Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit. Nikil MukerjiЧитать онлайн книгу.
das Virus absehbar überall Epidemien und führt damit zu einer Pandemie. Saisonale Grippeviren tun das nicht.
Weil dieser Unterschied zwischen saisonaler Grippe und SARS-CoV-2 bekannt war, war auch das pandemische Potential des Virus ohne größere Schwierigkeiten erkennbar.
Nun könnte man einwenden, dass dasselbe Argument für SARS-CoV, also den Erreger des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (SARS), gegolten hat. Die Verbreitung dieses Virus ließ sich 2003 aber erfolgreich eindämmen, nach weltweit 8000 Fällen und 800 Todesopfern.
Auch dieses Gegenargument übersieht grundlegende Unterschiede zwischen SARS-CoV und SARS-CoV-2: Zwar bestehen tatsächlich viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Erregern. So gehören beide zur Familie der Coronaviren, teilen etwa 86 % des Erbguts und werden vorrangig durch Tröpfcheninfektion übertragen. Das klinische Bild ist ebenfalls ähnlich: Beide Viren befallen die Atemwege und können schwere Krankheitsverläufe nach sich ziehen.
Gleichzeitig unterscheiden sich die beiden Erreger aber in mehrfacher Hinsicht. Die wichtigsten Unterschiede liegen in der Kontagiosität und in den Symptomen der verursachten Erkrankungen. So ist SARS-CoV-2 ansteckender als SARS-CoV. Zudem verläuft eine Infektion mit SARS-CoV-2 anders als eine Infektion mit SARS-CoV. Bei vielen Patienten führt sie nur zu milderen (oder sogar eventuell zu gar keinen) Symptomen, was es vergleichsweise schwerer macht, Ansteckungen früh zu erkennen und Ansteckungsketten durch geeignete Maßnahmen zu unterbrechen.
Diese Unterschiede waren früh bekannt, und wer sie zur Kenntnis nahm, musste erwarten, dass sich die Eindämmung von SARS-CoV-2 deutlich schwieriger gestalten würde als die Bekämpfung von SARS-CoV.
Das Schadenspotential von SARS-CoV-2 war erkennbar
Wer die Thesen 1 und 2 akzeptiert, wer also einräumt, dass Pandemien erwartbar sind und auch die Covid-19-Pandemie früh absehbar war, könnte dennoch die Berechtigung von These 3 bestreiten. Sie besagt, dass nicht nur das pandemische Potential von SARS-CoV-2, sondern auch sein Schadenspotential früh erkennbar war.
Wer diese These verneint, könnte ins Feld führen, dass das pandemische Potential eines Erregers nicht als solches auf ein hohes Schadenspotential schließen lässt. Es sind Krankheitserreger denkbar, die zwar die gesamte Weltbevölkerung infizieren, aber nur sehr milde Symptome verursachen und so gut wie niemanden schlimmer schädigen. Die (H1N1)pdm09-Influenza-Pandemie von 2009, die sogenannte Schweinegrippe, könnte in diesem Zusammenhang als Beispiel dienen.
Allerdings hinkt auch dieser Vergleich: Der erste wichtige Unterschied besteht in der unterschiedlichen Basisreproduktionszahl R0 der beiden Erreger. Der R0-Wert des (H1N1)pdm09-Virus, das 2009 die Schweinegrippe-Pandemie verursachte, wird auf etwa 1,4 geschätzt. Der entsprechende Wert von SARS-CoV-2 wurde schon Anfang Januar in einer Studie des New England Journal of Medicine aber auf 2,2 geschätzt. Unter der Voraussetzung, dass diese Zahlen korrekt sind, lässt sich also zumindest näherungsweise die Personenzahl bestimmen, die sich voraussichtlich mit dem jeweiligen Erreger infizieren würde. Die Formel lautet:
Anzahl Infizierte (zum Ende der Pandemie) = (1 – 1/R0) × Weltbevölkerung
Da die Weltbevölkerung im Jahr 2009 6,85 Milliarden betrug, ergibt sich für die Schweinegrippe bei unkontrollierter Ausbreitung ein Schätzwert von 1,96 Milliarden Infizierten, also von 32 % der Gesamtpopulation. Tatsächlich schätzt man in der Rückschau, dass die Verbreitung bei 11 % bis 21 % gelegen hat. Die Differenz lässt sich durch die eingeleiteten Maßnahmen erklären.
Wie sieht die Prognose für SARS-CoV-2 aus? 2020 zählt die Weltbevölkerung 7,79 Milliarden Menschen. Unterstellt man einen R0-Wert von 2,2, ergibt sich, dass sich schätzungsweise 54,5 % der Weltbevölkerung infizieren werden, bevor die Pandemie ausläuft. Das entspricht 4,25 Milliarden und im Vergleich mit der Schweinegrippe einem doppelt so hohen Wert. (Das »Covid-19 Response Team« des Imperial College London kommt in einer Modellierungsstudie sogar zu einer Schätzung von 7 Milliarden Infektionen, beruhend auf einer Basisreproduktionsrate von 3.)
Der zweite Unterschied liegt in den Letalitäten von (H1N1)pdm09 und SARS-CoV-2, also den unterschiedlichen Sterberisiken, die mit den beiden Viren verbunden sind. Wenn man die Anzahl der Toten der Schweinegrippe auf 284 500 schätzt, dann ergibt sich eine Letalität von 0,02 % bis 0,04 %. Für SARS-CoV-2 ist die Letalität zwar noch nicht genau bekannt, doch war bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt deutlich geworden, dass sie zumindest um ein Vielfaches höher liegen könnte als die Letalität von (H1N1)pdm09.
Aus den chinesischen Daten ergibt sich basierend auf den erfassten Fällen zum 29. März 2020 ein rechnerischer Wert von 4 %. Diese Zahl lag bereits Ende Januar bei etwa 3 %. Diese Schätzung ist mit ziemlicher Sicherheit zu hoch, da von einer signifikanten Dunkelziffer der Infektionen auszugehen ist. Allerdings begegnen wir gegenwärtig auch in Südkorea, das hervorragend testet und dadurch die Dunkelziffer deutlich reduziert, einem Wert von etwa 1,6 %. In Deutschland liegt die Sterblichkeit zum selben Datum bei etwa 1,46 %.
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