anpassungsfähigkeit angelangt ist. Über dem Hafen erhebt sich das weiße Würfelgewirr der Kasbah. Befindet man sich mit dem Wasserspiegel auf gleicher Ebene, so bilden die braunen Leiber gegen den grellweißen Hintergrund der Araberstadt einen kupferfarbenen Fries. Je heißer es nun im August wird, desto mehr blendet das Weiß der Häuser und desto dunkler wird das Braun der Leiber. Der ganze Vormittag ist hingegangen mit Tauchen, Spritzen, Lachen und langen Paddelschlägen um die rot-schwarzen Frachtdampfer herum: die»Norweger«, die nach allen möglichen Holzsorten duften, die »Deutschen«, die einen Ölgeruch verbreiten; und die »Coaster«, die nach Wein und alten Fässern riechen. Um die Zeit, da der Himmel von Hitze überströmt, bringt das orangefarbene Kanu unsere braunen Leiber in fliegender Fahrt zurück. Der rhythmische Doppelschlag des Paddels setzt plötzlich aus; und wir gleiten in langem Bogen in das glatte Wasser des Hafens: eine brüderliche Bronzeschar junger Götter.

      Aber schon hält die sommerliche Stadt an ihrem anderen Ende andere Freuden für uns bereit: Ich meine den Genuss ihrer schläfrigen Stille. Diese Stille ist ganz verschieden, je nachdem sie ein Kind des Schattens oder der Sonne ist. Es gibt die Mittagsstille auf dem Gouvernementsplatz, wo im Schatten der ihn einfassenden Bäume Araber geeiste Zitronenlimonade mit Orangenblüten verkaufen, das Glas zu fünf Sous. Ihr Ruf, »frisch! frisch!«, hallt über den leeren Platz. Dann ist es wieder still, die Sonne glüht; und ich höre, wie sich im Kruge des Verkäufers das Eis mit leisem Klickern umdreht.

      Es gibt auch die Stille der Mittagsruhe. In den Straßen des Marineviertels kann man sie geradezu hören, wenn man vor den schmutzigen Friseurläden auf das melodische Summen der Fliegen hinter den Vorhängen aus Schilfrohr achtet. In den maurischen Cafés der Kasbah wiederum herrscht das Schweigen der Leiber, die wie gebannt dasitzen und nicht imstande sind, sich zu erheben, das Glas Tee vor sich zu verlassen, den eingeschlafenen Pulsschlag des Blutes wiederzufinden und mit ihm das Gefühl für Zeit.

      Und dann gibt es die große Stille der Sommerabende. Welche geheimnisvollen Zeichen und Rufe mögen in dieser kurzen Zeitspanne wach werden, da der Tag in die Nacht hinübergleitet, dass sich Algier um diese Stunde so tief meinem Gedächtnis hat eingraben können? Wenn ich eine Zeit lang diesem Land fernbleibe, erscheinen mir seine Abende wie lauter Versprechungen eines ungreifbaren Glücks. Dann kehrt mein Herz zurück zu den Öl- und Mastixbäumen längs der Wege, die über die stadtbeherrschenden Höhen laufen. Ich sehe den grünen Horizont und die über ihm aufsteigenden Schwärme von schwarzen Vögeln. An dem plötzlich sonnenlosen Himmel breitet sich ein ganzes Volk kleiner roter Wolken aus und löst sich langsam auf. Fast gleich darauf erscheint, nachdem er sich tastend in der Dunkelheit des Himmels geformt und gefestigt hat, der erste Stern. Und dann, mit einem Schlage, ist es Nacht. Was wirkt den Zauber dieser flüchtigen algerischen Abende, dass sie allein so viele Dinge in mir wachrufen? Jene milde Süßigkeit, die sie auf meinen Lippen zurücklassen, ist schon verschwunden in der Nacht, noch ehe ich sie habe auskosten können. Und vielleicht liegt darin das Geheimnis ihrer Fortdauer. Die Zärtlichkeit dieses Landes ist scheu und überwältigend zugleich. Kaum aber fühlt das Herz ihre Gegenwart, so ist es ihr auch schon verfallen.

      Das Dancing am Padovani-Strand ist alle Tage offen. In diesem rechteckigen riesigen Lokal, das in seiner ganzen Länge aufs Meer geht, tanzt die Jugend des ärmlichen Stadtviertels bis zum Abend. Dort habe ich häufig einen einzigartigen Augenblick abgewartet. Tagsüber ist der Saal durch schräge Bretter gegen Wind und Sonne geschützt. Ist die Sonne verschwunden, so nimmt man sie weg. Dann füllt sich der Saal mit einem seltsam grünen Licht, wie das Innere einer Riesenmuschel, deren Schalen Himmel und Meer heißen. Sitzt man weit genug weg von den Fenstern, so sieht man nichts als den Himmel, an dem die Gesichter der Tanzenden wie Schattenbilder nacheinander vorbeiziehen. Hin und wieder wird ein Walzer gespielt; dann drehen sich die schwarzen Profile auf dem grünen Hintergrund emsig umeinander wie ausgeschnittene Silhouetten, die man auf einer Grammofonplatte im Kreise laufen lässt. Dann kommt, sehr schnell, die Nacht mit all ihren Lichtern. Aber ich kann nicht in Worte fassen, worin das hinreißend Geheimnisvolle dieses kostbaren Augenblicks besteht. Immerhin erinnere ich mich an ein großes, prachtvolles Mädchen, das den ganzen Nachmittag getanzt hatte. Es trug eine Halskette aus Jasminblüten über seinem engen blauen Kleid, das von den Hüften bis zu den Beinen schweißnass war. Es lachte beim Tanzen und warf den Kopf in den Nacken. Kam es dicht an den Tischen vorbei, so ließ es einen Geruch von Körper


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