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Gesammelte Erzählungen. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

Gesammelte Erzählungen - Jules Verne


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Suppe ist aufgetragen.

      – Zum Henker mit der Suppe, schrie mein Oheim, samt der Köchin, und wer sie verzehrt!«

      Martha entfloh, ich eilte ihr nach und befand mich, ohne zu wissen wie, an meinem gewöhnlichen Platz im Speisezimmer.

      Ich wartete eine Weile. Der Professor kam nicht. Zum ersten Mal, meines Gedenkens, ließ er sich bei dem Mittagessen vermissen. Und doch, welch treffliches Essen! Petersiliensuppe, Eierkuchen mit Schinken in Sauerampfersauce, Kalbsnierenbraten mit Pflaumenkompot, und zum Dessert Meerkrebschen mit Zucker, und dazu ein hübscher Moselwein.

      Das Alles versäumte mein Oheim über dem alten Papier. Wahrhaftig als ergebener Neffe glaubte ich mich verbunden, für uns beide zu essen. Und ich tat es gewissenhaft.

      »Das hab’ ich nie erlebt! sagte die gute Martha. Herr Lidenbrock nicht bei Tische!

      – Unglaublich.

      – Das hat was Arges zu bedeuten!« fuhr die Alte mit Kopfschütteln fort.

      Meines Erachtens bedeutete es nichts anderes, als eine fürchterliche Szene, wenn mein Oheim sein Essen aufgezehrt finden würde.

      Ich war an meinem letzten Krebschen, als eine lauthallende Stimme mich den Genüssen des Nachtisches entzog. Mit einem Sprung war ich im Kabinet des Herrn.

      Drittes Kapitel

      Das Pergament des Arne Saknussemm

      »Es ist offenbar Runisch, sagte der Professor mit Stirnrunzeln. Aber ich werde das Geheimniß, das dahinter steckt, entdecken, sonst …«

      Und er machte eine heftige Bewegung mit der Hand.

      »Setz’ Dich dahin, fuhr er fort, indem er auf den Tisch hinwies, und schreib’.«

      Im Augenblick war ich bereit.

      »Jetzt will ich Dir jeden Buchstaben unseres Alphabets diktieren, sowie er mit einem dieser Schriftzüge stimmt. Wir werden sehen, was dabei herauskommen wird. Aber nimm Dich wohl in Acht, daß Du nichts verfehlst!«

      Er fing an, zu diktieren, und ich gab mir alle Mühe. Er benannte jeden Buchstaben einen nach dem andern, und so bildeten sich folgende unverständliche Worte:

      m.rnllsesreuelseecJde

      sgtssmfunteiefniedrke

      kt,samnatrateSSaodrrn

      emtnaeInuaectrrilSa

      Atvaar.nscrcieaabs

      ccdrmieeutulfrantu

      dt,iacoseiboKediiI

      Als dies fertig war, nahm mein Oheim hastig das Blatt, worauf ich geschrieben hatte.

      »Was will das bedeuten?« wiederholte er mechanisch.

      Auf Ehre, ich hätte es ihm nicht sagen können. Übrigens fragte er mich nicht, und sprach weiter mit sich selbst:

      »Das heißen wir eine Geheimschrift, sagte er, worin der Sinn hinter absichtlich durcheinander gemischten Buchstaben versteckt ist, welche in gehöriger Folge geordnet, eine verständliche Phrase bilden würden. Darin steckt vielleicht die Erklärung oder Andeutung einer großen Entdeckung!«

      Ich meines Teils dachte, es stecke gar nichts dahinter, aber ich hütete mich wohl, meine Meinung auszusprechen.

      Der Professor nahm darauf das Buch und das Pergament, und verglich sie beide mit einander.

      »Diese beiden Schriften sind nicht von derselben Hand; das Geheimschriftstück ist späteren Ursprungs, als das Buch, wie ich das gleich vorne aus einem unwiderleglichen Beweis ersehe. In der Tat, der erste Buchstabe ist ein doppeltes M, das in Sturleson’s Buch sich nicht findet, denn es wurde erst im vierzehnten Jahrhundert dem isländischen Alphabet hinzugefügt. Also liegen wenigstens zwei Jahrhunderte zwischen dem Manuskript und dem Dokument.«

      Das schien mir allerdings ziemlich folgerichtig.

      »Das bringt mich auf den Gedanken, fuhr mein Oheim fort, diese geheimnißvolle Schrift sei von einem Besitzer des Buches verfaßt worden. Aber wer zum Henker war dieser Besitzer? Sollte er nicht seinen Namen irgendwo unter das Manuskript gesetzt haben?«

      Mein Oheim setzte seine Brille höher, nahm eine starke Lupe, und musterte sorgfältig die ersten Seiten des Buches durch. Auf der zweiten Rückseite entdeckte er eine Art Flecken, der wie ein Tintenklecks aussah; aber genauer besehen unterschied man einige halb verloschene Schriftzüge. Mein Oheim begriff, daß es auf diesen Punkt ankomme; er machte sich also aufs Eifrigste darüber her, und erkannte endlich mit Hilfe seiner Lupe die folgenden Runenschriftzeichen, welche er ohne Anstoß lesen konnte:

      »Arne Saknussemm! rief er triumphierend aus, aber das ist ein Name, und noch dazu ein isländischer Name, eines Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts, eines berühmten Alchymisten.«

      Ich schaute meinen Oheim mit einigem Staunen an.

      »Diese Alchymisten, fuhr er fort, Avicenna, Bacon, Lullus, Paracelsus waren die einzigen, die echten Gelehrten ihrer Epoche. Sie haben Entdeckungen gemacht, worüber wir erstaunt sein dürfen. Warum sollte nicht dieser Saknussemm unter dieser Geheimschrift eine auffallende Entdeckung verhüllt haben? So muß es sein. So ist’s wirklich.«

      Bei dieser Hypothese erhitzte sich des Professors Phantasie.

      »Ganz gewiß, erwiderte ich keck, aber was konnte dieser Gelehrte für ein Interesse dabei haben, eine merkwürdige Entdeckung geheim zu halten?

      – Warum? Warum? Ja, weiß ich’s? Hat’s nicht Galiläi ebenso gemacht in Beziehung auf Saturn? Übrigens, wir werden schon sehen: ich werde das Geheimniß dieses Dokuments herausbekommen, und ich werde weder essen noch schlafen, bis ich’s heraus habe.

      – O! dachte ich.

      – Du ebenfalls nicht, Axel, fuhr er fort.

      – Teufel! dacht’ ich, da ist’s gut, daß ich doppelte Mahlzeit gehalten habe.

      – Und erstlich, sagte mein Oheim, gilt’s, die Sprache dieser Chiffre aufzufinden. Das kann nicht schwer sein.«

      Bei diesen Worten hob ich lebhaft den Kopf. Mein Oheim fuhr fort, mit sich selbst zu reden:

      »Es gibt nichts Leichteres. Dieses Dokument enthält hundertzweiunddreißig Buchstaben, wovon neunundsiebenzig Konsonanten gegen dreiundfünfzig Vokale. Ungefähr dieses Verhältniß findet bei den südlichen Sprachen statt, während die Idiome des Nordens unendlich reicher an Konsonanten sind. Es handelt sich also um eine Sprache des Südens.«

      Diese Folgerungen waren richtig.

      »Aber was ist’s für eine Sprache?

      – Dieser Saknussemm, fuhr er fort, war ein unterrichteter Mann; wenn er also nicht in seiner Muttersprache schrieb, mußte er der unter den gebildeten Geistern des sechzehnten Jahrhunderts geläufigen Sprache den Vorzug geben, der lateinischen nämlich. Irre ich darin, so kann ich mit dem Spanischen, dem Französischen, Italienischen, Griechischen oder Hebräischen einen Versuch machen. Aber die Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts schrieben im Allgemeinen lateinisch. Ich darf also als selbstverständlich annehmen, es sei Latein.«

      Ich sprang von meinem Stuhl auf. Meine Erinnerungen aus der Lateinschule sträubten sich gegen die Behauptung, diese Gruppe seltsamer Worte könne der sanften Sprache Virgil’s angehören.

      »Ja! Latein, fuhr mein Oheim fort, aber verworrenes Latein.

      – Das mag sein! dachte ich. Wenn Du es entwirrst, lieber Oheim, bist Du ein feiner Kopf.

      – Untersuchen wir gehörig, sagte er, und nahm das von mir beschriebene Blatt wieder zur Hand. Hier ist eine Gruppe von hundertzweiunddreißig Buchstaben, die wir in vollständiger Verworrenheit finden. Da sind Worte, worin


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