Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand. Glenn StirlingЧитать онлайн книгу.
entfuhr es ihm wider seinen Willen, denn Inge brauchte Ruhe.
Inge sah wieder zur Seite.
„Sie liebt dich sehr.“
Ihre Stimme klang sehr gepresst.
Er beugte sich über Inge und sah, dass sie weinte.
„Inge!“
Sie schluchzte.
„Inge, sieh mich an!“, bat er.
Sie wandte ihr Gesicht ihm zu, und er küsste ihren Mund. Ihre Tränen benetzten seine Wangen, aber in diesem Augenblick spürte er, dass nichts mehr zwischen ihnen beiden stand. Alle Liebe, alle Sehnsucht, die sie beide beseelte. und die sie voreinander eben noch zu verbergen suchten, lag in diesem Kuss.
Als sie sich trennten, sagte. Dr. Wolf leise:
„Und jetzt schlaf, Inge, es wird wieder gut!“
„Ja, Liebster“, flüsterte sie.
Er richtete sich auf, strich sanft über ihre Stirn und ging leise hinaus. Als er die Tür schloss, sah er keine zehn Schritte weit Fräulein Dr. Schendt mit der Nachtschwester auf dem Flur stehen. Fräulein Dr. Schendt blickte demonstrativ auf ihre Armbanduhr und rief ihm zu:
„Ist etwas mit dieser Patientin?“
„Haben Sie Nachtdienst?“, fragte er bissig.
„Nein, aber ich fühle mich verpflichtet, auch im Vorübergehen auf das Wohl der Kranken zu achten.“
„Reden Sie keinen Kohl und gehen Sie jetzt!“, fuhr er sie giftig an. „Und Sie, Schwester, sollten mal auf die Rufanlage acht geben. Dort hinten brennt schon die ganze Zeit die Lampe über Zimmer 21! Das wäre für Sie besser, mal nachzusehen, als sich die Zeit zu vertreiben.“
Die Nachtschwester bekam einen roten Kopf und ging.
Fräulein Dr. Schendt aber lächelte maliziös und sagte voller Hohn:
„Der liebe Herr Doktor Wolf reagiert also mit Wutausbrüchen, wenn man dahinterkommt, auf welch kuriose Weise er seine Therapie anstellt, wie?“
Dr. Wolf kochte.
„Gehen Sie zum Teufel!“, schnauzte er sie an und ging in sein Büro.
Sie sah ihm nach, lachte leise und sagte vor sich hin:
„Ich bekomme dich doch! Und ob ich dich bekomme!“
*
ELLEN SCHENDT WAR AM nächsten Morgen unausgeschlafen, als sie sich erhob, wusch und ankleidete. Der Tag war grau in grau, und Ellen musste immerzu an das unerfreuliche Gespräch von letzter Nacht denken. Sie begann sich Vorwürfe zu machen. Vielleicht reagierte Dr. Wolf ganz anders, als sie gedacht hatte.
Die Tatsache, heute Unfallbereitschaft zu haben, gefiel ihr auch nicht. Sie wäre lieber bei der Nierenoperation dabei gewesen, die der Professor heute angesetzt hatte. Statt dessen musste sie in der Aufnahme sitzen, warten, und womöglich mit dem Notarztwagen ausrücken.
Sie wäre statt dessen lieber in Dr. Wolfs – oder wie sie ihn insgeheim nannte: in Gerts Nähe geblieben. Denn er würde dem Professor assistieren.
Das alles an dem Tag, wo sie eigentlich freinehmen wollte, ebenso wie Gert, um beide eine Fahrt zu machen. Und nun hatte er mit Dr. Holmann getauscht.
Um ihn zu ärgern, hatte sie noch gestern Abend ebenfalls einen Tausch mit einem jüngeren Kollegen gemacht. Aber auch da war Dr. Wolf wieder schneller gewesen. Und nun, da sie die Diensteinteilung sah, die man ihr unter der Tür durchgeschoben hatte, entdeckte sie ihren Namen unter der Zeile „Unfallbereitschaft“. Dass sie das Dr. Wolf verdankte, war ihr klar. Er wollte sie also bei der Operation nicht dabei haben.
Der Kaffee schmeckte ihr nicht, die Brötchen waren altbacken, und Schwester Gerda, die sie draußen traf, war auch übelster Laune.
„Mir kann keiner mehr für liebe Jefälligkeiten bekommen“, sagte die schwergewichtige Schwester aufgebracht. „Mir nich’! Der hat mir vielleicht heute morgen angeblubbert, dieser Dr. Wolf. Mir reicht's!“
Und fort war sie.
Ellen hatte das Gefühl, Schwester Gerda gäbe ihr noch die Schuld für Dr. Wolfs Zorn.
Kaum war es acht Uhr, summte schon überall auf der Station der Arztruf, brannten die roten Lampen.
Ellen ging in die Aufnahme, und dort kam ihr schon Dr. Brecht entgegen.
„Na endlich, wo stecken Sie denn?“, rief er. „Los, 'raus, der Wagen wartet schon. Einsatz!“
„Was denn, jetzt schon?“, fragte sie etwas verwirrt, ohne sich zu überlegen, wie einfältig diese Frage war.
Dr. Brecht zuckte die Schultern.
„Die Autofahrer warten nicht immer, bis Sie ausgeschlafen haben. Die fahren sich mitunter auch schon vorher tot. Nun los mit Ihnen!“
Als Ellen den Wagen bestieg, hatte sie plötzlich ein flaues Gefühl. Sie ahnte, dass diese Fahrt ihr nichts Gutes bringen würde. Doch dann schob sie diese Schwäche auf den Kaffee, der ihr vielleicht nicht gut bekommen war, und bemühte sich, an ihre Arbeit zu denken.
Ein paar Minuten später war sie an der Unfallstelle. Ein Kind war unter einen Bus geraten. Der kleine Junge konnte bis jetzt noch nicht befreit werden und brauchte Hilfe, so wie er lag. Unter dem Unterflurmotor des Busses.
Ellen legte sich auf eine Decke, kroch unter den Bus, um an den Jungen heranzukommen. Und dann begriff sie mit einem Blick, dass hier eine Armamputation erfolgen musste. Hier unter dem Bus. Anders war der eingeklemmte Junge nicht zu befreien. Er würde ohne diesen Eingriff verbluten.
Jetzt wusste sie, woher das flaue Gefühl gekommen war. Sie spürte, dass sie in dieser Lage zu diesem Eingriff nicht fähig war. Sie konnte so nichts machen, hatte noch nie so arbeiten müssen. Und doch musste es sein.
Zuerst gab sie dem Kind eine Spritze und stillte das Blut. Aber dann musste sie sich beeilen.
Ich kann es nicht, dachte sie. Ich schaffe das nicht. Er wird verbluten, wenn ich es nicht korrekt mache, aber wie soll ich das? Liegend, im Nassen. Auf einer Decke, die den kalten Asphalt dieses Wintertages kaum isolierte. Nein, ich kann so nicht. Sie merkte schon, wie ihr die Arme lahm wurden.
Draußen war ein Arzt. Er kam wohl aus einer nahen Praxis. Von ihm war auch der Notarztwagen angefordert worden.
„Nun, was ist, Fräulein Kollege? Sie müssen sich beeilen. Warten Sie, ich helfe Ihnen!“
Er kroch zu ihr unter den Wagen.
„Hebt mal die Winden höher!“, rief er den Feuerwehrmännern draußen zu.
Ein kalter Wind wehte unter dem Bus lang. Eisig, und Ellens Hände wurden steif und klamm. Audi der Arzt, ein älterer Herr, fror. Doch sie mussten anfangen.
„Ich bin kein Chirurg. Was ich davon weiß, ist von früher übrig. Dort, würde ich sagen. Über ... Fräulein Kollege, was ist mit Ihnen? Mein Gott, jetzt wird sie auch noch ohnmächtig ...! Herrje, und das sind unsere jungen Ärzte!“
*
ALS ELLEN ERWACHTE, lag sie auf dem Rücksitz eines Streifenwagens. Vorne brabbelte jemand aus einem Lautsprecher, und sie verstand kein Wort. Doch es war niemand außer ihr im Wagen.
Sie fror, blickte an sich hinab und sah den Schmutz auf ihrem Kittel, auf ihren Strümpfen und an ihren Händen. Als sie sich aufrichtete, spürte sie erneut die Schwäche, fasste sich aber und sah durch das Fenster. Gerade wurde eine Bahre in den Notarztwagen geschoben. Dann entdeckte sie die mit Schmutz befleckten Kitteln dastehenden Kollegen.