Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane. Frank CallahanЧитать онлайн книгу.
stieß Nelson mit aller Kraft den linken Ellbogen nach hinten. Sein Gegner stöhnte dumpf und lockerte für den Bruchteil eines Augenblicks seinen Griff. Nelson nutzte das, um sich loszureißen, aber der Indianer hatte sich erstaunlich schnell von dem Schlag erholt. Mit einem furchtbaren Schrei auf den Lippen warf er sich gegen Nelson, bevor dieser seine Waffe wieder aufheben konnte.
Der Indianer umklammerte ihn, und sie stürzten gemeinsam zu Boden, wo sie sich hin und herwälzten.
Nelson konnte an dem nackten, eingeölten Oberkörper seines Gegners kaum Halt finden. Sie rollten ineinander verkrallt über die Erde. Mit einer raschen Handbewegung zog der Indianer ein Messer aus dem Futteral, das er am Gürtel trug. Er packte es mit der Faust, holte aus und wollte es Nelson in die Brust rammen. Im letzten Moment konnte dieser das Handgelenk seines Gegners packen und den Stoß aufhalten.
Aber die Gefahr war keineswegs gebannt. Sie wälzten sich erneut herum. Nelson umklammerte verzweifelt das Handgelenk des Indianers, der seinen Druck verstärkte.
Schließlich kam Nelson in die Unterlage. Die Kraftreserven seines Gegners waren einfach die größeren.
Nelson sah mit Entsetzen, wie das Messer immer näher auf ihn zukam. Er spürte seine Kräfte schwinden. Nicht mehr lange, und er würde ihm nicht mehr standhalten können …
Die Messerspitze berührte jetzt schon fast sein Hemd. In dem bemalten Gesicht des Indianers stand bereits der Triumph, da donnerten zwei Schüsse. Nelson spürte, wie der Druck nachließ und sich das Gesicht des Indianers veränderte. Er sackte leblos in sich zusammen. Nelson befreite sich von dem Toten und erhob sich.
Dann sah er die Frau einige Schritt entfernt. Sie hielt die Winchester in der Hand.
„Das war knapp“, meinte Nelson. Er deutete auf den toten Indianer. „Es hätte wirklich nicht viel gefehlt!“
Nelson sah sich um, ging zu dem Strauch zurück, hinter dem er Deckung gesucht hatte, und hob seinen Revolver auf.
Alles schien ruhig, die Gefahr vorüber.
„Mit scheint, wir haben es überstanden!“, meinte die Frau sachlich und ließ das Gewehr sinken. „Der letzte Indianerüberfall in dieser Gegend ist schon eine Ewigkeit her.“
„Es sind Apachen“, meinte Nelson.
„Was können sie hier gesucht haben?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hatten sie einfach Hunger.“ Er deutete auf den Stall. „Die beiden Pferde hätten die ganze Bande eine Weile ernähren können!“
20
Am nächsten Morgen machte sich Nelson daran, die Toten zu begraben. Das war keine angenehme Sache, aber es musste getan werden.
Später sah er sich nach Spuren um.
Die Apachen hatten offensichtlich keine Pferde bei sich gehabt. Ob welche von ihnen entkommen waren, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, es erschien ihm aber nicht sehr wahrscheinlich.
„Was meinen Sie, müssen wir in nächster Zeit mit weiteren Überfällen rechnen?“, fragte ihn die Frau, die jetzt das Gewehr immer in Reichweite hatte.
„Schwer zu sagen. Aber um kein Risiko einzugehen, sollten wir auf der Hut sein!“ Nelson machte eine hilflose Handbewegung. „Sehr viel weiß ich nicht über die Indianer.
Ich hatte noch nicht allzu viel mit ihnen zu tun.“
21
Die Tage gingen dahin, ohne dass etwas Außergewöhnliches geschah. Das Leben auf der Farm war wieder so eintönig wie eh und je. Nelson ritt etwas in der Gegend umher, um nach Spuren weiterer Apachenbanden zu suchen, aber er fand keine.
In den ersten Tagen nach dem Überfall wechselten sie sich des Nachts mit der Wache ab, aber als sich keine Anzeichen dafür fanden, dass ein weiterer Überfall wahrscheinlich war, stellten sie das wieder ein.
Ein- bis zweimal unternahm Nelson jede Nacht einen kleinen Rundgang über das Farmgelände, konnte aber nie etwas Verdächtiges ausmachen.
Die anfängliche Spannung, die sie in den Tagen nach dem Überfall beherrscht hatte, wich mehr und mehr einer aufmerksamen Gelassenheit.
Tag für Tag trainierte Nelson das Schnellschießen mit dem Revolver. Längst war sein Arm wieder in akzeptabler Verfassung, und auch das Schießen klappte wieder so wie vor seiner Verletzung.
Aber das reichte ihm nicht.
Tag für Tag hörte man die Schüsse weit über die Ebene donnern. Er wirkte sehr verbissen dabei und war dann zumeist kaum ansprechbar.
Hin und wieder dachte er jetzt daran, die Farm zu verlassen und in Richtung New Kildare aufzubrechen, um die offene Rechnung mit McLeish zu begleichen. Das Feuer des Hasses brannte noch immer in ihm. Manchmal schien es, als sei es etwas abgekühlt, ja, ab und zu machte es für kurze Augenblicke sogar den Eindruck, als sei es gänzlich erloschen. Wenig später loderte es dafür umso heftiger wieder auf.
Aber er dachte auch an die Frau und den Jungen und an die Nacht, in der der Überfall stattgefunden hatte. Sie hatten ihm das Leben gerettet, konnte er sie nun in dieser Situation einfach allein auf sich gestellt zurücklassen?
Nelson beschloss, seinen Aufbruch erst einmal zu verschieben, bis ein weiterer Apachenüberfall völlig ausgeschlossen oder doch zumindest sehr unwahrscheinlich war.
Sie sprachen nie offen darüber, aber Nelson glaubte zu spüren, dass Jody Lawton seine Anwesenheit auf der Farm als günstigen Umstand empfand.
Verdammt, sie hat jahrelang mit dem Jungen hier draußen allein gelebt!, versuchte er sich einzureden. Warum machst du es dir so schwer?
22
Das Schießtraining hatte seinen Vorrat an Munition mit der Zeit bedenklich zusammenschrumpfen lassen, so dass er schließlich beschloss, nach Stockton zu reiten, um neue Patronen zu kaufen.
In aller Frühe sattelte er sein Pferd.
Die Frau stand nachdenklich an der Haustür und beobachtete, wie er in den Sattel stieg.
„Kommen Sie wieder?“, fragte sie.
Nelson musste in diesem Augenblick feststellen, dass er sich darüber selbst noch nicht so recht im Klaren war.
Nach kurzem Zögern meinte er: „Ja.“
„Das ist gut“, sagte die Frau.
Dann ritt er davon.
Die Frau sah ihm stumm nach.
In einiger Entfernung zügelte er noch einmal sein Pferd und blickte zur Farm zurück.
Man darf nicht zurückschauen!, kam es ihm in den Sinn.
Jedenfalls nicht zu lange!
Nur die Zukunft war wichtig, nur dorthin lohnte ein längerer Blick. Aber das war etwas, was ihm sein Verstand sagte, nicht sein Gefühl.
23
Stockton war eine kleine Stadt, die aber in den letzten Jahren, vor allem seit die Eisenbahn an ihr vorbeiführte, stark gewachsen war.
Nelson lenkte sein Pferd durch die staubigen namenlosen Straßen. Die Sonne stand hoch am Horizont. Es war die heißeste Zeit des Tages, und es war kaum jemand zu sehen, was nicht verwunderte. Die meisten Leute hatten sich wohl in den Schatten zurückgezogen.
Erst am späteren Nachmittag würde es in den Straßen von Stockton wieder etwas lebendiger zugehen.
Nelson hoffte allerdings, dann längst wieder auf dem Rückweg zu sein.
Vor einem Drugstore zügelte er sein Pferd und stieg aus dem Sattel.