Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019. Pete HackettЧитать онлайн книгу.
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Friedrich Oberbeck eilte den Gang hastig hinunter, achtete nicht auf die zahlreichen Diener, die ebenfalls geschäftig hin- und hereilten und wäre um ein Haar mit einem von ihnen zusammengestoßen. Dann stand er vor der Tür seines neuen Vorgesetzten, atmete einmal tief durch, zog seine Montur straff und griff nach der Türklinke. In diesem Augenblick wurde die Tür stürmisch aufgerissen, und Herzog Carl Wilhelm Ferdinand stürmte heraus. Der Leutnant konnte gerade noch einen Schritt zurückweichen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Er verbeugte sich tief, als er auch schon den Herzog laut ausrufen hörte:
„Ah, der Leutnant – ausgezeichnet, ausgezeichnet, guter Mann, wirklich. Moment doch, wo ich Euch so selten zu sehen bekomme ...“
Der Herzog war stehen geblieben und musterte den verlegenen Offizier mit einem freundlichen Gesicht. Seine Hände durchwühlten die Seitentaschen seines dunkelblauen Rockes, kurz darauf fand er offenbar, wonach er gesucht hatte, und das Lächeln in seinem kräftigen, leicht geröteten Gesicht verstärkte sich noch.
„Wirklich gute Arbeit, die Ihr leistet, bin sehr zufrieden.“
Damit drückte er dem jetzt völlig Verdatterten eine Münze in die Hand, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte den Flur hinunter, gefolgt von einer ganzen Gruppe diensteifriger Lakaien, die respektvoll wartend hinter ihm gestanden hatten.
Einen Moment später war der ganze Zug wieder verschwunden, und Oberbeck warf einen raschen Blick auf die Münze, als er die Tür hinter sich schloss.
Donnerwetter, der Herzog ist nobel!, schoss es ihm durch den Kopf, als er den Harzgold-Dukaten blinken sah. Diese Münzen wurden im Herzogtum seit 1710 geprägt und in Anlehnung an den französischen Louisdor herausgegeben. Oberbeck konnte sich nicht erinnern, jemals ein solches Geldstück in Händen gehalten zu haben.
Aber nun erwartete ihn die nächste Überraschung. In einem bequemen Sessel saß der Graf von St. Germain, hielt ein Glas mit dunklem Wein in der Hand und plauderte mit dem Kammerherrn. Verwirrt blieb der Leutnant hinter der Tür stehen. Erst die Begegnung mit dem Herzog, und jetzt befand sich dieser fremde Graf hier – offenbar ein gemeinsames Treffen. Aber wie war es möglich, dass der Herzog höchstpersönlich in die Räume des Kammerherrn ging?
„Ach, lieber Leutnant, schön, dass Ihr schon eingetroffen seid!“, räumte der Kammerherr alle Zweifel beiseite, dass der Leutnant vielleicht ungelegen kam. „Ich hatte Euch rufen lassen, weil Ihr einmal von den neuesten Erkenntnissen des Grafen von St. Germain erfahren sollt. – Graf, dies ist der Kommandeur der Braunschweiger Jäger, eine vorzügliche Gruppe, die zudem seit ihrem Einsatz in Nordamerika in Braunschweig Polizeiaufgaben übernommen hat. Und, wie ich anmerken kann, sehr effizient arbeitet.“
Der Graf musterte mit einem einzigen scharfen Blick die Gestalt des Offiziers, ließ sich aber nicht anmerken, ob ihn der Mann mit dem wettergebräunten Gesicht in der grün-roten Uniform der Jäger beeindruckte. St. Germain verzog vielmehr keine Miene, sondern nickte nur kurz und knapp.
Leutnant Oberbeck verbeugte sich vor dem Grafen, knickte aber nur so knapp ein, dass eine Verbeugung gerade noch erkennbar war. Höflich wäre etwas anderes gewesen, aber instinktiv lehnte der Offizier sein Gegenüber ab, der bislang für ihn das Objekt monatelanger Recherche war. Nun befanden sich die beiden Männer Auge in Auge gegenüber, und den Leutnant beschlich ein unangenehmes Gefühl.
„Der Graf von St. Germain hat dem Herzog gerade eine Probe seines Porzellans gezeigt. Ihm ist ein Verfahren gelungen, das im Ergebnis die Qualität des Produktes erheblich steigert. Das lässt für unsere Manufaktur in Fürstenberg hoffen.“
„Tatsächlich? Erstaunlich, was die Wissenschaft zu leisten vermag. Da wird unser Herzog ja wirklich sehr zufrieden sein.“ Oberbeck hatte einen eher gleichgültigen Tonfall angeschlagen, aber der Graf warf ihm trotzdem einen scharfen Blick zu.
„Und unser hoch geschätzter Gast hat zudem einen interessanten Vorschlag zur Verbesserung unserer Straßenbeleuchtung unterbreitet. Dazu wollte ich auch Euren Rat hören, Leutnant.“
Oberbeck zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Meinen Rat zur Straßenbeleuchtung? Mit Verlaub, davon verstehe ich nur wenig, wie soll ich da ...“
Der Kammerherr hob die Hand und unterbrach den Leutnant.
„Wir alle wissen, dass die Straßenbeleuchtung, die von den Franzosen eingeführt wurde, nicht gerade ideal war. Immer mussten Brandwachen Ausschau halten, ob von diesen unsicheren Laternen nicht eine Feuersbrunst drohte. Seit einigen Jahren haben wir nun die eisernen Wandarme, an denen die Laternen hängen und damit weit genug von brennbarem Material. Aber der Graf von St. Germain hat auch hier eine Idee, wie wir erhebliche Kosten beim Brennmaterial einsparen können.“
Leutnant Oberbeck warf einen verwunderten Blick zu dem Gast hinüber. Aber St. Germain lehnte sich mit einer gleichgültigen Miene zurück und nahm einen Schluck von seinem Wein.
„Er hat einen Brennstoff in Amerika gefunden, der nicht nur erheblich preiswerter ist, und das trotz der erhöhten Transportkosten – sondern zudem auch noch wesentlich länger brennt. Nicht genug, gibt sein Brennmaterial auch noch eine hellere Flamme.“ Der Leutnant nickte nachdenklich, sah den Kammerherrn gespannt an und schwieg.
„Das Material kann in jeder gewünschten Menge geliefert werden, man findet es in den ehemals englischen Kolonien ohne große Mühe, wie uns der Graf berichtete. Und da kommt nun Ihr ins Spiel, Leutnant. Habt Ihr solche Felder in Amerika gesehen, auf denen das Erdöl ganze Flächen bedeckte?“
„Das ist richtig, Herr Graf. Die Indianer führten uns einmal zu einer Stelle, die eine klebrige, schwarze Masse bedeckte. Sie holten sich von diesem Zeug, schmierten es an Äste und entzündeten sie anschließend als Fackeln. Es brannte tatsächlich sehr hell und diente oft in der kalten Jahreszeit als willkommener Feuerentzünder, insbesondere, wenn wir nur feuchtes Holz nach langen Regenfällen zur Verfügung hatten.“
„Ausgezeichnet, Leutnant. Das trifft genau die Aussage unseres Gastes. Er hat schon vor längerer Zeit ein größeres Feld mit diesem Erdöl entdeckt und beabsichtigt, davon größere Mengen nach Europa zu bringen und hier für die Laternenbefeuerung als wohlfeiles Brennmaterial zu verkaufen.“ Der Kammerherr lehnte sich mit einem sehr zufriedenen Gesichtsausdruck zurück und sah den Leutnant an.
„Nun – das könnte wohl möglich sein, dazu verstehe ich zu wenig von diesen Dingen. Ich weiß nur, dass dieses Erdöl wohl gut brennt, aber ich habe keine Ahnung, wie man die doch sehr schmierige und klebrige Masse in eine Laterne bringen will. Ich könnte mir vorstellen, dass die Laternenknechte nicht mehr mit Kannen herumziehen, sondern mit Fässern, aus denen sie das Zeug herauskratzen und in die Laternen schmieren.“
„Darüber macht Euch keine unnützen Gedanken“, warf der Graf von St. Germain gleichgültig ein. „Ich kann nicht erwarten, dass ein Jägerleutnant die Grundlagen der Alchemie beherrscht. Nur so viel, verehrter Herr, es ist bestens und preiswert zu verarbeiten. Man kannte dieses Wissen bereits im Altertum. Auch der Leuchtturm auf Pharos musste ständig befeuert werden, und was die Menschen damals kannten und nutzten, wird in von mir verbesserter Form wohl gute Dienste leisten.“
Seine Stimme triefte vor Hohn, als er den Leutnant ansprach, und seinem hochmütigen Gesicht war deutlich anzusehen, was er von dem Offizier hielt.
„Nun – die Gelehrten an unserem hoch geschätzten Collegium Carolinum haben so zahlreiche Dinge herausgefunden – warum soll es nicht auch gelingen, diese pechartige Substanz für Lampen zu verwenden. Vielleicht ist es Euch ja bereits gelungen, daraus ein Flüssiges Feuer zu bereiten?“, warf Oberbeck ein.
Der Graf von St. Germain zuckte für einen winzigen Moment zusammen, und als er seinen Kopf erneut zum Leutnant drehte, erkannte dieser, wie mühsam sich der Mann beherrschen musste. „Flüssiges Feuer? Was meint Ihr mit diesem Begriff?“
Der Leutnant zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Mir ist dieser Begriff erst kürzlich untergekommen, und ich habe mich mit jemandem darüber unterhalten, der einiges über die alten Griechen wusste. Soweit ich erfahren habe, wussten schon