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Wem gehört die Zukunft?. Jaron LanierЧитать онлайн книгу.

Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier


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      Jaron Lanier

      Wem gehört die Zukunft?

      Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne, du bist ihr Produkt

      Aus dem amerikanischen Englisch von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer

      Hoffmann und Campe

      Für alle Menschen, die meine Tochter später einmal kennenlernen wird.

       Ich hoffe, dass sie ihren Platz in einer Welt erfinden wird, in der es normal ist, Erfolg zu haben und Erfüllung zu finden.

      Vorwort

      Bereits als Teenager in den siebziger Jahren wurde ich zum digitalen Idealisten. Schuld daran ist eine Anekdote aus der Musikgeschichte: Afroamerikanischen Sklaven war es lange Zeit verboten, Trommeln zu spielen, weil Trommeln als Kommunikationsmittel genutzt wurden. Die Sklavenbesitzer fürchteten, dass die Trommeln dazu verwendet werden könnten, Revolten zu organisieren.

      In der Menschheitsgeschichte war der Mensch schon immer sich selbst der ärgste Feind, und wann immer jemand andere unterdrückt, versucht er auch, die Kontrolle über die Kommunikationsmittel zu erlangen. Digitale Netzwerke erschienen mir und meinen Mitstreitern damals, als sie aufkamen, als neue Wendung in einem alten Spiel. Ein digitales Netzwerk passt sich Fehlern und Schwachstellen ständig an, indem es sie einfach umgeht. Das entspricht seiner »Natur«. Daher wäre es schwierig, so unsere damalige Meinung, ein digitales Netzwerk zu dominieren. Die digitalen Netzwerke könnten als Trommeln fungieren, die nie zum Schweigen gebracht werden!

      Das war die Idee, die ganz am Anfang stand, vor langer Zeit, als das Internet noch gar nicht existierte. Für mich klingt sie immer noch richtig, und irgendeine Version dieser richtigen Idee muss auch machbar sein, doch das spezielle, seltsame Netzwerkdesign, das wir bislang aufgebaut haben, hat sich als Bumerang erwiesen.

      Derzeit lernen wir, mit den Netzwerken zu leben, die wir bislang geschaffen haben. Wenn man das verstanden hat, ergeben aktuelle Ereignisse, die scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben (und womöglich sogar sinnlos erscheinen), plötzlich einen Sinn. So schienen zwei gigantische Fehlfunktionen, die zwischen dem Erscheinen meines Buches in den USA und der deutschen Ausgabe auftraten, auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun zu haben. Aber wenn man ein bisschen genauer hinsieht, begreift man sie als Spiegelbilder.

      Die erste Fehlfunktion war der heftige Streit um »Obamacare« – die von Präsident Barack Obama eingeführte allgemeine Krankenversicherung, die die amerikanische Bevölkerung tief spaltet. Beim Streit zwischen Regierung und Kongress wurden staatliche Einrichtungen geschlossen, und das Land stand kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Es gibt sicher zahlreiche interessante Interpretationen des Konflikts um »Obamacare« (eine Fortsetzung des Bürgerkriegs?), man sollte jedoch nicht vergessen, worum es eigentlich geht.

      Im Grunde stritten wir uns darüber, wie die Gesellschaft »Big Data« integriert.1 Wie ich in diesem Buch erkläre, änderte sich mit dem Aufkommen der Big Data die Motivation der Versicherungsunternehmen. Bevor Rechnerleistung unglaublich günstig wurde und alle Rechner miteinander vernetzt waren, konnte ein Versicherer seine Gewinne in erster Linie dadurch erhöhen, dass er immer mehr Kunden versicherte. Nach dem Aufkommen der Big Data kehrte sich diese Motivation ins Gegenteil: Jetzt machte ein Unternehmen vor allem dann Gewinn, wenn es nur diejenigen versicherte, die laut Algorithmenberechnungen die Versicherung am wenigsten in Anspruch nehmen würden.

      Diese strategische Kehrtwende sorgte dafür, dass viele Amerikaner nicht versichert waren. Da die Amerikaner ein mitfühlendes Volk sind, starben die Menschen deshalb nicht gleich massenweise draußen auf der Straße, weil ihnen die Aufnahme im Krankenhaus verweigert wurde. Stattdessen bezahlten die Bürger für sie auf die teuerste Weise: Die Kranken wurden nur im Notfall behandelt. Das wiederum belastete die Wirtschaft, führte zu einer Einschränkung der persönlichen Freiheit (weil man, um seine Krankenversicherung zu behalten, auch einen ungeliebten Job behielt) und hemmte das Wirtschaftswachstum und die Innovationsfähigkeit. Außerdem verschlechterte sich der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung.2

      Mit »Obamacare« soll die Kehrtwende rückgängig gemacht werden, was bedeutet, dass sich viel mehr Amerikaner versichern müssen und die Versicherer ähnlich wie früher, vor dem Zeitalter der Big Data, um Kunden konkurrieren sollen.

      Niemand bestreitet, dass Big Data in der Medizin und im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle spielen. Informationen sind per Definition das Rohmaterial für Feedback und damit für Innovationen. Doch für die Integration der Big Data in die Gesellschaft gibt es nicht nur diesen einen Entwurf. Da die digitale Technologie immer noch relativ neu ist, kann man leicht der Illusion verfallen, es gäbe nur ein mögliches Design. Aber wäre es nicht auch vorstellbar, dass man Big Data zum Vorteil der Wirtschaft und der Menschen nutzt? Mit dieser Frage beschäftige ich mich in meinem Buch.

      Die zweite Fehlfunktion platzte wie eine Bombe und betrifft die Enthüllungen von Edward Snowden. Er machte publik, dass die National Security Administration (NSA) ihre Befugnisse weit überschritten hat und jeden ausspioniert, ob Freund oder Feind, dass sie Verschlüsselungen knackt, die unsere Transaktionen schützen, und die Welt der »kostenlosen« Internetdienste in ein Orwell’sches Monster verwandelt.

      Die NSA sah sich genötigt, zu belegen, dass das allgemeine Ausspionieren mit Hilfe von Algorithmen spezielle Vorteile hat. Altmodische Geheimdienstarbeit vor Ort erbringt immer wieder handfeste Resultate, etwa das Aufspüren von Osama bin Laden, doch die Hoffnung auf eine automatische Sicherheit durch die auf Big Data angewandten Algorithmen hat sich schlicht und einfach nicht bewahrheitet: Die Bombenanschläge beim Boston-Marathon erfolgten genau in der Woche, als mein Buch in den USA erschien, und konnten weder durch versteckte Serverfarmen verhindert werden, die so groß wie ganze Städte sind, noch durch Metadaten-Analysten oder Überwachungskameras.

      Tatsächlich erhöhte die irrsinnige Datensammelwut der NSA ihren Bedarf an Technologiespezialisten dermaßen, dass dadurch die eigene Disziplin geschwächt wurde und das Auftauchen eines Snowden unvermeidlich war. Ganz abgesehen von der Frage, ob man die Strategien der NSA im Zeitalter von Big Data befürwortet oder mit Entsetzen betrachtet, muss man feststellen, dass die NSA dadurch an Kompetenz eingebüßt hat.

      Die NSA und die amerikanischen Krankenversicherer erlagen derselben Schwäche, einer Form der institutionellen Abhängigkeit. Sie wurden abhängig von einem, wie ich es nenne, »Sirenenserver«. Hinter einem »Sirenenserver« verbergen sich enorme Rechnerleistungen, die alle anderen Rechner im Netzwerk übertreffen und ihren Eigentümern auf den ersten Blick einen garantierten Weg zu unbegrenztem Erfolg bieten. Doch diese Vorteile sind reine Illusion und führen über kurz oder lang zu einem massiven Scheitern.

      Von Edward Snowdens Enthüllungen fühlen sich Menschen auf der ganzen Welt betroffen. Wir wissen nicht, ob jemand unsere privaten E-Mails gelesen hat. Das ist ein unangenehmes Gefühl, und falls wir uns je daran gewöhnen sollten, wäre es noch schlimmer.

      Gleichzeitig muss man aber auch fragen, warum jedermann auf der ganzen Welt seine Informationen Rechnern anvertraut, die großen Konzernen gehören. Die NSA hat sich den Zugang zu diesen privaten Rechnern heimlich verschafft, aber warum glaubten alle, dass die fast einhellige Unterstützung einer Überwachungsindustrie durch die Verbraucher folgenlos bleiben würde? Früher oder später muss sie zu einem Überwachungsstaat führen.

      Die entscheidende Frage unserer Zeit lautet, ob wir – und damit meine ich uns alle, nicht nur diejenigen, die sich um die »Sirenenserver« kümmern – lernen werden, dem Lockruf der »Sirenenserver« zu widerstehen. Das ist die Klammer, die ansonsten gegensätzliche Entwicklungen zusammenhält. Die eine Entwicklung sieht so aus: Computernetzwerke, so heißt es, könnten eine zentralisierte Macht stürzen und die Macht dem Einzelnen geben. Kunden können Konzerne in die Knie zwingen, indem sie massiv Beschwerden tweeten. Eine kleine Organisation wie WikiLeaks kann große Mächte in Unruhe versetzen und benötigt dazu nur einen Netzzugang und Verschlüsselungstechniken. Junge Ägypter konnten mit ihren Mobiltelefonen und dem Internet fast aus dem Stegreif eine Revolution organisieren.

      Es gibt aber auch die gegenläufige Entwicklung: In den reichen Ländern weltweit, nicht nur


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