Wem gehört die Zukunft?. Jaron LanierЧитать онлайн книгу.
doch im Grunde basiert die Übersetzung auf der früheren Arbeit realer Menschen.
Leider sind die menschlichen Übersetzer anonym und tauchen in den Bilanzen der Internetdienste nicht auf. Durch den Vorgang der Übersetzung in der Cloud schrumpft die Wirtschaft, weil man so tut, als ob die Übersetzer, die die Beispiele lieferten, nicht existieren würden. Mit jeder sogenannten automatischen Übersetzung werden die Menschen, die die Daten lieferten, aus der Welt der bezahlten Arbeit und Beschäftigung gedrängt.
Am Ende funktioniert selbst die Magie der automatischen Übersetzung genau wie Facebook nach der Methode, kostenlose Beiträge von Menschen zu bekommen, sie zu verdauen und als Köder für Werbekunden oder andere wieder hochzuwürgen, die hoffen, sie könnten aus der Nähe zu einem wichtigen Server Vorteile ziehen.
In einer Welt der digitalen Würde wäre jeder einzelne Mensch der kommerzielle Eigentümer aller seiner Daten, die sich aus seiner Situation oder seinem Verhalten ermitteln lassen. (Wenn man Informationen nur als Maske betrachtet, hinter der sich echte Menschen verbergen, erkennt man, dass digitale Daten einen beständigen Wert haben und nicht nur einen gelegentlichen.) Wenn eine Person etwas sagt oder tut, das selbst in geringem Maße zu einer Datenbank beiträgt, die es beispielsweise einem Algorithmus für maschinelle Übersetzung oder für Marktprognosen erlaubt, eine Berechnung durchzuführen, dann würde diese Person eine Nanozahlung erhalten, und zwar proportional sowohl zum Ausmaß ihres Beitrags als auch zum daraus resultierenden Wert. Die Nanozahlungen würden sich summieren und die Grundlage bilden für einen neuen Gesellschaftsvertrag, bei dem die Menschen motiviert sind, substanzielle Beiträge zur Informationsökonomie zu leisten.
Diese Idee nimmt den Kapitalismus deutlich ernster als die bisherigen Ansätze. Bei einer Marktwirtschaft sollte es nicht nur um »Unternehmen« gehen, sondern um alle, die Wert schaffen.
Ich könnte mein Argument auch auf den Bereich »Tauschen« und »Sharing« anwenden. Wenn man Cloud-Computing dazu nutzen würde, das Tauschen effizienter, umfassender und gerechter zu machen, käme man zu einem ganz ähnlichen Entwurf, wie ich ihn für das Beispiel der Nutzung personenbezogener Daten vorschlage. Üblicherweise wird die digitale Welt sehr einseitig und unter dem Aspekt »neu gegen alt« dargestellt. So ist etwa Crowdsourcing »neu«, während Gehälter und Renten »alt« sind. Ich schlage vor, dass wir dieses »Neue« zu Ende führen, also den eingeschlagenen Weg zu Ende gehen, anstatt auf halber Strecke stehen zu bleiben. Es gibt keinen Grund, davor zurückzuschrecken.
Große Worte, ich weiß …
Ist das nun ein »Bescheidener Vorschlag« im Sinne Swifts, oder präsentiere ich hier einen ernstzunehmenden, realistischen Plan? Im Grunde ist es ein bisschen von beidem. Ich hoffe, damit das Denken über digitale Informationen und den menschlichen Fortschritt neu anzuregen. Wir brauchen frischen Wind, müssen unseren Horizont erweitern.
Vielleicht wird der hier beschriebene Ansatz für eine humanistische Informationsökonomie nach einigen weiteren Verfeinerungen tatsächlich in der realen Welt umgesetzt. Oder vielleicht findet eine Reihe neuer, besserer Ideen, die mit diesem Buch nichts zu tun haben und hier auch nicht zur Sprache kamen, leichter Gehör, weil sich die starren Konventionen durch meine Gedankenexperimente ein wenig gelockert haben.
Falls Ihnen das alles zu vollmundig klingt, müssen Sie wissen, dass diese Ausführungen in dem Kontext, in dem ich sonst auftrete, sich geradezu bescheiden ausnehmen. Im Silicon Valley behauptet jeder Jungunternehmer mit einem Startup in der Garage, er habe das Ziel, die menschliche Kultur global und nachhaltig zu verändern, und zwar innerhalb der nächsten Jahre. Über Geld mache man sich noch keine Gedanken, denn ein großes Vermögen anzuhäufen sei erst einmal nebensächlich und ergebe sich ohnehin von selbst. Und diese cleveren kleinen Angeber haben regelmäßig Erfolg. Das ist einfach die Silicon-Valley-Version von »normal«.
Unsere Ideale und Träume finden immer wieder Mittel und Wege, um sich in der realen Welt zu verwirklichen. Wenn die hier präsentierten Ideen auch nur in Teilen funktionieren, bin ich schon zufrieden. Von fundamentalistischen »Entweder ganz oder gar nicht«-Ansätzen halte ich nichts. Ich bin davon überzeugt, dass meine Ideen ganz konkret zu verstehen helfen, wie die digitale Technologie unsere Wirtschaft und Politik verändert. Ich weiß auch, dass, selbst wenn sich meine Ideen als so gut erweisen, wie ich es mir erhoffe, sie auf keinen Fall perfekt sind. Aber wer glaubt, dass sich die Dinge ohnehin nicht ändern lassen, dem würde ich empfehlen, beim Weiterlesen eine Sonnenbrille aufsetzen.
Erstes Zwischenspiel: Antike Vorhersagen der technologischen Singularität
Aristoteles ist beunruhigt
Aristoteles äußerte sich ganz konkret über die Rolle des Menschen in einer hypothetisch hochtechnisierten Welt:
Wenn jedes Werkzeug auf Befehl oder diesem zuvorkommend seine Leistung vollzöge, wie von den Bildsäulen des Dädalus die Sage geht oder von den Dreifüßen des Hephästos, die nach des Dichters Wort »aus eigenem Trieb sich in die Götterversammlung begeben«, wenn so die Webschiffe von selbst webten und die Zitherschlägel spielten, ohne dass eine Hand sie führt, dann hätten weder der Meister ein Bedürfnis nach Gesellen noch die Herren nach Sklaven.[1]
Bereits in der Antike machte sich Aristoteles Gedanken über eine zukünftige Welt. Er ging davon aus, dass das Menschsein unter anderem auch darin besteht, das tun zu müssen, was Maschinen nicht leisten können. Gleichzeitig überlegte er, zumindest ansatzweise, dass Maschinen noch mehr leisten könnten als bisher. Aus diesen beiden Überlegungen schloss er: Bessere Maschinen könnten irgendwann die Menschen befreien und auf eine neue Entwicklungsstufe heben – sogar die Sklaven.
Wenn wir Aristoteles unsere heutige Technologie zeigen könnten, was würde er wohl zum Problem der Arbeitslosigkeit sagen? Würde er die Position von Marx übernehmen, dass bessere Maschinen den Staat dazu verpflichten, sich um die Menschen zu kümmern, die nicht mehr arbeiten müssen, und ihnen ein würdevolles Dasein zu ermöglichen? Oder würde er sagen: »Werft die, die nicht benötigt werden, aus der Stadt. Der Staat, die Polis, ist nur für diejenigen, denen die Maschinen gehören oder die das tun, was die Maschinen noch nicht leisten können.«
Würde er tatenlos zusehen, wenn Athen entvölkert werden würde?
Ich möchte Aristoteles nur Gutes unterstellen und nehme daher an, er würde erkennen, dass beide Vorstellungen Humbug sind. Die angebliche Autonomie der Maschinen ist bloßes Gerede. Man darf sich Informationen nicht als eigenständige Sache vorstellen, sondern muss sie als menschliches Produkt begreifen. Ich halte es für sehr gerechtfertigt, zu betonen, dass die Menschen immer noch gebraucht werden und wertvoll sind, selbst wenn der Webstuhl ohne menschliche Muskelkraft betrieben wird. Der Webstuhl läuft immer noch nach den Vorgaben des Menschen, aufgrund seiner gedanklicher Leistung.
Aristoteles spielt in der zitierten Stelle an Homers Schilderung der Schmiedegesellen des griechischen Gottes Hephästos an. Es geht um roboterartige Diener – den Traum eines jeden Nerds: goldglänzend, weiblich und willig. Falls Aristoteles den Gedanken hatte, dass die Menschheit eines Tages wirklich Roboter erfinden würde, die Webstühle betreiben und Musik machen, so hat er das jedenfalls nicht explizit gesagt. Für mich liest sich das eher so: Die Menschen warten darauf, dass die Götter ihnen ein paar raffinierte Automaten zu Verfügung stellen, damit die Automatenbesitzer fortan nicht mehr andere für die Arbeit bezahlen müssen.
Genau das ist unsere Situation im frühen 21. Jahrhundert. Die künstliche Intelligenz in den Servern schenkt uns eine Automatisierung, sodass wir uns nicht mehr gegenseitig für unsere Arbeit bezahlen müssen.
Sollen Menschen bezahlt werden, auch wenn sie etwas gerne machen?
Aristoteles sagt gewissermaßen: Zugegeben, es ist eine Schande, dass wir Menschen versklaven, aber wir müssen das tun, denn irgendjemand muss ja die Zither spielen, denn wir brauchen Musik. Ich meine, jemand muss leiden, damit es Musik gibt. Wenn wir ohne Musik leben könnten, dann könnten wir vielleicht ein paar dieser armen Sklaven befreien, und die Sache wäre erledigt.6
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