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Wem gehört die Zukunft?. Jaron LanierЧитать онлайн книгу.

Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier


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überschwemmt unsere Politik. Der Arbeitsmarkt in den USA ist ausgehöhlt. Unbezahlte Praktika sind gang und gäbe, und »Einstiegsgehälter« werden über das ganze Berufsleben hinweg gezahlt, während Spitzenmanager und -technologen Fantasiegehälter beziehen. Der Einzelne scheint angesichts dieser Ausblicke machtlos.

      Die Zerrüttung und Dezentralisierung von Macht fällt mit einer intensiven und scheinbar unbegrenzten Konzentration von Macht zusammen. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, erscheint völlig logisch, wenn man erst einmal die Natur moderner Machtkonzentration verstanden hat.

      Egal welches neue Machtzentrum Sie genauer unter die Lupe nehmen, Sie werden feststellen, dass ihm immer ein »Sirenenserver« zugrunde liegt. Wir frühen digitalen Idealisten sind an dieser Entwicklung weiß Gott nicht ganz unschuldig, wenn wir auch in bester Absicht gehandelt haben. Wir dachten, wir könnten die Welt verbessern, wenn alle so viele Informationen wie möglich austauschen, befreit von kommerziellen Zwängen. Eigentlich eine völlig vernünftige Idee. Wir haben Trommeln gebaut, die man nicht zum Schweigen bringen konnte. Die Möglichkeit, Öffentlichkeit zu schaffen, damit man nicht mehr die Augen vor Ungerechtigkeit und Gewalt verschließen konnte, würde doch sicher für mehr Gerechtigkeit und Frieden sorgen?

      Warum ist die Idee des freien Informationsaustauschs gescheitert? Weil sie die Natur der Informationstechnologie ignorierte. Auch im Zeitalter vor der Computerisierung konnte es Probleme geben, wenn eine Gruppe Menschen alles offen miteinander teilte – wie verschiedene sozialistische Experimente zeigen. Aber andererseits war ihr Scheitern, zumindest unter gewissen Umständen, nicht unbedingt vorprogrammiert.

      Wenn dieselben Leute aber über ein Computernetzwerk verfügen, dann steht von vornherein fest, dass derjenige, der den leistungsstärksten Computer hat, auch die Informationshoheit erlangen wird. Alle Menschen sind gleich, Computer aber nicht. Ein Spitzencomputer kann seinem glücklichen Besitzer grenzenlosen Reichtum und Einfluss bringen, für alle anderen jedoch bedeutet das Unsicherheit, Sparpolitik und Arbeitslosigkeit.

      Früher erlangte man Macht und Einfluss, indem man die Kontrolle über das erlangte, was die Menschen benötigten, etwa Öl oder Verkehrswege. Heute kann man Macht in Form von Informationshoheit erlangen, die vom effektivsten Rechner in einem Netzwerk geschaffen wird. In den meisten Fällen ist das der größte Rechner mit der besten Vernetzung, allerdings genügt manchmal auch ein kleiner, effektiv genutzter Rechner, wie der Fall WikiLeaks zeigt. Diese Beispiele sind jedoch selten, daher sollten wir nicht der Illusion verfallen, dass Computer, wie einst die Schusswaffen im Wilden Westen, die großen Gleichmacher sind.

      Bei dem, was ich »Sirenenserver« nenne, handelt es sich in der Regel um gigantische Rechenzentren an entlegenen Orten mit einer eigenen Energieversorgung und einem speziellen, natürlichen Standortvorteil, etwa einem abgelegenen Fluss, dessen Wasser man zur Kühlung verwenden kann, da riesige Mengen an Abwärme entstehen.

      Diese neue Klasse der ultra-einflussreichen Computer tritt in vielen Formen auf. Manche werden im Finanzsektor genutzt, etwa für den Hochfrequenzhandel, andere im Versicherungswesen. Manche berechnen Wahlergebnisse, andere betreiben riesige Online-Stores. Manche betreiben soziale Netzwerke oder Suchmaschinen, wieder andere dienen nationalen Geheimdiensten. Die Unterschiede sind nur minimal.

      Die Motivation für den allgegenwärtigen Einsatz der »Sirenenserver« besteht darin, dass man damit marginal effektive Verhaltensmodelle ableiten kann, sowohl für das menschliche Verhalten als auch für Ereignisse, etwa die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt. Diese Modelle sind alles andere als perfekt, sondern reichen gerade aus, um das menschliche Verhalten einigermaßen vorherzusagen und uns nach und nach zu manipulieren und unseren Geschmack und unser Konsumverhalten effektiver und hinterhältiger zu beeinflussen, als es der klassischen Werbung und der »Schleichwerbung« möglich ist. Ein leichter Vorteil akkumuliert und verstärkt sich wie ein stetig wachsender Zinseszins.

      Die Manipulation kann in Form bezahlter Links bei kostenlosen Online-Diensten auftreten, in Form einer automatisch personalisierten Vorstellung eines Kandidaten bei einer Wahl oder eines perfekt zugeschnittenen Kreditangebots. Die Menschen sind selten gezwungen, den Einfluss der »Sirenenserver« in einem bestimmten Fall zu akzeptieren, doch auf einer breiten statistischen Grundlage ist es einer Bevölkerung schier unmöglich, etwas anderes zu tun, als sich mit der Zeit zu fügen. Deshalb sind Unternehmen wie Google so »werthaltig«. Es gibt bei Google keine bestimmte Anzeige, die garantiert funktioniert, doch das gesamte Reklamekonzept von Google muss aufgrund der Gesetze der Statistik funktionieren. Dank seiner überlegenen Rechnerleistung profitiert ein »Sirenenserver« davon, dass er andere zuverlässig manipulieren kann, ohne jemanden zu zwingen.

      Seit Netzwerke und Rechnerleistung so günstig sind, ist der Finanzsektor im Verhältnis zur übrigen Wirtschaft enorm gewachsen, allerdings hat er damit das Risiko für die Gesamtwirtschaft massiv erhöht. Das geschieht ganz automatisch, ohne böse Absicht, wenn man in einem offenen Netzwerk einen effektiveren Rechner besitzt als alle anderen. Die überlegene Rechnerleistung ermöglicht es Ihnen, die risikoärmsten Optionen für sich selbst zu wählen und die riskanteren Varianten den anderen zu überlassen.

      Ein »Sirenenserver« gewinnt Einfluss durch Zurückhaltung. Das hat etwas Zen-Mäßiges. Finanzunternehmen sind dann am erfolgreichsten, wenn die Beteiligten keine Ahnung haben, was sie finanzieren. Es geht einfach darum, andere dazu zu bringen, die Risiken zu tragen, und Wissen bedeutet Risiko. Die neue Idee ist also, dass man keine Ahnung hat, ob das geschnürte Wertpapierpaket faul ist oder nicht.

      Wenn man dieses Prinzip verstanden hat, bleibt von dem scheinbaren Widerspruch – dass Macht gleichzeitig mehr und weniger konzentriert wird – nichts mehr übrig. Altmodische Machtausübung wie die Zensur sozialer Netzwerke würde die neue Art Macht reduzieren – die darin besteht, dass die Nutzer sozialer Netzwerke durch einen privaten Spionagedienst ausspioniert werden.

      Wir müssen lernen, den Gesamtzusammenhang zu betrachten, nicht nur die »Gratis«-Verlockungen vor unseren Augen. Unsere schicken Gadgets, unsere Smartphones und Tablet-Computer, haben uns einen neuen Zugang zur Welt verschafft. Wir kommunizieren regelmäßig mit Menschen, von deren Existenz wir vor dem Netzwerkzeitalter nicht einmal gewusst hätten. Wir können jederzeit Informationen zu fast jedem Thema finden. Aber wir haben auch erfahren, dass unsere Geräte und die aus idealistischen Motiven entstandenen digitalen Netzwerke von ultra-mächtigen, fernen Organisationen genutzt werden, um uns auszuspionieren. Wir werden stärker analysiert, als wir analysieren.

      In den Anfangszeiten der privat genutzten Computer wurden wir von dem Ideal geleitet, dass Computer Werkzeuge seien, um die menschliche Intelligenz und seine Produktivität auf ein höheres Niveau zu heben. Ich erinnere mich an frühe Werbebroschüren von Apple, in denen Computer als »Fahrräder des Verstandes« bezeichnet wurden. Solche Ideen beflügelten die frühen Pioniere wie Alan Kay, der vor einem halben Jahrhundert bereits in Zeichnungen veranschaulichte, wie Kinder eines Tages Tablet-Computer nutzen würden.

      Doch ein Tablet-Computer ist nicht mehr einfach nur ein Gerät, sondern zwingt uns eine neue Machtstruktur auf. Auf einem »Tablet« laufen im Gegensatz zum »Computer« nur Programme, die von einer einzelnen zentralen kommerziellen Autorität genehmigt wurden. Dass er so leicht ist und einen Touchscreen hat, ist gar nicht so wichtig, viel wichtiger ist die Tatsache, dass der Besitzer weniger Freiheiten hat als die Besitzer früherer Generationen digitaler Geräte.

      Ein Tablet bietet uns nicht wirklich die Möglichkeit, unsere Angelegenheiten zu unseren eigenen Bedingungen zu regeln. Ein PC ist darauf ausgerichtet, dass uns unsere eigenen Daten gehören. PCs ermöglichten es Millionen Menschen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. Der PC stärkte die Mittelschicht. Tablet-Computer sind stattdessen auf Unterhaltung ausgerichtet. Das eigentliche Problem ist aber, dass Sie einen Tablet-Computer nicht nutzen können, ohne die Informationshoheit abzugeben. In den meisten Fällen können Sie einen Tablet-Computer nicht einmal einschalten, ohne persönliche Informationen preiszugeben.

      Als sich Tablet-Computer auf dem Markt durchsetzten, verkündete Steve Jobs, dass PCs »Lastwagen« seien. Fortbewegungsmittel, die mit was auch immer beladen waren, für Arbeitertypen in T-Shirts und Schirmmützen. Die meisten Verbraucher würden jedoch gewiss ein Auto bevorzugen. Ein schickes Auto. Diese Formulierung deutet an, dass die wirklich attraktiven


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