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Nacht und Hoffnungslichter. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Nacht und Hoffnungslichter - Йозеф Рот


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in den fast immer poetisch durchsetzten Feuilletons, jenen Gebrauchstexten, von denen der Autor leben musste und mehr und mehr leben konnte.

      »Manchmal ist die Welt kleinwinzig wie ein Ameisenhaufen, so daß man ordentlich den Respekt vor ihr verliert«, heißt es in einem frühen Feuilleton-Text. Es spricht sich hier eine Weltfremdheit aus, die generell ist und aus der das poetische Schaffen Roths erwächst. Die Fremdheit des jungen Gefühlssozialisten und später ebenso romantischen »Monarchisten« ist eine vielfache, es gibt da, Kafka durchaus nicht unähnlich, eine Fremdheit, die mit der jüdischen Herkunft einhergeht. Es gibt ferner, weniger oft vermerkt, die Fragilität männlicher Identität. Weltverlorenheit stellt sich historisch zwiefach ein, als Ergebnis des Ersten Weltkriegs, der den Staat hinwegspült, in dem Roth höchst peripher geboren wurde, und als Folge des sich ankündigenden Scheiterns des sozialistischen Experiments in Russland. Fremd bleiben Roth zudem lebenslang jene urbanen Zentren, von denen er sich zugleich angezogen fühlt, so sehr, dass er lange vor dem Ende der Weimarer Republik Paris zum provisorischen Lebensmittelpunkt erkoren hat. Roth befindet sich, lange vor dem inneren Bruch mit dem marxistischen Sozialismus, auf einer permanenten Suche nach einer politischen Heimat. Er möchte sich so gerne mit etwas und jemand identifizieren, mit Friedrich Ebert oder mit Kaiser Franz Joseph, und vermag es doch eigentlich nie, weder als Linksrepublikaner noch als Über-Monarchist, in dem doch insgeheim sehr viel von seiner unbestimmten Linksorientierung der Jugendzeit bleibt, etwa seine Gegnerschaft zu Deutschnationalismus, Militarismus, völkischem Denken und schlussendlich zum Nationalsozialismus – politische Phänomene, mit denen sich Roth schon sehr früh beschäftigt hat, als Berichterstatter des Hitler-Ludendorff-Prozesses, aber auch in seinem frühen Roman Das Spinnennetz.

      Der Raum des Literarischen erlaubt Roth eine Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit zu etablieren, aus der vor allem das literarische Werk seine innere wie äußere Spannung des Wortes bezieht. In literarischen Texten, aber auch an den heute nicht mehr existenten, an Kraus und Polgar geschulten Formaten des Feuilletons müssen nicht endgültige Urteile gesprochen werden – was Anteilnahme für die einen oder Spott für die anderen nicht ausschließt, so etwa, wenn ein »neugegründeter Sicherheitskörper« in der Custozzagasse einen »italiänischen« Revolver erbeutet und ganz kurz am Horizont jene Schlacht aufscheint, die nicht in der Custozzagasse, wohl aber zu Custozza stattgefunden hat. Dieser »Sicherheitskörper« sieht dem heutigen übrigens zum Verwechseln ähnlich.

      RUDOLF OLDEN:

      NACHRUF AUF EINEN FREUND

      »In der Redaktion des Neuen Tag war ich zusammen mit Alfred Polgar, R. A. Bermann, – bekannter als Arnold Höllriegel –, mit Karl Tschuppik, Egon Erwin Kisch, dem Zeichner Carl Josef, Karl Otten. Oft kam spät abends ein sehr magerer und sehr stolzer junger Mensch, dessen kurze Manuskripte Tschuppik mit zur Schau getragenem Respekt übernahm. Auch er war ein eben abgerüsteter Offizier. Man wußte nichts von ihm, als daß er auf eine besondere Art sah und Joseph Roth hieß. […]

      Ich zweifle, ob wir wirklich eine gute Zeitung gemacht haben. Die Arbeiter-Zeitung hieß die erste Nummer des Neuen Tags mit einer freundschaftlichen Notiz willkommen. Aber eine Woche später hatte Friedrich Austerlitz, der große Journalist, der ein grausamer Polemiker sein konnte, uns en gruppe genommen, und wir sind das ganze Jahr nicht mehr aus der Polemik herausgekommen. Eigentlich sollte sie doch die Bürger mit den neuen Dingen versöhnen und, oh oft geträumter Traum, die böse alte Neue Freie Presse entthronen. Nun war stattdessen der tägliche Bruderkrieg. Darunter wird die Qualität der Zeitung wohl gelitten haben, und ich zweifle, ob sie war, was sie hätte sein können. Aber ich weiß, daß es die einzige Redaktion gewesen ist, die mir jemals Spaß gemacht hat, und das bißchen, was ich journalistisch kann, habe ich dort von Karpeles [Benno Karpeles, Gründer und Herausgeber des »Neuen Tags«] und Bermann gelernt. Ein Jahr lang, wie gesagt, dauerte das Vergnügen. Eine Zeitschrift und eine Zeitung, das ist teurer als ein Rennstall, und außerdem fraß inzwischen hinterrücks die Inflation Karpeles’ Vermögen auf. Wir wurden tückisch verkauft. Karpeles ging beleidigt weg, als seine souveräne Unabhängigkeit in Frage gestellt war. Eine Woche später gab der Kreis, den ich genannt habe, dem neuen Eigentümer den Rat, die Sache aufzugeben. Sie wollten nicht mehr mitmachen. Ungewöhnliches Ende einer Zeitung, von den eigenen Redakteuren gesprengt zu werden!«

      Das Neue Tage-Buch, Jg. 6, Heft 6, 5.2.1938

JOSEPH ROTH: WIENER SYMPTOME

      WIENER SYMPTOME

       Mai und Mais

      Fast hätte ich geglaubt, es wäre ein fataler Druckfehler im himmlischen Verordnungsblatt. Als der Mai trotz Abschaffung der Sommerzeit noch über die Welt kam und das Maisbrot noch auf den Tisch, kostete ich noch einmal das erhabene Gefühl des Durchhaltens in vollen Zügen und würzenden Bissen, schwamm ich in goldgelben Reminiszenzen aus der Zeit, in der man Gold für Maisbrot gab, das schwer verdaulich war wie ein Kriegsbericht und zwerchfellblähend wie ein A-Befund …

      Es kommt just zur rechten Zeit: Dieweil Paris Kriegsschlüsse diktiert, erinnert sich das Wiener Volksernährungsamt nicht mit Unrecht des Mai, der jahrelang »Offensive«, und des Maises, der »Volksnahrungsmittel« hieß, und unternimmt mit dem letzteren die erstere gegen die Wiener Bevölkerung. Keiner weiß, woher er kam, der Mais. Name und Art nur kennen wir zur Genüge. Stammt er etwa noch aus den Vorratskammern des ukrainischen Brotfriedens? Drischt man ihn aus den Ähren jener Felder, deren Ähren man zerstampft? Oder ist er eigens zurückbelassen aus jenen Jahren straffster Drosselungen als sinniges Maisgeschenk zum Zeichen des Friedensschlusses? Oder als Abschiedsgruß einer aus der Kommune scheidenden Partei? Etwa: im Weltkrieg habe ich dein, o Wiener, gedacht. Drum hab’ ich dir zum Frieden dies dargebracht?! …

      Es ist jedenfalls ein kunstvoll dramatischer Aufbau in der Wiener Brotversorgung der letzten Wochen zu sehen. Nach dem Höhepunkt des Weißbrotes die Peripetie des Maisbrotes. Allen dramatischen Regeln zum Trotz unterbleibt hoffentlich die Katastrophe. Denn dieses goldgelbe Verhängnis ist an und für sich schon sinniger Abschluß einer gastrischen Tragödie, auf gefallenem Vorhang ein Fragezeichen, an Paris, ernste Mahnung an übermütig gewordene Zwölffingerdärme, Schlußakkord der 42-Zentimeter-Haubitzensymphonie, Punkt und Pause hinter der ganz ungenügend ausgefallenen Hausarbeit über die große Zeit … Alles in allem: ein Wiener Symptom …

       Schokolade

      Ich sah eine Rippe um zwei Kronen vierzig in der Auslage. Ein blondes Mäderl, barfuß, Hunger in den blauen Kinderaugen, stand davor. Im Anblick der schwarzbraun glänzenden Schokoladerippen wurde Fames vulgaris (gemeiner Hunger) zu beflügelter Sehnsucht, gierig-körperliches Verlangen zu beschwingtem Himmelanstreben, animalische Angelegenheit zur rein seelischen. So etwa sieht der Himmel dieses Kindes aus: braun und mit Schokolade tapeziert. Und diese kleine Rippe um 2 Kronen 40 ist die Schwelle, über die man ins Himmelreich tritt …

      Schokolade! Sie trägt eine Zürcher Marke und ist sicher durch den Schleichhandel in die Anlage geschmuggelt worden. Ich aber vergebe und vergesse in diesem Augenblick allen Schleichhändlern der Welt ihr Preistreiben für bloßen Anblick. Dem Feinde neben mir ist die Rippe die Schwelle zum Himmelreich. Mir – Schwelle am Tor der Zukunft. Durch wie viele Länder mit Grenzen, Verzollungen, Repetitionen, Vidierungen, Visitationen mußte diese Rippe wandern, ehe sie ins Schaufenster des Zuckerbäckers Thomas Helferding gelangte! Und nun ist sie da: Aller Völkerfeindschaft, Seelenverhetzung zum Trotze, ein schwarzbraun glänzendes Zeichen ewiger Völkergemeinschaft!

      Still standen wir da und schmeckten die Herrlichkeiten schlaraffenländischer Zukunft. Unsere Augen schimmerten in Liebe, Sehnsucht und Verehrung. Unser Blick ward Gebet.

      Dann ging ich in den Laden und kaufte eine Rippe. Brach sie sorgfältig und gab dem barfüßigen Mädchen die Hälfte. Und aß die andere selbst. Und wetteiferte mit dem Kinde im Kindsein …

      Josephus

      Der Neue Tag, 18.5.1919

      KAFFEEHAUSFRÜHLING

      Er offenbarte


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