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Ich war begeistert. Stefan GroßmannЧитать онлайн книгу.

Ich war begeistert - Stefan Großmann


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noch nicht. Ach, welche Entstellungen unseres Selbst malt uns beharrliche Not ins Gesicht! Landauer, geschaffen zum großen Universitätslehrer, mußte die Fülle seines universellen Wissens vor Damen ausschütten, die von Tee zu Tee klapperten und plapperten, wenn er mit Frau und Kindern nicht glatt verhungern wollte.

      »Du mußt bei mir wohnen«, das war Landauers Vorschlag am dritten Tag meiner Anwesenheit in Berlin. Als junger Mensch entschließt man sich zu solchen Gemeinschaften, ohne allzuviel nachzudenken. Ich hing in der Luft. Alle vier, fünf Wochen brachte ich einen kleinen Aufsatz zustande, der erste erschien damals in Hardens Zukunft, der zweite, mir noch wichtiger, ein Essay über Montaigne, in der Frankfurter Zeitung. Mit den vierzig, fünfzig Mark, die ich auf diese Weise einnahm, konnte ich kaum leben. Andererseits hätte man es für entehrend gehalten, für die Beiträge in Landauers Sozialist Honorar zu nehmen. Dagegen schien es zulässig, das Angebot des Freundes anzunehmen, ein Zimmer seiner kleinen Wohnung mit Beschlag zu belegen und mitzuessen an seinem kargen Abendtisch.

      Mittags war ich nie zu Hause. Wenn wir, Annie R. und ich, von Theaterkanzlei zu Theaterkanzlei sausten, dann pflegten wir einen kleinen greulichen Imbiß in den akademischen Bierhallen, einem Kellerlokal in der Nähe der Universität, einzunehmen. Wir mußten haushalten und durften keine Zeche über eine Mark machen. Aber das Lachen von Annie R. eroberte auch die akademischen Bierhallen, man schaute in unsere Nische, wie ich seinerzeit nach ihrer Ecke im Griensteidl ausgelugt hatte, und wahrscheinlich gab es unter den Studenten auch einige Gabriel Grams, die mit Sehnsucht und ein wenig Neid in unsere Ecke schielten. Aber war ich denn zu beneiden? Meine politischen Freunde, die Unabhängigen, Landauer selbst, sahen mich mit einigem Mitleid an. Ich kam aus der Rolle des armen Asra, der täglich bleich und bleicher wurde, nicht heraus. Vielleicht lag in dieser Schwärmerei, die nicht ihren natürlichen Ausweg finden konnte, ein ungesundes Element. Die Mitarbeiter des Sozialist, die sich zwanglos trafen, beschlossen auch im Interesse der freisozialistischen Bewegung bei Annie R. zu intervenieren. Eines Tages, während ich in der Druckerei war, klopfte eine Deputation von drei Genossen an Annies Tür. Sie war erstaunt. Was wollten die revolutionären Politiker von ihr, die nichts wollte als eine dankbare Rolle im Wallner-Theater? Die Deputation ließ sich nieder. Einer sah den anderen an. Keiner wollte mit der Rede recht heraus. Endlich sagte der energischste der drei Genossen: »Sie müssen nämlich wissen, Fräulein, daß Großmann für die Bewegung viel mehr leisten könnte, wenn …« Er stockte. Der zweite wollte aushelfen: »Es ist nämlich auch vom hygienischen Standpunkt aus gewiß nicht gesund für ihn. Er sieht ja jämmerlich aus.« Schließlich platzte der dritte heraus: »Sie sind es einfach der revolutionären Bewegung schuldig, ihn zu erhören!« Das Lachen, mit dem Annie antwortete, soll, wie mir die Deputation später erzählt hat, über eine halbe Stunde gedauert haben. Ach, sie gab im Grunde der Deputation ganz recht, und mit einem Händedruck versprach sie den Genossen, für die Bewegung so ziemlich alles zu tun, was in ihren Kräften stand.

      Ich habe lange Zeit gehabt, aus dem Berliner Traum zu erwachen. Eines Abends legte sich plötzlich unter dem dunklen Stadtbahnbogen der Friedrichstraße eine schwere Hand auf meine Schulter. Ich war verhaftet. Eine halbe Stunde später saß ich in einer Untersuchungszelle auf dem Alexanderplatz. Ich zerbrach mir den Kopf, was ich denn angestellt haben könnte, es war nicht zu erraten. Im Polizeipräsidium hatte man meine Taschen durchsucht, und in einer Brieftasche fand sich eine kleine spöttische Glosse über Wilhelm II., der damals gerade mit Hilfe seines Leibmalers Knackfuß ein Bild unter dem Titel Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter verfaßt hatte, ein dummes Bild gegen die gelbe Gefahr. Aber dieses Manuskript lag ja noch unveröffentlicht in meiner Brieftasche, und ich konnte doch nicht wegen einer Äußerung verhaftet werden, die ich ja noch in den Falten meines Gewandes trug. Ein Kommissar der politischen Polizei verhörte mich, und ich lernte den potenzierten Kasernenton kennen, diese Mischung von Quälerlust und unbewußter Brutalität. Nach einigen Verhören hatte ich eine dunkle Ahnung, um was es sich handelte. Landauer hatte sich vorher den Spaß gemacht, die politische Polizei und ihre Spitzel ein bißchen an der Nase herumzuführen. Irgendein Denunziationsbrief muß bei der Polizei eingelaufen sein, und sie hielt mich für einen Urheber dieser Neckereien. Und da sie keinen Spaß verstand, so nahm sie mich hopp. Nach drei oder vier Tagen stellte sich heraus, daß ein Verfahren gegen mich unmöglich war. Aber da ich Österreicher war, so wurde ich, wie die schöne Formel noch heute heißt, »als lästiger Fremder« ausgewiesen. Es wurde mir eine Frist von drei Tagen gewährt. Als ich wieder auf dem Alexanderplatz stand, bemerkte ich, daß ich nicht einmal eine Geldbörse bei mir hatte. Annie R., von deren Seite ich unter dem Stadtbahnbogen weggerissen worden war, trug sie in ihrer Tasche. Was war zu tun? Ich mußte nach Pankow hinaus. Der Weg vom Alexanderplatz dorthin zieht sich in die Länge. Ich brannte darauf, Landauer und Annie, die sicher bei ihm wartete, die Nachricht von meiner Befreiung zu geben, und nun sollte ich zwei Stunden lang marschieren, weil ich nicht einmal das Geld für die Straßenbahn in der Tasche hatte? Dazu kam, daß ich mich in der Stadt, die allen fremd bleibt, gar nicht auskannte und den Weg nach Pankow nicht wußte. Vorläufig marschierte ich also gegen das Stadtzentrum zu, in der Hoffnung, daß mir allmählich irgendeine Lösung einfallen würde. Bei irgendeiner Gelegenheit drehte ich mich um und bemerkte, daß mir zwei Detektive folgten. Nun also, dann war die Lösung ja gegeben. Ich ging auf die beiden zu und sagte: »Entweder müssen Sie mir das Fahrgeld für die Straßenbahn leihen, oder Sie müssen mich zu Fuß nach Pankow begleiten.« Die Polizisten, über die Zumutung eines so weiten Marsches erschrocken, beeilten sich, mir zwanzig Pfennige zu übergeben, und so fuhren wir wortlos, und doch durch eine gemeinsame Schuld verbunden, zu Landauers Wohnung. Vor oder gar in das Haus des Feindes wagten sich die Agenten nicht. Sie hielten sich in einiger Entfernung von Landauers Haus. Wir hätten gern ihre Gesichter gesehen, als wir ihnen durch ein Mädchen den entliehenen Betrag zusandten, aber die Polizei hielt es nicht für ratsam, sich direkt unter den Fenstern Landauers aufzupflanzen.

      Die Agenten hatten die Absicht, während dieser drei Tage unsere Spuren nicht aus den Augen zu verlieren. »Aber das geht nicht«, rief Landauer, »wenn du schon einmal mit der Polizei verhandelt und von ihr ein Darlehen aufgenommen hast, dann bitte, verhandle noch einmal mit ihr und sage, daß sie uns in Ruhe lassen solle. Es wird uns ja der ganze Spaß an den drei Tagen verdorben, wenn wir diese Visagen dauernd hinter oder neben uns haben.« Als wir am anderen Morgen das Haus in Pankow verließen, trat ich auf die beiden »Geheimen« zu und schlug ihnen vor, daß ich sie gern am Abend an einem vereinbarten Ort wieder treffen wolle, damit sie sich von meiner Existenz überzeugen könnten, dieses ewige Nachgerenne aber sei uns lästig und das könnten wir uns nicht gefallen lassen. Die beiden schwerfälligen Gestalten zuckten die Achsel: »Dienst! Muß sein.« Als ich Landauer das Scheitern meiner diplomatischen Verhandlungen meldete, fuhr er auf: »Das sollen sie büßen.« Im Nu hatte er einen Schlachtplan entworfen. Die drei Tage wollten wir genießen, wie wir in Berlin noch keine genossen hatten. Ich weiß nicht, woher Landauer plötzlich sein kleines Kapital aufgetrieben hatte, aber von dem Augenblick des Scheiterns der diplomatischen Verhandlungen an sind wir in diesen drei Tagen überhaupt nicht mehr zu Fuß gegangen. Wir fuhren in den schnellsten Droschken, und immer mußten die armen Wichte hinter uns einsteigen. Die Spesen der polizeilichen Überwachung stiegen von Stunde zu Stunde. Mittag fiel es Landauer nicht ein, in die akademischen Bierhallen oder zu Kempinski zu gehen, nein, wir saßen in einem Separé eines pompösen Berliner Weinlokals, und die armen Wichte der Polizei mußten unten in der Gaststube warten, bis unser stundenlanges Symposion beendet war. Flugs saßen wir wieder in der flinksten Droschke, dann lief man quer durch ein Haus unter den Linden, dann stürzte man in größter Eile bei dem einen Eingang des Café Bauer hinein und bei dem anderen wieder hinaus, wieder in die Droschke, wieder in ein anderes Lokal, und so ist es uns gleich am ersten Tage gelungen, die Polizei von unseren Fersen zu schütteln. Ganz demütig sprachen die armen Burschen am nächsten Morgen in Pankow bei uns vor und baten, im Interesse ihrer Kasse und eines etwas erleichterten Dienstes, wir möchten ihnen doch unser Tagesprogramm vorlegen, und sie würden uns, wenn wir uns ihnen nur zweimal am Tage an den vereinbarten Stunden zeigten, ungestört tun lassen, was wir wollten. Die drei Tage vergingen im Rausch. Es wurde beschlossen, daß ich doch nicht wieder nach Wien zurück sollte. Sollte ich allein im Café Griensteidl sitzen? Nein, Wien war jetzt nicht für mich zu ertragen. Ich wollte nach Brüssel gehen und dort zu den Füßen von Krapotkin und Elisee Reclus kommunistische Theorie lernen.

      Annie


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