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Wem gehört die Zukunft?. Jaron LanierЧитать онлайн книгу.

Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier


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uns allen eine Warnung sein sollte.

      Kopiert man Musik, nimmt man einem Musiker die wirtschaftliche Würde. Er verliert zwar nicht zwangsläufig jedes Einkommen, ist jedoch darauf angewiesen, sein Einkommen in Echtzeit zu verdienen. Das heißt, dass er für Live-Auftritte bezahlt wird, aber nicht für die Musik, die er in der Vergangenheit aufgenommen hat. Man kann ja ab und zu durchaus für sein Abendessen singen, aber wenn man das für jede Mahlzeit machen muss, gerät man in eine wirtschaftliche Zwangslage.

      Diese Zwangslage besteht darin, dass man keinen Puffer hat. Ein Musiker, der alt oder krank ist oder ein krankes Kind hat, kann nicht auftreten und verdient dann auch nichts. Einige wenige Musiker, aber wirklich eine verschwindend geringe Zahl, werden trotzdem gut leben, doch selbst die erfolgreichsten Karrieren können jäh enden, wenn sie nur auf Live-Auftritten basieren, da genügt ein bisschen Pech zur falschen Zeit. Dieses Pech lässt sich im realen Leben nicht vermeiden, daher macht fast jeder, der von der Hand in den Mund leben muss, schwere Zeiten durch.

      »Spionagedienste« wie beispielsweise ein soziales Netzwerk oder Suchmaschinen ziehen dagegen ein dauerhaftes Vermögen aus den Informationen, die kopiert werden, in unserem Fall also den Musikaufnahmen. Ein Musiker, der sein Geld in Echtzeit verdienen muss und nicht mehr die üblichen Absicherungen wie Lizenz- und Kopiergebühren hat,18 kann zwar durchaus bekannt werden und sogar Geld verdienen (über Live-Auftritte, den Verkauf von T-Shirts usw.), aber reich wird er damit nicht. Das große Geld verdient der zentrale Server.

      Musik und Kredite sind sich sehr ähnlich. Wenn eine Hypothek weiterverkauft und durch eine dritte Partei über ein Netzwerk zusammen mit anderen zu einem komplizierten undurchschaubaren Wertpapierpaket verschnürt wird, verringern sich die Aussichten des Hausbesitzers, irgendwann einmal vermögend zu sein. Das Versprechen des Hausbesitzers, seine Schulden zurückzuzahlen, wird vielfach kopiert, wie die Musikdatei des Musikers.

      Es werden so viele Kopien vom vermögenschaffenden Versprechen des Hausbesitzers gemacht, dass der Wert des Originals gemindert wird. Das Kopieren verringert die langfristigen Aussichten des Hausbesitzers auf ein Vermögen.

      Anders ausgedrückt, das Versprechen des Hausbesitzers, seinen Kredit zurückzuzahlen, kann nur einmal abgegeben werden, doch entgegengenommen wird dieses Versprechen und damit auch das Risiko, dass der Kredit nicht zurückgezahlt wird, unzählige Male. Am Ende wird der Hausbesitzer also für dieses erhöhte Risiko bezahlen. Und zwar in Form von Steuererhöhungen (weil der Staat sogenannte »systemrelevante« Finanzunternehmen rettet), durch den Wertverlust der Immobilien (weil sie durch unsinnige Hypotheken belastet sind) und erschwerte Kreditbedingungen.

      Außer für diejenigen, die absolut makellose Bonitätsbewertungen vorweisen können, wird es für alle schwer werden, einen Kredit zu bekommen, wenn die zahlreichen fernen Empfänger des Rückzahlungsversprechens das Risiko vervielfachen. Selbst die reichsten Länder können Schwierigkeiten haben, das Top-Rating ihrer Kreditwürdigkeit zu halten. Die Welt der echten Menschen, in der es keine garantierte Sicherheit gibt, büßt so sehr an Ansehen ein, dass Kreditgeber irgendwann überhaupt kein Geld mehr verleihen wollen.

      Wenn man das erkannt hat, ist viel gewonnen. Eine Hypothek gleicht einer Musikdatei. Und eine verbriefte Hypothek ähnelt der Raubkopie einer Musikdatei.

      In beiden Fällen entstand für die Person, die früher einmal von der Sicherungsmaßnahme eines Deiches profitierte, kein unmittelbarer Schaden. Schließlich wurden nur ein paar Bits auf irgendeinem Computer neu geordnet. Es entstand nur eine abstrakte Kopie, eine unmerkliche kleine Veränderung, weit weg. Doch langfristig gesehen entsteht für die echten Menschen an der Quelle ein großer Schaden.

      Kapitel 5 Sirenenserver

      Komplexität ohne Ambivalenz ist unmöglich

      Wir wissen über anstehende komplexe Probleme wie beispielsweise den globalen Klimawandel nur Bescheid, weil es viele Daten dazu gibt. Doch die Einschätzung von Problemen, die wir aufgrund großer Datenmengen kennen, stellt uns vor besondere Herausforderungen. Es ist schwierig, einen definitiven Beleg für die Existenz eines Problems von diesen Dimensionen zu finden. Und selbst wenn man sich über dessen Existenz einig ist, ist es kompliziert, Gegenmittel auszuprobieren. Im Netzwerkzeitalter hat sich folgende Binsenweisheit entwickelt: Die bloße Existenz von Big Data heißt nicht, dass man sich auch über ihre Bedeutung einig ist.

      Ich beschäftige mich mit dem Problem, dass die Art und Weise, wie wir wirtschaftliche und kulturelle Tätigkeiten digitalisieren, letztendlich zu einer schrumpfenden Wirtschaft und einer neuartigen Konzentration von Macht und Reichtum führt, die nicht nachhaltig ist. Dieser Fehler hat gravierende Folgen, die allerdings vermeidbar sind, denn die Maschinen werden in diesem Jahrhundert noch deutlich besser werden.

      Manche behaupten vielleicht, dass das Problem, das mir Sorgen bereitet, in Wirklichkeit gar nicht existiert. Es ist da eine gewisse Ambivalenz im Spiel, und diese Ambivalenz ist typisch für die Art und Weise, wie sich Probleme in unserer modernen Welt der vernetzten Daten präsentieren. So könnte man beispielsweise behaupten, dass anstelle der über hunderttausend Arbeitsplätze, die durch den Untergang von Kodak und das Aufkommen von Instagram verlorengingen, nun neue Arbeitsplätze entstehen, weil man das Foto-Sharing dazu nutzen kann, eigene Fotoarbeiten zu verkaufen. Das mag für den einen oder anderen Fall ja zutreffen, aber insgesamt ist das sicher keine Lösung.

      Mein ursprüngliches Interesse wurde durch eine einfache Frage geweckt: Wenn die Netzwerktechnologie angeblich so gut für alle ist, warum geht es den Industrieländern ausgerechnet dann so schlecht, wenn sich die Technologie immer weiter verbreitet? Warum gab es genau in dem Moment so viele wirtschaftliche Probleme in den Industrieländern, als die Computernetzwerke Anfang des 21. Jahrhunderts jeden Aspekt menschlicher Tätigkeit durchdrangen? War das bloß Zufall?

      Es gibt viele verschiedene Erklärungen für die Finanz- und Wirtschaftskrise. Eine Erklärung lautet, dass man an die grundlegenden Grenzen des Wachstums gestoßen ist, eine andere, dass durch den Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte wie Indien, China und Brasilien mehr Hersteller und Verbraucher mit den entsprechenden Mitteln um dieselben Ressourcen konkurrieren. Außerdem gibt es in den meisten Industrieländern deutlich mehr alte Menschen, für deren Versorgung und Pflege mehr Geld ausgegeben werden muss als je zuvor.

      Es spielt sich aber noch etwas anderes ab. Die Mechanismen der Finanzmärkte haben versagt, und unter diesem Versagen hatte fast jeder zu leiden. Wenn wir uns noch einmal die außergewöhnliche Entwicklung vor Augen führen, dass praktisch sämtliche Industrieländer auf einen Schlag hoffnungslos verschuldet waren, benötigt man eine Erklärung, die weiter reicht als der Aufstieg Chinas zur Wirtschaftsmacht oder die hohen soziale Kosten in Südeuropa oder die Deregulierung in den USA.

      Und diese Erklärung ist eigentlich ganz einfach: Die Finanzmärkte sind falsch vernetzt. Die großen Rechnerkapazitäten, die andere Branchen wie die Musikindustrie »effizienter« machten (zumindest aus einem bestimmten Blickwinkel), wurden auch in der Finanzbranche genutzt, und das brach ihr das Genick. Die Finanzmärkte wurden dadurch dumm.

      Betrachten wir einmal die Expansion des Finanzsektors vor der Finanzkrise. Es ist nicht so, dass der Sektor mehr leistete als je zuvor. Wenn die Aufgabe der Finanzbranche darin bestand, Risiken zu verwalten, dann hat sie eindeutig versagt. Die Branche expandierte nur aufgrund ihrer Spitzenpositionen in den Netzwerken. Der Moral-Hazard-Effekt, also die Förderung leichtfertigen Verhaltens, weil man weiß, dass die Allgemeinheit das Schadensrisiko trägt, ist mit dem Aufkommen des Netzes auf nie dagewesene Weise verstärkt worden. Je mehr der Einfluss der Netze zunimmt, desto größer wird das Potenzial für einen Moral Hazard – es sei denn, wir ändern die Netzwerkarchitektur.

      Versuch einer ersten Definition

      Ein Sirenenserver ist laut meiner Definition ein Elitecomputer oder eine koordinierte Ansammlung von Computern in einem Netzwerk. Typische Eigenschaften sind Narzissmus, eine unproportionale Risikoscheu und eine extreme Informationsasymmetrie. Ein Sirenenserver ist der Sieger in einem Alles-oder-nichts-Wettbewerb, und alle, die mit ihm interagieren, werden in kleinere Wettbewerbe hineingezogen, bei denen es ebenfalls um alles oder nichts geht.


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