KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL. Klaus HübnerЧитать онлайн книгу.
sporadisch und ohne große Ansprüche. Ich mache kaum Spielchen daraus. Das Einzige, was ich bislang getan habe, ist, einzelne Ausdrücke aus diesen Sprachen in die Texte einfließen zu lassen. Das vor allem mit der Absicht, im Leser ein wenig Neugierde zu wecken und auch das Gefühl zu erzeugen, wie es sein kann, wenn man keine Ahnung hat, was so ein Wort in einem Text, den man vollständig versteht, eigentlich bedeutet. Aber das ist eher als Streich gedacht, nicht als anspruchsvolles Spiel mit der Sprache, das natürlich einige Autoren auf eine bewundernswerte Weise betreiben. Ich denke dabei an Yoko Tawada. Das ist höchste Sprachkunst, die an Magie grenzt. Doch das kann nicht jeder. Auf jeden Fall kann das auf diesem Niveau kaum jemand außer ihr. Deshalb verzichte auch weitgehend auf solche Mittel.
Es gibt die oft strapazierte Metapher vom »Brückenbauen« – Brücken zwischen den Kulturen, Brücken zwischen den Sprachen … Sie haben mal gesagt: »Gott schuf keine Brücken.« Wie meinen Sie das?
Das ist ein Begriff, der eigentlich kaum hinterfragt wird. Doch ich habe mich gefragt, was dieser Begriff in Anbetracht meiner Lebensumstände bedeutet. Ich bin mit einer Österreicherin verheiratet, einer Wienerin, genauer genommen. Ihre Mutter ist auch in Wien geboren. Der Großvater jedoch stammt aus Pula, Kroatien, das damals Teil der k.u.k.-Monarchie war. An sich ist das ja eine perfekte Ausgangslage, um als Brückenbauer aufzutreten. Nur hat mich irgendetwas an den Begriff gestört, abgesehen von der inflationären Verwendung. Ich habe die Familie meiner Frau und meine eigene Familie miteinander verglichen. Die Hintergründe, die Wünsche, die Verhaltensweise und die Probleme waren quasi identisch. Alles, was nicht individuell bedingt war, war wirklich deckungsgleich. Und da habe ich mich schon gefragt: Zwischen wem soll ich da Brücken bauen? Oder soll ich nur so tun, als ob ich Brückenbau betreibe, um dann zum Schluss zu kommen, dass Brücken gar nicht notwendig sind? Auf dem Balkan ist die Brückenbaumetapher in der Tat sehr beliebt. Sobald man Geld für eine Brücke auf dem Balkan braucht, ist Geld da. Ich glaube aber, dass auf dem Balkan eine vernünftige Vergangenheitsbewältigung im Moment wichtiger wäre als alles andere.
Gott hat alles Mögliche erschaffen, Brücken allerdings nicht. Doch zurück zum bildlichen Brückenbau. Meiner Meinung nach geht es nicht bloß darum, über eine Brücke zu gehen, um dem Anderen, dem Nachbarn, dem Fremden zu begegnen. Es kommt vor allem darauf an, wie man über die Brücke geht. Denn über die Brücke gehen ja die Waffen wie das Brot. Die Kinder und die Soldaten. Mein Gedanke ist aber, dass, wenn es diese Brücken nicht gäbe, die Menschen gezwungen wären, zum anderen Ufer zu schwimmen. Und einer, der einen Fluss schwimmend überquert, kommt ganz anders an als einer, der über die Brücke gegangen ist. Ich glaube, dass unsere Kultur die Brücken überschätzt und das Schwimmen vernachlässigt hat.
Sind Sie ein Rebell? Ein Sprachrebell? Gibt es für Sie literarische »Hausheilige«? Welche?
Ich beginne mit den literarischen Hausheiligen. Die gibt es tatsächlich, aber das hält sich in Grenzen. Es sind genau genommen drei Bücher: Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Vittorinis Conversazione in Sicilia und Hemingways Der alte Mann und das Meer. Auch eine Person ist meine literarische Hausheilige: meine Großmutter. Diese Konstellation bringt es mit sich, dass man mitunter als »Rebell« wahrgenommen wird. Rebellieren ist ja positiv konnotiert. Es gibt vielleicht welche, die »Querulant« dazu sagen würden. Entscheidend ist, worum gerungen wird und wie. Nur als Sprachrebell würde ich mich nicht bezeichnen. Mein einziger Anspruch ist, so verständlich wie möglich zu schreiben. Ich will weder schön noch anspruchsvoll schreiben, sondern nur klar. Das ist doch nicht rebellisch, oder?
Womit beschäftigen Sie sich heute? Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich bin damit beschäftigt, mir eine neue Biografie zusammenzuschustern, über die ich dann einen Roman schreiben kann. Das ist mein jetziges Projekt. Und mein wichtigster Plan ist, mindestens tausendfünfhundert Euro monatlich nach Hause zu bringen, ob als Autor oder als Arbeiter, ist nicht relevant. Und, um das Interview nicht so desillusionierend abzuschließen: Ich möchte weiterhin Texte schreiben, die zeigen, dass man Menschen anhand ihres Charakters und ihrer Eigenschaften unterscheiden kann, aber keineswegs anhand ihrer Herkunft. Ich bin ein Gerechtigkeitsfanatiker. Ich habe gehört, das kommt davon, wenn man zu viele Proteine isst.
Ilir Ferra, vielen Dank für das Gespräch!
Der komische Alte. Eine anrührende Geschichte vom Ende des Lebens
Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr schreibt Marjana Gaponenko Gedichte und Prosa in deutscher Sprache. Das eigenwillige Deutsch fällt an ihrem ersten Suhrkamp-Roman sogleich auf: ausladend und schwelgerisch, radikal romantisch, weder hohes Pathos noch kapriziöse Wortschöpfungen scheuend, vor Stilbrüchen nicht zurückschreckend – eine ungewöhnliche Kunstsprache, die sich seltsamerweise leicht und angenehm liest. Obwohl die Autorin nichts Angenehmes erzählt, sondern sich – grundiert von aufmerksamer, einfühlsamer, ja zarter Menschenfreundlichkeit – in die letzten Lebenswochen eines alten Mannes hineinfabuliert.
Luka Lewadski, emeritierter Professor der Zoologie mit Schwerpunkt Vogelkunde und lebenslanger Musikliebhaber, sechsundneunzig Jahre alt, noch ganz rüstig, aber auch schon mal ohne sein überlebensnotwendiges Gebiss in die Innenstadt trippelnd, hat gerade erfahren, dass nichts mehr zu machen ist: unheilbares Lungenkarzinom. Chemotherapie? Unsinn! »Das Bedürfnis, im Luxus zu sterben, in dem er nie gelebt hatte, breitete sich in Lewadski wie ein Scheunenfeuer aus … Ich lasse den Krebs Krebs sein, dachte er, für den zahle ich keine müde Kopeke. Stattdessen fliege ich nach Wien.« Mit den Wiener Großtanten hatte er schon als Kind im schönsten Hotel der Stadt Sahnetorten verspeist, ehe er im Goldenen Saal des Musikvereins noch ganz andere Genüsse kennenlernen durfte. Gesagt, getan. Der Grandseigneur aus Lemberg steigt im Hotel Imperial ab. Habib, ein aus Palästina stammender Jungwiener, kümmert sich um ihn, und Bekanntschaft mit einem gleichaltrigen Hotelgast ist schnell geschlossen. Lewadskis fast ein ganzes Jahrhundert mittel- und osteuropäischer Geschichte umfassendes, in originellen Träumen und aufschlussreichen Erinnerungen ausgebreitetes Leben geht, nicht ohne geradezu slapstickreife Szenen, in einer Luxussuite mit Butlerservice, im benachbarten Musikverein und in der opulenten Hotelbar höchst stilvoll dem Ende zu. Mit erstaunlicher Souveränität setzt Marjana Gaponenko ihrem Helden ein herzergreifendes und zugleich überaus komisches Denkmal. Wie bitte? Wer diese Martha ist? Ach was! Lesen Sie selbst!
Marjana Gaponenko: Wer ist Martha? Roman. Berlin 2012: Suhrkamp Verlag. 239 S.
Es wird ein Wein sein … Skurriles aus dem Reich der Pferdekutschen
Der Roman Wer ist Martha?, für den die 1981 in Odessa geborene Marjana Gaponenko 2013 den Adelbert-von-Chamisso-Preis erhielt, ist ein für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ungewöhnlich skurriles Buch. Spätestens seit der damaligen Preisverleihung weiß man, dass diese Autorin nicht nur außerordentlich gute, passagenweise bis zum Brüllen komische Romane schreibt, sondern auch einer anderen intensiven Leidenschaft nachgeht: Sie liebt Pferdekutschen und Kutschpferde, und in der Welthauptstadt der Fiaker hat sie alle Gelegenheit dazu, diese Liebe auszuleben. Kein Wunder also, dass die Wiener Gesellschaft und das Reich der Pferdekutschen in Gaponenkos jüngstem Roman entscheidende Rollen spielen. Das macht den Einstieg in Das letzte Rennen nicht unbedingt leicht, denn die Welt der Pferde und Kutschen dürfte den meisten Lesern kaum vertraut sein. Doch ein paar Seiten genügen, und schon hat der Roman den Leser im Griff – man liest gebannt weiter, schmunzelt und grinst und wird gelegentlich von nicht zu vermeidenden Lachanfällen heimgesucht. Und nebenbei lernt man allerhand fürs Leben.
Der gelernte Maschinenbauingenieur Adam Nieć hat vor vielen Jahren seine Heimatstadt Krakau verlassen und mit der Erfindung eines ölfreien Verdichters für Bremsen ein Vermögen gemacht. Adam lebt in Wien. Österreich hält er für ein »angenehm zurückgebliebenes, sozialistisches Land …, allerdings pfiffiger und unkomplizierter als Polen«. Auf den Praterwiesen hat der die Fremdsprache Deutsch mit stark jiddischem Akzent sprechende Flüchtling ein wahrlich prächtiges Gestüt samt Kutschensammlung aufgebaut. Und zudem hat Adam seine Leidenschaft für Ponys und Fiaker seinem einzigen Sohn weitergegeben,