Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric BalmoreЧитать онлайн книгу.
sie den Kaffee fertig hatte und hineintrug, saß er wieder im Sessel und hatte sich eine der Zeitschriften aus dem Zeitungsständer genommen. Er legte sie weg, lächelte zu ihr empor und fragte: „Es macht Ihnen auch keine Mühe?“
Sie schüttelte den Kopf. „Aber nicht doch. Und außerdem haben wir wirklich noch viel Zeit. Es ist ja erst halb sieben.“
„Na und? Ich dachte einfach, dass man mal raus muss aus dem Stress. Nicht auch noch in die Oper jagen wie verrückt. Wir können ganz gemächlich fahren.“
„Ich freue mich jedenfalls auf den Fliegenden Holländer. Ich habe die Oper noch nie gesehen. Ich kenne nur ein paar Musikstücke daraus. Na ja, die kennt jeder. Aber die Oper selbst ...“
„Ich hab sie schon mal gesehen. Aber nicht hier in München, Ich verspreche mir etwas von der Aufführung. Sie ist sehr gut besetzt. Und dann das Orchester. Aber wir werden es erleben. Nur keine Vorschusslorbeeren.“
Sie reichte ihm den Zucker, aber er schüttelte den Kopf. „Rabenschwarz“, sagte er.
Sie tranken schweigend ihren Kaffee, und die Stimmung war etwas aufgeladen. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte, zumal sie sich vorgenommen hatte, an diesem Abend nicht so unfreundlich zu ihm zu sein. Auf der anderen Seite wollte sie ihm keine Hoffnungen auf etwas machen, das sie nie erfüllen würde.
Er wiederum war in einer ähnlichen Lage. Er hatte das Gefühl, dass sie etwas von ihm befürchtete, was er ihr, wie er sich vorgenommen hatte, nie antun würde. Er wollte wirklich nur mit ihr zusammenarbeiten, obgleich es von seinen Gefühlen her etwas gab, das ihn zu ihr drängte. Aber die Furcht vor allem, was danach kam, war größer. Immer wieder hatte er die hässlichen Szenen mit Linda vor Augen. Immerhin war sie jetzt endgültig abgereist.
Um nicht total ins Schweigen zu versinken, sagte er:
„Wir hatten heute zum ersten Mal einen Riesenspaß. Es war lustig heute Vormittag mit Schwester Heidi. Lustiger als mit Ihnen.“ Er lachte. Und als er glaubte, das Erschrecken in ihrem Gesicht zu sehen fuhr er fort: „Es ist ironisch gemeint. Schwester Heidi ist jemand, den ich am liebsten auf den Mond schießen würde. Sie geht mir auf den Geist. Diese alberne Gans, die nichts im Kopf hat als Männer. Und heute war ich ihr Opfer. Dass sie mir nicht an den Hals gesprungen ist, war alles. Es ist richtig peinlich gewesen. Ich hoffe, dass ich diese Woche gut über die Runden bekomme. Ich freue mich darauf, dass ich Sie anschließend wiederhabe.“
„Sie Ärmster“, tat sie mitleidig. „Sie haben mein tiefstes Mitgefühl. Was müssen Sie leiden. Sie sollten sich eigentlich freuen, dass es jemanden gibt, der sie so sehr verehrt, wie das Schwester Heidi tut.“
„Verehrt ist gut“, stöhnte er. Er setzte seine Kaffeetasse ab und sah sie nachdenklich an. „Unter Verehrung verstehe ich etwas anderes. Und ich möchte nicht verehrt werden. Ich will auch jetzt mal etwas Grundsätzliches sagen, Schwester Doris. Ich möchte ...“
Sie unterbrach in mit einer schroffen Handbewegung. „Verehrter Herr Doktor Graf“, sagte sie sehr förmlich, „im Dienst bin ich gerne für Sie Schwester Doris. Aber außerhalb, wenn wir schon einmal zusammen weggehen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich bei meinem Namen nennen. Und ich heiße Fenzing.“
„Entschuldigen Sie, Sie haben recht. Man gewöhnt sich an so etwas, Frau Fenzing. Ich bin jedenfalls froh, wenn Sie wieder Ihren Dienst bei mir machen. Wir haben uns zwar öfters in der Wolle, aber ich verstehe durchaus, dass es nicht bös gemeint ist. Aber ich wollte etwas Grundsätzliches sagen. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich auf Grund der Erfahrungen, die ich in meiner Ehe gemacht habe, nicht vorhabe, mich noch einmal an eine Frau zu binden. Sei es eine kurzfristige oder eine längere Bindung. Dies zu Ihrer Information, damit Sie mich nicht falsch verstehen. Ich möchte nur während der Arbeit Harmonie, ein gutes Klima. Und wenn Sie mir abnehmen, dass ich es damit sehr ernst meine, sind vielleicht einige von ihren Ängsten beseitigt.“
„Was glauben Sie, was ich für Ängste habe?“, fragte sie. „Denken Sie, ich fürchte mich vor Ihnen?“
„Nein. Nicht vor mir. Aber Sie fürchten sich vor einer Bindung mit einem Mann so sehr, wie ich mich vor einer Bindung mit einer Frau fürchte. Und jetzt beenden wir dieses Thema. Ich habe gesagt, was ich glaubte sagen zu müssen, und von Ihnen weiß ich ja auch, wie Sie darüber denken. Seien wir also nicht mehr so feindselig zueinander. In Wirklichkeit wollen wir es beide nicht. Ich bin jedenfalls davon überzeugt.“
„Sie haben recht“, erklärte sie reumütig. „Was Sie sagen, erleichtert mich. Ich habe mir auch vorgenommen, nie mehr eine Bindung einzugehen. Also gut, schließen wir Frieden.“
Es war, als wolle er etwas sagen, aber er sprach es dann doch nicht aus.
Sie lachte und fragte: „Möchten Sie jetzt einen Cognac? Da muss ich Sie enttäuschen. Außer einer Flasche Enzian habe ich nichts im Hause.“
„Trinken wir also auf den Friedensschluss einen Enzian, einen klitzekleinen. Einverstanden?“
Als sie lachte, blitzten ihre Zähne. „Einverstanden“, stimmte sie zu.
Dieser Friedensschluss änderte nichts an seinem Verhalten ihr gegenüber. Im Gegenteil. Er war sehr freundlich, äußerst höflich, hilfsbereit, aber er vermied jede Vertraulichkeit. Und sie war ihm dafür sehr dankbar. Sie hatte schon befürchtet, es könnte sich nun einiges ändern. Aber das war nicht der Fall. Seine Begleitung war angenehm.
Als sie ins Theater kamen, gab es einige Leute, die ihnen nachsahen. Sie beide stellten ein äußerst hübsches Paar da. Er, der blonde breitschultrige Mann im dunklen Anzug, sie blond und schlank, was durch ihr dunkelblaues Kleid und die hübsche Schärpe noch verstärkt wurde. Sie sah sehr gut aus. Und zum ersten Male hatte er festgestellt, dass sie sehr hübsche Beine besaß. Sonst lief sie ja immer nur in Hosen herum.
Es lag ihm auf der Zunge, etwas darüber zu sagen, aber er unterließ es, weil er sich denken konnte, dass sie es in den falschen Hals bekommen würde.
Danach gaben sie sich dem Genuss der Musik, aber auch der Darbietung auf der Bühne hin. Es war eine hervorragende Inszenierung. Und Doris musste zugeben, dass es eben ein Unterschied war, die Musik vom Band oder einer Platte zu hören oder hier direkt dieser Aufführung beizuwohnen.
In der großen Pause tranken sie im Foyer ein Glas Sekt, und Wieland Graf erwies sich als hervorragender Plauderer. Er erzählte einige Kabinettstückchen aus seiner Praxis als Internist, und sie hörte ihm zu. Er konnte wunderschön erzählen. Das stellte sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal fest.
Als dann die Aufführung vorüber war, fuhr er sie nach Hause. Er stieg aus, öffnete ihr den Schlag, verabschiedete sich mit Händedruck, und dabei blieb es. Kein Versuch ihr irgendwie näher zu kommen, nur ein paar nette Worte, aber ihr war das völlig genug. Mehr hätte sie nicht gewollt. Sie war froh, dass alles so vorbeigegangen war.
Als er wegfuhr, winkte sie ihm noch nach, dann ging sie ins Haus.
Ihr Bild von ihm hatte sich gewandelt. Dennoch verspürte sie in sich eine starke Unruhe, wenn sie nur an ihn dachte. Der Versuch, dies zu verdrängen, gelang ihr nur schlecht. Auch als sie schon im Bett war, musste sie immer wieder an ihn denken, ehe sie endlich einschlief.
Am nächsten Morgen hatte sie andere Sorgen, als ihre Gedanken um diese Dinge kreisen zu lassen. Trotzdem verklärte ein Lächeln ihr Gesicht, als sie bei ihrem knappen Frühstück dann doch an ihn dächte und an den gestrigen Abend.
Aber sie empfand es als günstig, in dieser Woche nicht mit ihm zu arbeiten. Und doch hoffte sie, ihn wenigstens zum Mittagessen in der Kantine zu sehen.
Den Vormittag über hatte sie alle Hände voll zu tun. Professor Winter brauchte sie nur zwei Stunden. Die übrige Zeit tat sie Dienst als stellvertretende Stationsschwester in der Inneren Abteilung. Dr. Graf hatte irgendeinen Notfall und hielt sich stundenlang in der Ambulanz auf. Als er dann kurz vor Mittag endlich auftauchte, machte er hastig die Visite und verschwand wieder in der Ambulanz. Doris sah ihn nur aus weiter Ferne. Und über die Probleme der Station hatte er nur mit Silke gesprochen. Denn während der Visite hatte Schwester