Gesammelte Erzählungen. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
endigt mein Tagebuch, wie ich’s oben nannte, das ich glücklich aus dem Schiffbruch gerettet habe. Ich fahre in meiner Erzählung fort, wie oben.
Was beim Scheitern des Floßes an den Felsen der Küste vorging, kann ich nicht sagen. Ich fühlte, daß ich in die Wogen stürzte; daß ich aber dem Tod entrann, daß nicht mein Körper an den spitzen Felsen zerrissen ward, verdanke ich dem starken Arm unseres Hans.
Der mutige Isländer trug mich aus dem Bereich der Wellen auf glühenden Sand, wo ich mich an der Seite meines Oheims fand.
Darauf begab er sich wieder zu den Felsen, in die tobenden Wellen, um etwas von der Habe aus dem Schiffbruch zu retten. Ich vermochte nicht zu reden; ich war von Gemütsbewegungen und Strapazen gebrochen; ich bedurfte eine volle Stunde, um mich zu erholen.
Inzwischen regnete es fortwährend, wie bei der Sündflut. Einige überhängende Felsen boten uns Schutz gegen diese Ströme. Hans bereitete ein Mahl, das ich nicht anrühren konnte, dann verfielen wir alle, erschöpft vom Wachen durch drei Nächte, in einen schmerzvollen Schlaf.
Am folgenden Tag war prachtvolles Wetter. Himmel und Meer hatten sich friedlich geeinigt. Jede Spur von Gewitter war verschwunden. Der Professor begrüßte mich beim Erwachen. Er war fürchterlich munter.
»Nun, lieber Junge, hast Du gut geschlafen?«
Hätte man nicht denken sollen, wir befänden uns in dem Hause der Königsstraße, ich käme da ruhig zum Frühstück herab, meine Hochzeit mit Gretchen solle heute gefeiert werden?
Ach! Wäre das Floß vom Sturm nach Osten verschlagen worden, so wären wir unter Deutschland gefahren, unter meine Vaterstadt Hamburg, unter die Straße, wo mein Liebstes auf der Welt weilt. Dann wären wir kaum vierzig Lieues von einander! Aber vertikal durch eine Granitwand, und in Wirklichkeit mehr als tausend Lieues getrennt!
Alle diese schmerzlichen Gedanken durchliefen meinen Geist, bevor ich auf meines Oheims Fragen antworten konnte.
»Nun, wiederholte er, Du hast wohl nicht Lust zu antworten, ob Du gut geschlafen hast?
– Sehr gut, erwiderte ich; ich bin noch ganz zerschlagen; aber das tut nichts.
– Gar nichts, ein wenig Ermüdung, das ist alles.
– Aber Sie scheinen recht lustig diesen Morgen, lieber Oheim.
– Voll Freude, mein Junge! Entzückt! Wir sind angelangt.
– Am Ziel unserer Reise?
– Nein, aber am Ende dieses Meeres, das kein Ende nehmen wollte.
Jetzt werden wir wieder den Landweg einschlagen, daß wir wirklich ins Innere der Erde dringen.
– Lieber Oheim, erlauben Sie mir eine Frage.
– Das Fragen ist Dir vergönnt, Axel.
– Und die Rückreise?
– Die Rückreise! Denkst Du an Rückkehr, ehe wir angekommen sind?
– Nein, ich will nur fragen, wie sie ausgeführt werden soll.
– Auf die einfachste Weise, die es gibt. Sind wir einmal im Zentrum unseres Erdballs angekommen, so finden wir entweder einen neuen Weg, um auf seine Oberfläche zurückzukehren, oder wir gehen ganz ruhig den Weg, welchen wir gekommen sind, wieder zurück. Ich denke wohl, man wird nicht hinter uns die Pforten schließen.
– Dann muß man das Floß wieder in guten Stand setzen.
– Notwendig.
– Aber werden die Lebensmittel ausreichen, um alles dies Große zu vollenden?
– Ja, gewiß. Hans ist ein tüchtiger Bursche, der hat gewiß den größten Teil der Ladung gerettet. Übrigens wollen wir uns dessen versichern.«
Wir verließen diese, jedem Luftzug ausgesetzte Grotte. Ich hatte eine Hoffnung, die zugleich eine Besorgniß war; es schien mir unmöglich, daß nicht bei dem fürchterlichen Anprallen des Floßes die ganze Ladung zu Grunde ging. Ich irrte mich. Bei meiner Ankunft am Ufer bemerkte ich Hans mitten in einem Haufen von Gegenständen, die er hübsch geordnet hatte. Mein Oheim drückte ihm die Hand mit lebhaftem Bezeugen seiner Erkenntlichkeit. Dieser Mensch, von übermenschlicher Hingebung beseelt, wie man nicht leicht einen anderen finden würde, hatte, während wir schliefen, gearbeitet, und mit Lebensgefahr die wertvollsten Gegenstände gerettet.
Wir hatten zwar ziemlich erhebliche Verluste erlitten, z.B. unserer Waffen; aber schließlich konnte man dieselben entbehren. Der Pulvervorrat war unversehrt geblieben, nachdem wir während des Gewitters beinahe wären in die Luft gesprengt worden.
»Nun, rief der Professor, da die Gewehre mangeln, so brauchen wir nicht mehr zu jagen.
– Gut; aber die Instrumente?
– Hier ist der Manometer, das nützlichste von allen, für welches ich die anderen sämtlich hingegeben haben würde. Mit seiner Hilfe kann ich die Tiefe berechnen, und wissen, wann wir das Zentrum erreicht haben werden. Ohne dasselbe würden wir riskieren, drüber hinaus zu dringen und bei den Antipoden wieder herauszukommen!«
Diese Heiterkeit war arg.
»Aber der Kompaß? fragte ich.
– Da ist er, auf diesem Felsen, in vollkommenem Zustand, sowie der Chronometer und die Thermometer. Ja, der Jäger ist ein wertvoller Mensch!«
Das mußte man wohl anerkennen; in Hinsicht der Instrumente fehlte nichts. An Werkzeug und Geräten bemerkte ich auf dem Sande auseinander gelegt, Leitern, Stricke, Hauen, Hacken u.s.w.
Doch waren auch noch die Lebensmittel in Betracht zu nehmen.
»Und die Provision? sagte ich.
– Sehen wir nach«, erwiderte mein Oheim.
Die Kisten, welche sie enthielten, befanden sich am Ufer in wohl erhaltenem Zustand; das Meer hatte sie zum größten Teile verschont, und im Ganzen konnte man an Zwieback, Fleisch, Branntwein und Fischen noch auf vier Monate zu leben haben.
»Vier Monate! rief der Professor. Wir haben daran Zeit genug, hin und zurück zu kommen, und mit dem Reste will ich allen meinen Kollegen am Johanneum ein großes Diner geben!«
Ich hätte seit langer Zeit an das Temperament meines Oheims gewöhnt sein können; und dennoch setzte mich dieser Mann stets in Erstaunen.
»Jetzt, sagte er, wollen wir unseren Wasservorrat mit dem Regen ergänzen, welcher bei dem Gewitter in alle Granitbassins gefallen ist; demnach haben wir nicht zu besorgen, Durst leiden zu müssen. Das Floß mag Hans aufs Beste wieder herstellen, obgleich wir, denk’ ich, es nicht mehr gebrauchen werden.
– Wie so? rief ich aus.
– Es ist so meine Idee. Ich denke, wir werden nicht denselben Weg, den wir gekommen sind, zur Rückkehr brauchen.«
Ich betrachtete den Professor mit einigem Mißtrauen. Ich fragte mich, ob er nicht ein Narr geworden sei.
»Jetzt wollen wir frühstücken«, fuhr er fort.
Nachdem er dem Jäger seine Anweisung gegeben, begleitete ich ihn auf ein hohes Cap. Hier nahmen wir eine treffliche Mahlzeit ein, die aus getrocknetem Fleisch, Zwieback und Tee bestand, und, ich muß gestehen, die beste war, welche ich je in meinem Leben genossen habe. Das Bedürfniß, die frische Luft, die Ruhe nach den Erschütterungen, Alles trug dazu bei, mir Appetit zu machen.
Während des Frühstücks richtete ich an meinen Oheim die Frage, wo wir uns eben befänden.
»Es scheint mir dies, sagte ich, schwer zu berechnen.
– Genau zu berechnen, ja, erwiderte er; das ist wohl nicht möglich, weil ich während der drei Gewittertage nicht im Stande war, die Schnelligkeit und die Richtung unseres Fahrzeugs zu notieren; doch können wir durch Schätzung unsere Lage aufnehmen.
In der Tat war die letzte Beobachtung am Inselchen des Geyser angestellt worden.
– Am Eiland Axel,