Pepi, lass mi eine ...!. Peter ElstnerЧитать онлайн книгу.
hatte, wie Mama das von mir verlangte! Und das war gut so.
Aber wo sollte ich Akkordeon lernen? Mama hatte sich schon früher erkundigt, hatte private Lehrer gefragt (zu teuer), sich Musikschulen angesehen und mich auch durch den »Fünften« geschickt: »... schau’n, ob es was Günstiges gibt.«
Nach einigen Beratungen kamen wir überein, ich sollte im Konservatorium der Stadt Wien nachfragen – da gab’s auch eine Möglichkeit, ein Stipendium zu bekommen. Das sollte sehr strengen Maßstäben unterworfen sein – die Gerüchte-Küche brodelte nur so.
Also machte Mama einen Termin aus, mit einem Professor Winklbauer.
Zwei Tage später stand ich im Zimmer des Akkordeon-Lehrers: Ein bisschen mulmig war mir schon, denn ich durfte mir nicht vorstellen, die Prüfung nicht zu bestehen.
Der Musik-Professor war sehr nett, nahm mir bald die Scheu, ließ mich etwas vorsingen – ich sang »Mei Muatterl war a Weanarin« (da hatte ich bei einem Gesangsabend der Mittelschule im Volksbildungsheim inmitten des Schulchores den Refrain »solo« singen dürfen – Mutti war ganz gerührt!), dann sang er was vor – ich musste nachsingen, dann schlug er am Klavier verschiedene Intervalle an, ich musste ihm sagen, wie viele Töne Unterschied – da tastete ich mich über eine Tonleiter heran; er klopfte mit dem Bleistift ein paarmal in einem bestimmten Rhythmus auf die Tischplatte, da erschrak ich – ich durfte nicht innerlich beginnen, nachzuzählen, also ließ ich mein Gefühl entscheiden und sagte, was sich mir innerlich aufdrängte. Und es war alles richtig.
Noch in der gleichen Woche begann der Unterricht bei Professor Winklbauer – ich ging, mit dem Akkordeon auf dem Rücken (da half ein Lederriemen-Gestell), zweimal in der Woche die Kohlgasse hinab und zurück hinauf – eine Konditionsprüfung, da die Kohlgasse am Ende sehr steil war, aber Kraft und Ausdauer hatte ich mir beim Fußballspielen erworben, für das ich natürlich nun weniger Zeit hatte.
Und eines hatte ich gemerkt – ich konnte mich bei vielen Dingen, die ansonsten mit Verstand und Logik zu behandeln sind, eher auf mein Gefühl verlassen, sozusagen auf »meinen guten Stern«. Es ist schwer, das zu erklären, aber irgendwas in dieser Richtung war es.
Ich wurde älter, größer, bestimmter – offenbar kam auch die Pubertät dazu –, ich wurde auch vorlauter, frech möchte ich nicht sagen, da war ich zu gut erzogen. Mama lebte mir Disziplin, Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft – einfach Anstand vor. In dieser Hinsicht war sie – auch unbewusst – mein Vorbild.
Mein Vater ging mir eigentlich in diesem Lebensabschnitt nicht ab. Mama verhätschelte mich als Einzelkind nicht unbedingt, aber manchmal, wenn ich krank war oder irgendwo unterwegs, spürte ich doch, wie sie sich Sorgen machte, mehr als normal, weil sie Angst hatte, möglicherweise nach Vilma auch ihr zweites Kind zu verlieren.
Mamas Watschen
Die Zeiten waren schlecht, aber man konnte sich in kleinen Schritten – auch dank des Wiederaufbaus – immer mehr leisten.
Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre kaufte mir Mutter endlich die heiß ersehnte Lederhose. Sie hatte einen Zippverschluss vorne, was mich zuerst enttäuschte, denn ich hatte mir eine mit einem herabklappbaren Hosentürl gewünscht. Aber als ich sah, wie meine Freunde auf der Gasse nach meiner Lederhose schielten (etwas neidisch), mochte ich sie immer mehr, und im Laufe eines Jahres trug ich sie vom ersten wärmeren Tag im März/April an bis in den Oktober hinein.
Im Herbst (1951/52) kaufte mir Mama dann auch noch hohe Schuhe (»Die brauchst für den Winter!«) – wunderschön glänzend, mit fester Sohle, braun. Ich freute mich, weil ich niemanden in der Gasse kannte, der so schöne Schuhe hatte; führte sie auch gleich aus und ließ mich überall am Heumarkt sehen. Im Laufe meines Spazierganges kam ich auch oben am Margaretengürtel bei der Feuerwache vorbei – und da spielten gerade die Feuerwehrleute Fußball, in ihren hohen, festen Stiefeln.
Als ich ein wenig zuschaute, meinte einer: »Hearst, Burschi, wüst mitspün? Mia san um an z’wenig.«
Das war was – mit den Erwachsenen mitspielen dürfen, auf einem Spielfeld, das sogar mit Torpfosten versehen war. Nur, es war ein Platz, belegt mit dunkler Schlack!
Ich dachte überhaupt nicht nach, lief zu »meiner« Mannschaft, wurde eingeteilt als rechter Flügel (da konnte ich hinten nichts anstellen) – und los ging’s …
Ich rannte meinen gegnerischen Feuerwehrmännern ein paarmal davon, bis mich einer, der sich nicht gern überspielen ließ, mit seinen Feuerwehrstiefeln ummähte. Zwar war ich gleich wieder auf den Beinen, aber ich hatte komplett aufgeschürfte Knie und Handflächen.
Die Feuerwehrler stritten, der »Chef« in meiner Mannschaft, offenbar ein echter, nahm mich in Schutz und fertigte seinen Kollegen streng ab: »Wannst net so vül kicken kannst, dass den Buam fair aufhoitst, dann is eh traurig, dann bist eh oarm!«
»Meine« Mannschaft lag, als es dämmrig wurde, mit einem Tor vorne, wir mussten aufhören. Ich sagte: »Danke für’s Mitspielen!« Mein – sagen wir – Kapitän rief dann noch im Weggehen: »Kannst wieder kumman!« Damit waren der Nachmittag und der Abend für mich fußballerische Glücksmomente – unvergleichlich!
Erst jetzt spürte ich meine aufgeschürften Knie und Hände, das Gewand war blutig, und dann spürte ich noch etwas: Ich trat mit meinen Füßen auf nackten Boden. Meine funkelnagelneuen Schuhe waren durchgetreten, auf den Sohlen durch die scharfkantige Schlacke durchgerieben! Da das Schuhleder auch etwas von der Marke »Pappendeckel« hatte, stand ich »im Freien«.
Daheim versuchte ich, mich an Mama vorbeizuschummeln, aber Mütter haben offenbar einen Beschützerinstinkt, der sich darin äußert, dass sie immer wahrnehmen, wenn’s wo brennt.
»Wie schaust denn du aus? Hast g’rauft, du bist ja komplett aufgeschunden! Komm, lass dich ansehen«, sie zog mich zu ihr. »Jetzt zieh einmal die Schuh aus!« Ich hatte noch am Gang versucht, das Oberleder zu polieren, und ein bisschen glänzten die Schuhe noch.
Jetzt kommt’s, dachte ich mir, jetzt wird’s ungemütlich. Warum hab ich nicht aufgepasst!?
Und schon setzte es was: Ich bekam eine Ohrfeige von Mama. Es war die erste und letzte, sie war nicht fest, aber sie schmerzte mich mehr als tausend Hiebe – sie kam nämlich aus der Verzweiflung, dass alle ihre Mühe umsonst war und ich nun wieder mit Halbschuhen durch den Winter kommen musste.
Die 3 Donalds
In der Ziehharmonika-Klasse des Konservatoriums riefen wir zu jener Zeit ein Mundharmonika-Trio ins Leben, angeführt von Toni Müller, der dieses Experiment auch inszenierte. Er war knapp ein Jahr älter als ich, der Sohn reicher Eltern, die ein Souvenir-Geschäft in der Kärntner Straße, gegenüber der Staatsoper, besaßen.
Seine Eltern statteten uns mit Instrumenten aus:
Toni, schon ziemlich virtuos, spielte die Melodien, auf einer chromatischen Mundharmonika, einer Chromatica II (geht über zwei Oktaven) oder einer Chromatica III (über drei Oktaven). Interessant dabei, dass man mittels eines Schiebers die entsprechenden Halbtöne spielen kann. Ich glaubte es anfangs kaum – aber vom Boogie-Woogie bis zu einem Violinkonzert konnte man alles darauf spielen, wenn man die nötige Übung hatte.
Mich hatte Toni dazu ausersehen, Akkord-Mundharmonika zu spielen, der Dritte im Bunde war ebenfalls ein Konservatoriums-Schüler, Heinz Gitzoller – er spielte Bass. (Er war der Einzige, der bei der Musik blieb – er lernte »nebenbei« Oboe und wurde später bei den Wiener Symphonikern Oboist, einer der wenigen, der aus der leichten Musik kam.)
Da wir alle drei »Mickey-Maus-Heftl«-Anhänger waren (heute würde man »Fans« sagen), nannten wir uns »Die 3 Donalds«.
Wir übten so konzentriert, dass wir bei unserem ersten Antreten bei der Harmonika-WM, die in Wien ausgetragen wurde, gleich einmal den vierten Platz erspielten. Zuerst waren wir über die »blecherne« Medaille enttäuscht, aber als wir registrierten, gegen welche Profis wir uns behauptet hatten, freuten wir uns über unsere Leistung.