Gesammelte Erzählungen. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
würde. Folglich liegt dies geheimnißvolle Zentrum der Anziehung nicht sehr tief.
– Wirklich, und das ist eine von der Wissenschaft nicht geahnte Tatsache.
– Die Wissenschaft, lieber Junge, ist voll Irrtümer, die man aber nicht zu scheuen hat, weil sie allmälig der Wahrheit zuführen.
– Und wie tief sind wir jetzt unten?
– Dreihundertundfünfzig Kilometer.
– Also, sagte ich mit einem Blick auf die Karte, das schottische Hochland über unserm Kopf, und dort die mit Schnee bedeckten Gipfel der Grampiangebirge sind wunderbar hoch.
– Ja, erwiderte der Professor lachend. Eine etwas schwere Bürde, aber das Gewölbe ist solid; der große Baumeister des Weltalls hat es aus guten Materialien errichtet, und niemals hätte der Mensch ihm eine gleiche Tragfähigkeit zu geben vermocht. Was wollen die Brückenbogen und die Gewölbe der Kathedralen gegen dieses Schiff mit einem Durchmesser von dreißig Kilometer, unter welchem ein Meer und seine Stürme sich bequem entwickeln können?
– O! Ich habe keine Angst, daß mir der Himmel auf den Kopf falle. Jetzt, lieber Oheim, was haben Sie im Plan? Denken Sie nicht auf die Erdoberfläche zurückzukehren?
– Zurückkehren? Das wäre! Im Gegenteil, die Reise fortsetzen, weil alles bis jetzt so gut gegangen.
– Doch weiß ich nicht, wie wir unter dieser flüssigen Ebene weiter dringen werden.
– O! Ich denke nicht kopfüber mich hinein zu stürzen. Aber wenn die Ozeane, richtig benannt, nur Seen sind, weil sie von Land umgeben werden, so ist mit um so mehr Grund anzunehmen, daß dieses innere Meer vom granitenen Bau umgeben ist.
– Kein Zweifel.
– Nun, auf dem jenseitigen Ufer bin ich sicher neue Ausgänge zu finden.
– Wie groß glauben Sie, daß dieser Ozean sei?
– Dreihundert bis vierhundert Kilometer.
– Ah! sagte ich; doch meinte ich, diese Schätzung möchte wohl nicht völlig genau sein.
– Also wir haben keine Zeit zu verlieren, und gleich morgen wollen wir in die See stechen.«
Unwillkürlich sah ich mich um nach dem Fahrzeug, das uns hinüberschaffen sollte.
»Nun, sagte ich, einschiffen werden wir uns. Gut! Und auf welchem Boot werden wir Platz nehmen?
– Dafür bedarf’s keines Bootes, lieber Junge, sondern ein gutes und solides Floß wird ausreichen.
– Ein Floß! rief ich aus. Ein Floß ist ebenso schwer zu bauen, und ich sehe nicht …
– Du siehst nicht, Axel, aber wenn Du hören willst, könntest Du hören!
– Hören?
– Ja, die Hammerschläge würden Dir begreiflich machen, daß Hans schon an der Arbeit ist.
– Er errichtet ein Floß?
– Ja.
– Wie! hat er schon Bäume gefällt?
– O! Die Bäume waren sämtlich gefällt. Komm, und Du wirst ihn bei der Arbeit finden.«
Nachdem wir eine Viertelstunde weit gegangen, bemerkte ich jenseits des Vorgebirgs, welches den kleinen Hafen bildete, Hans bei der Arbeit. Nur noch einige Schritte und ich war bei ihm. Zu meiner großen Überraschung lag ein halb fertiges Floß auf dem Sand; es war aus Balken einer ganz besonderen Holzart gefertigt, und eine Anzahl Bohlen, Kniestücke, Spante aller Art bedeckten den Boden. Man konnte daraus schon eine Flotte bauen.
»Oheim, rief ich, was ist das für ein Holz?
– Fichten, Tannen, Birken, allerlei zapfentragende Bäume des Nordens, die durchs Seewasser mineralisirt worden.
– Ist’s möglich?
– Man nennt dies fossile Holz ›surtarbrandur‹.
– Aber dann muß es, als versteinertes Holz und hart wie ein Stein, im Wasser untergehen?
– Das ist zuweilen der Fall; manches Holz der Art ist vollständig Anthracit geworden; anderes aber, wie dieses, hat nur einen Anfang der Umbildung erlitten. Schaue nur«, fuhr mein Oheim fort, und warf eins dieser kostbaren Stücke ins Meer.
Das Stück kam, nachdem es untergesunken, wieder an die Oberfläche des Wassers und schwankte auf den Wellen.
»Hast Du Dich überzeugt? sagte mein Oheim.
– Um so mehr, als es unglaublich ist!«
Am folgenden Abend war, Dank der Geschicklichkeit des Führers, das Floß fertig; es war zehn Fuß lang und fünf breit. Die mit starken Stricken zusammengeschnürten Balken von Surtarbrandur gewährten eine solide Fläche, und als dieses improvisierte Fahrzeug ins Wasser gelassen war, schwamm es ruhig auf den Wogen des Meeres Lidenbrock.
Zweiunddreißigstes Kapitel
Eine Wasserpartie
Am 13. August standen wir frühzeitig auf. Es handelte sich darum, eine neue Art von Transportmittel einzuweihen.
Ein aus zwei mit Schalen verstärkten Stäben verfertigter Mast, eine aus einem dritten gebildete Raa, ein unseren Decken entliehenes Segel – dies war das Takelwerk des Floßes. An Stricken mangelte es nicht. Alles war solid.
Um sechs Uhr gab der Professor das Zeichen zum Einschiffen. Die Lebensmittel, Bagage, Instrumente, die Waffen und ein ansehnlicher Vorrat süßen Wassers, welcher in den Felsen gesammelt worden war, befanden sich an der Stelle. Hans hatte ein Steuerruder eingerichtet, womit er seinen schwimmenden Apparat leiten konnte. Er stellte sich an die Barre. Ich machte das Ankertau, womit wir am Ufer befestigt waren, los. Das Segel wurde gerichtet, und wir stießen rasch vom Ufer ab.
Im Augenblick, als wir den Hafen verließen, wollte mein Oheim demselben einen Namen geben, etwa den meinigen.
»Wahrhaftig, sagt’ ich, ich habe Ihnen einen anderen vorzuschlagen.
– Welchen?
– Den Namen Gretchen’s. Hafen Gretchen wird sich gut auf der Karte ausnehmen.
– Richtig: Hafen Gretchen.«
So hat sich das Andenken an meine liebe Vierländerin mit unserer abenteuerlichen Fahrt verknüpft.
Der Wind wehte aus Nord-Ost. Wir fuhren von ihm getrieben äußerst schnell. Die dichte Atmosphäre hatte bedeutende Treibkraft und wirkte auf das Segel wie ein starker Blasebalg.
Nach Verlauf einer Stunde konnte mein Oheim unsere Schnelligkeit ziemlich genau schätzen.
»Wenn es so fort geht, sagte er, machen wir in vierundzwanzig Stunden mindestens dreihundert Kilometer, und werden bald das jenseitige Ufer erkennen.«
Ich erwiderte nichts und nahm meinen Platz vornen auf dem Floß. Bereits sank das nördliche Ufer zum Horizont herab. Vor meinen Augen erstreckte sich ein unermeßliches Meer. Große Wolken breiteten rasch ihre grauen Schatten über seine Oberfläche. Die silbernen Strahlen des elektrischen Lichtes, hie und da von einigen Tröpfchen reflektiert, ließen in den von dem Fahrzeug aufgeregten Wirbeln leuchtende Punkte hervorglänzen. Bald war alles Land aus dem Gesicht verloren, jedes Merkzeichen verschwunden, und wäre nicht das schäumende Fahrwasser des Floßes gewesen, so hätte ich meinen können, dasselbe sei vollständig unbeweglich.
Gegen Mittag sah man ungeheure Seegrasmassen auf der Oberfläche der Wellen treiben. Ich kannte die vegetative Kraft dieser Pflanzen, welche in einer Tiefe von mehr als zwölftausend Fuß auf dem Meeresgrund kriechen, sich unter’m Druck von vierhundert Atmosphären fortpflanzen, und oft sehr ansehnliche Bänke bilden, um den Lauf der Schiffe zu hemmen; aber niemals, glaub’ ich, gab’s riesenhafteres Seegras, als im Meer Lidenbrock.
Unser Floß fuhr an drei- bis viertausend Fuß langem Fukus vorüber, ungeheure Schlangengewinde, die sich über die Weite des Gesichtskreises hinauszogen;