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Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan ZweigЧитать онлайн книгу.

Seine schönsten Erzählungen und Biografien - Stefan Zweig


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ihm beliebte. Ohne von Justiz oder Autorität ernstlich behelligt zu werden, konnten sie den wüstesten Trieben freien Lauf gewähren; was in ihrem Heimatland mit Kette und Brandmarkung geahndet wurde, galt hier als erlaubtes Vergnügen gemäß der Conquistadorendoktrin: Ultra equinoxialem non peccatur. Sie beschlagnahmten Land, wo und wieviel sie wollten, sie holten sich Eingeborene, wo sie sie gerade fanden und ließen sie unter der Peitsche roboten. Sie nahmen jede Frau, die ihnen über den Weg lief, und die ungeheure Zahl der Mischkinder illustrierte bald die Verbreitung dieser wilden Vielweiberei. Niemand war zur Stelle, ihnen Autorität aufzuzwingen, und so lebte jeder dieser Gesellen, die meist noch die Brandmale des Zuchthauses auf den Schultern trugen, wie ein Pascha, ohne sich um Recht und Religion zu kümmern und vor allem ohne jemals selbst die Hand zu wirklicher Arbeit zu rühren. Statt das Land zu zivilisieren, waren diese ersten Kolonisten selber verwildert.

      Dieser rüden, an Müßiggang und Selbstherrlichkeit gewöhnten Rotte wieder Zucht beizubringen, bedeutete eine harte Aufgabe. Was die frommen Brüder am meisten entsetzt, ist die zügellose Vielweiberei, das braune Haremswesen. Aber anderseits, wie diese Männer anklagen, daß sie hier in wildem Konkubinat leben, da doch gar keine Möglichkeit für sie besteht, legal zu heiraten und eine Familie zu gründen? Denn wie eine Familie gründen, die allein Grundlage bürgerlicher Gesittung werden kann, wenn weiße Frauen völlig fehlen? So drängt Nóbrega den König, er möge Frauen aus Portugal herüberschicken: Mande Vossa Alteza mulheres órfãs, porque tôdas casarão. Und da nicht zu erwarten ist, daß die Fidalgos Portugals ihre Töchter in das weite und entlegene Land senden werden, damit sie sich unter diesen wüsten Gesellen einen Gemahl suchen, geht Nóbrega in seiner Großzügigkeit sogar so weit, den König zu bitten, er möge auch die gefallenen Mädchen, die Dirnen aus den Straßen Lissabons herüberspedieren. Hier fände jede einen Mann. Nach einiger Zeit gelingt es den vereinten geistlichen und amtlichen Autoritäten tatsächlich, in den Sitten wieder eine gewisse Ordnung zu schaffen. Aber in einem Punkte stoßen sie bei der ganzen Kolonie auf erbitterten Widerstand – in der Frage der Sklaverei, die vom Anfang bis zum Ende, von 1500 bis fast 1900, die Crux des brasilianischen Problems bleiben wird. Die Erde braucht Hände, und es sind nicht genug Hände da. Die wenigen Kolonisten reichen nicht aus, um das Zuckerrohr zu pflanzen und in den engenhos, den primitiven Fabriken zu arbeiten; außerdem sind diese Abenteurer und Conquistadoren nicht deshalb über das Meer in dies tropische Land gekommen, um hier mit Hacke und Schaufel zu werken. Sie wollen hier Herren sein; so hatten sie sich einfach geholfen, indem sie die Eingeborenen wie Hasen einfingen und sie dann unter der Peitsche roboten ließen, bis sie zusammenbrachen; die Erde gehört ihnen, argumentieren sie, mit allem, was darüber und darunter ist, also auch alle diese zweibeinigen braunen Tiere, gleichgültig ob sie bei der Arbeit verrecken oder nicht; für jeden Toten holt man sich in der munteren caça al branco ein Schock neuer ein und hat dazu noch einen sportlichen Spaß.

      Gegen diese bequeme Auffassung greifen nun die Jesuiten energisch ein, denn die Versklavung und Entvölkerung des Landes geht schroff ihrem weitreichenden und wohldurchdachten Plan zuwider. Sie können es nicht dulden, daß die Kolonisten die Eingeborenen zu Arbeitstieren herabdrücken, weil sie sich es doch gerade als die wesentlichste Aufgabe gesetzt haben, diese Unbelehrten dem Glauben, der Erde und der Zukunft zu gewinnen. Jeder freie Eingeborene bedeutet für sie ein notwendiges Objekt der Besiedlung und Zivilisierung. Während es bislang im Interesse der Kolonisten lag, die einzelnen Stämme zu fortwährenden Kriegen gegeneinander zu hetzen, damit sie einander rascher ausrotten und man außerdem nach jedem Kriegszug die erbeuteten Gefangenen als billige Ware kaufen könnte, suchen die Jesuiten die Stämme untereinander zu versöhnen und in dem gewaltigen Raume durch Ansiedlung zu isolieren. Der Eingeborene stellt für sie als künftiger Brasilianer und gewonnener Christ die vielleicht kostbarste Substanz dieser Erde dar, wichtiger als das Zuckerrohr, das Brasilholz und der Tabak, um derentwillen sie geknechtet und ausgerottet werden sollen. Als die wesentliche, die gottgewollte Nahrung wollen sie diese noch ungeformten Menschen in die Scholle einsetzen, ebenso wie die fremden Früchte und Pflanzen, die sie von Europa mitgebracht haben, statt sie verkümmern und weiter verwildern zu lassen. Ausdrücklich haben sie sich darum vom König die Freiheit der Eingeborenen ausbedungen, in ihrem Plan soll es im künftigen Brasilien nicht eine Herrennation von Weißen und eine Sklavennation von Farbigen geben, sondern nur ein einheitliches freies Volk auf freier Erde.

      Freilich, selbst ein königlicher Brief und Auftrag verliert dreitausend Meilen weit viel von seiner gebieterischen Kraft, und ein Dutzend Priester, von denen die Hälfte immer auf ruhelosen Missionsfahrten das Land durchwandert, sind zu schwach gegen den selbstsüchtigen Willen der Kolonie. Um wenigstens einen Teil der Eingeborenen zu retten, müssen die Jesuiten in der Sklavenfrage paktieren. Sie müssen die angeblich im »gerechten« Kriege, das heißt im Verteidigungskriege gegen die Eingeborenen gemachten Gefangenen den Kolonisten als Sklaven konzedieren, und selbstverständlich findet diese Verklausulierung die allerbiegsamste und unkontrollierbarste Auslegung. Außerdem sind sie genötigt, um nicht beschuldigt zu werden, das rasche Fortschreiten der Kolonie zu verunmöglichen, den Import afrikanischer Neger zu befürworten; selbst diese geistig hochstehenden und human gesinnten Männer können sich nicht der Anschauung der Zeit entziehen, für die der Negersklave ein ebenso selbstverständlicher Handelsartikel ist wie Wolle oder Holz. In jenen Jahren beherbergt Lissabon, die europäische Hauptstadt, schon zehntausend schwarze Sklaven; wie sie dann dem Kolonialland verweigern? Sogar die Jesuiten selbst sind genötigt, sich Neger anzuschaffen; mit voller Gleichmütigkeit berichtet in einem Atemzug Nóbrega, er habe drei Sklaven und einige Kühe angeschafft für sein Kollegium. Aber an dem Prinzip, daß die Eingeborenen Brasiliens nicht Freiwild jedes hergelaufenen Abenteurers sind, halten die Jesuiten unbeugsam fest; sie schützen jeden ihrer Täuflinge, und die ethische Unbeugsamkeit, mit der sie für das Recht der braunen Brasilianer kämpfen, wird ihr Verhängnis sein. Nichts hat die Situation der Jesuiten in Brasilien so schwierig gemacht wie dieser Kampf um die brasilianische Idee der Besiedlung und Beseelung des Landes durch freie Menschen, und wehmütig bekennt einer von ihnen: »Viel ruhiger hätten wir gelebt, wenn wir bloß in den Kollegien geblieben wären und uns darauf beschränkt hätten, einzig religiösen Dienst zu tun.« Aber der Gründer ihres Ordens war nicht umsonst vordem Soldat gewesen, er hatte seine Schüler zum Kampf erzogen für eine Idee. Und diese Idee haben sie mit ihrem Leben in das Land getragen: die Idee Brasiliens.

      Es zeigt den großen Strategen in Nóbrega, daß er bei seinem Eroberungsplan des künftigen Reiches sofort den richtigen Punkt für den Brückenschlag in die Zukunft erkannte. Bald nach seiner Ankunft in Bahia hatte er seine erste Ausbildungsschule errichtet und mit den nachgekommenen Brüdern in mühevollen, anstrengenden Fahrten die ganze Küste von Pernambuco bis hinab nach Santos visitiert, wo er São Vincente begründet. Aber noch immer hat er nicht die richtige Stelle gefunden für das Hauptkollegium, für das geistige und geistliche Nervenzentrum, das nach und nach das ganze Land durchdringen soll. Auf den ersten Blick ist dieses sorgliche, wohl überlegende Suchen Nóbregas nach einem richtigen Stützpunkt unverständlich. Warum verlegt er sein Hauptquartier nicht nach Bahia, der Hauptstadt, dem Sitz des Gouverneurs und des päpstlichen Bischofs? Aber hier wird man zum erstenmal eines geheimen Gegensatzes gewahr, der mit der Zeit sich zu einem offenen und schließlich sogar gewalttätigen auswirken wird. Der Orden Loyolas will nicht unter staatlicher und nicht einmal unter päpstlicher Kontrolle sein Werk beginnen; den Jesuiten geht es von der ersten Stunde an bei Brasilien um ein höheres Spiel und Ziel, als dort bloß ein lehrendes, helfendes, der Krone und der Curie untergeordnetes Kolonisationselement zu sein. Brasilien bedeutet für sie ein entscheidendes Experiment, die erste Probe für die Realisationsfähigkeit ihrer organisatorischen Kraft, und Nóbrega spricht es unumwunden aus: esta terra é nossa emprêsa, »dieses Land ist unsere Aufgabe« und meint damit: wir sind für ihre Lösung vor Gott und den Menschen verantwortlich. Verantwortung will der Starke aber nur allein tragen. Die Jesuiten – dies der Grund des geheimen Mißtrauens, das sie in Brasilien von Anfang an durch die Geschichte begleitet – hatten zweifelsohne ein besonderes, ein persönlich durchdachtes und den andern nicht ganz erkennbares Ziel. Was sie – bewußt oder unbewußt – anstrebten, war nicht bloß die Heranbildung einer portugiesischen Kolonie unter all den andern portugiesischen Kolonien, sondern eine theokratische Gemeinschaft, ein neuartiges, den Kräften des Geldes und der Gewalt nicht unterworfenes Staatsgebilde, wie sie es ja später in Paraguay zu gründen versuchten. Von der ersten Stunde an wollten sie mit Brasilien etwas Einmaliges,


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