Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
durch das Telefon.
"Nix. Ich ruf später nochmal an!"
"Wat?"
Ubbo legte auf.
Die beiden Männer traten ein.
"Hey, was ist?", rief der Größere der beiden. Er wirkte ziemlich grobschlächtig, hatte ein kantiges Gesicht mit spitzem Kinn, das wie ein V geformt war. Die Haare hingen ihm bis in die Augen. "Mit wem du hast telefoniert, du Wichser? Mit Polizei? Hast mit Polizei telefoniert?"
Ubbo erstarrte, schluckte dann.
Er hatte ein Gefühl, als ob ihm ein dicker Kloß im Hals stecken würde.
"Nein!", brachte er dann heraus.
Er kannte die Typen. Sie waren schonmal hier gewesen, hatten versucht, etwas vom Gewinn des Geschäfts für sich abzuzweigen.
Der Kleinere sagte etwas auf Russisch. Dann räusperte er sich und spuckte geräuschvoll auf den blankgeputzten PVC-Boden.
"Ist blöde Ratte! Macht nur Stress, Alter!"
Der Kleinere hatte weißblond gefärbte Haare, die sein Gesicht ziemlich blass erschienen ließen.
Ubbos Hand zuckte vor. Er wollte zum Telefon greifen, die Polizei anrufen, war aber nicht entschlossen genug. Die Angst lähmte ihn.
Der Weißblonde griff unter seine Jacke und holte einen kurzläufigen Revolver hervor.
"Beweg dich nicht, du Ratte!", zischte er. Ubbo hielt es für besser, sich daran zu halten.
Der Größere der beiden Eindringlinge umrundete den Tresen, packte Ubbo dann am Kragen. Ubbo schlug der Puls bis zum Hals.
"Was wollt ihr von mir? Die Kasse? Ist noch nix drin! Das Wechselgeld bringt der Hieni mit..."
Ubbo bekam einen brutalen Ellbogenstoß mitten ins Gesicht. Er taumelte zurück gegen ein Regal, in dem zusammengefaltete Anglerhosen lagen. Blut schoss ihm aus der Nase heraus. Ubbo rutschte zu Boden. Ehe er sich von dem ersten Schlag erholen konnte, bekam er einen furchtbaren Tritt in die Magengrube. Ihm wurde schlecht. Er ächzte, stieß einen röchelnden Laut hervor.
Der Größere packte ihn erneut am Kragen, zog ihn hoch und stellte ihn auf die Beine.
Er grinste Ubbo an.
"Wenn du uns nochmal die Bullen auf Hals hetzt -—du bist tot wie Vater!"
Ein übler Schwinger senkte sich in Ubbos Bauch.
Mit einem ächzendem Laut krümmte er sich zusammen. Wie ein Dampfhammer sauste eine weitere Faust von oben auf ihn herab und traf ihn am Kopf. Benommen sackte er zu Boden.
In diesem Moment ließ die Türglocke die beiden jungen Männer herumfahren.
Der Weißblonde riss den Lauf seiner Pistole herum und feuerte, ohne auch nur eine einzige Sekunde zu zögern.
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12.
Als Lorant das Sluiter'sche Geschäft betrat und im nächsten Moment in die Mündung eines Revolvers blickte, bereute er schon, ausgerechnet jetzt mit Sohn Ubbo und den Angestellten sprechen zu wollen. Lorant hatte es für praktisch gehalten. Das Präsidium der Kriminalpolizei lag in unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnhofs Emden West und der Postzentrale. Von da aus war es nur ein Katzensprung bis zur Nesserländer Straße.
Die beiden jungen Männer gehörten hier ganz offensichtlich nicht hin.
Wie ertappte Einbrecher wirkten sie.
Und der Kleinere von ihnen mit seiner albern wirkenden weißblonden Haarpracht feuerte seine Waffe sofort ab.
Lorant duckte sich zur Seite. Ein reflexhafter Bewegungsablauf. Die Kugel zischte an ihm vorbei. Die Schaufensterscheibe ging zu Bruch.
Lorant schnellte vor, ließ das Bein hochfahren. Mit einem gezielten Tritt kickte er dem Weißblonden die Pistole aus der Hand. Der Weißblonde war völlig perplex, Lorant verlor fast das Gleichgewicht. Es war eine Ewigkeit her, seit er seine Nahkampfausbildung absolviert hatte. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst hinaus hatte Lorant sich in dieser Hinsicht fit gehalten, das Training dann aber irgendwann sträflich vernachlässigt. Im Kampf gegen den Aktenberg hatte ihm die hohe Kunst der Selbstverteidigung schon während seiner Beamtenjahre nicht allzu viel helfen können.
Lorant wich zurück, hielt die Balance.
"Ey, der Alte hat's ja echt drauf!", knurrte der Größere der beiden Eindringlinge.
Im ersten Augenblick war Lorant genauso über sich erstaunt gewesen. Die antrainierten Reflexe funktionierten offenbar noch.
Dachte er.
Bis er den stechenden Schmerz spürte, der sich von der linken Pobacke das Bein hinunterzog.
Der Ischias!
Offenbar bin ich wohl doch nicht mehr so beweglich, wie ich gedacht habe, durchfuhr es ihn.
Lorant warf einen kurzen Blick zu dem kurzläufigen Revolver, der auf dem Boden lag. Vielleicht eine Sekunde lang dachte er darüber nach, sich auf den Boden zu hechten, um die Waffe an sich zu bringen. Aber seine Ischiasbeschwerden hielten ihn davon ab. Außerdem war es fraglich, ob er schnell genug gewesen wäre.
Der Weißblonde zog ein Springmesser unter der Jacke hervor, ließ die Klinge herausschießen. Sein Gesicht glich einer verzerrten Maske. Dass Lorant ihm den Revolver aus der Hand gekickt hatte, konnte er einfach nicht verwinden.
"Mach dein Testament, Großväterchen!", knurrte er.
Dann stürzte er sich auf Lorant.
Die Hand mit der Klinge fuhr auf Lorant zu. Der Ausfallschritt, den Lorant fast automatisch vollführte, tat höllisch weh. Er bekam den Messerarm zu fassen, bog ihn zur Seite. Der Stoß der Klinge glitt knapp an ihm vorbei. Einen Sekundenbruchteil später knallte Lorant seine rechte Gerade mitten in das Gesicht seines Gegenübers.
Der Weißblonde taumelte zurück, stolperte rückwärts bis zur Schaufensterdekoration.
Im selben Moment hatte sich der Große über den Tresen geschwungen. Ohne zu zögern stürzte er sich auf Lorant. Dieser drehte sich herum, versuchte den Angriff noch abzuehren. Aber er war nicht schnell genug. Der Tritt des Großen traf Lorant genau vor den Solar Plexus. Er japste nach Luft, taumelte zurück und prallte gegen eine Regalwand. Lorant rutschte zu Boden und stieß einen röchelnden Laut aus. Alles schien sich vor seinen Augen zu drehen. Nur nicht das Bewusstsein verlieren!, hämmerte es in ihm. Wach bleiben, nur wach bleiben...
Der Weißblonde hatte sich indessen wieder aufgerappelt.
Die beiden Schläger redeten auf Russisch miteinander. Ihre Unterhaltung machte einen ziemlich hektischen Eindruck. Schließlich schrien sie sich an.
Der Weißblonde hob den Revolver auf, richtete den Lauf auf Lorant.
"Ich bring dich um, du Arsch!", schrie er.
Lorant blickte zu ihm auf. Der Tritt des Großen hatte höllisch wehgetan. Ihm war schlecht. Wenn ich jetzt kotzen muss, verschwinden sie vielleicht, dachte Lorant.
Es war sein letzter Gedanke, bevor der Weißblonde abdrückte.
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13.
Rena Sluiter besuchte an diesem Vormittag die Emder Kunsthalle. Zurzeit war dort nicht die berühmte Sammlung des Kunstmäzens und ehemaligen Stern-Herausgebers Henri Nannen zu sehen, die normalerweise hier untergebracht war. Zurzeit beherbergte die Emder Kunsthalle die sehr umfangreiche Werkschau eines jungen Wilden, der sich Bradecke nannte.