Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga. Pete HackettЧитать онлайн книгу.
vier Körper fielen in die Tiefe, die Stricke strafften sich mit einem Ruck, ein Ächzen ging durch das Galgengerüst. Gemurmel durchlief die Reihen der Zuschauer. Sekundenlang starrte Colonel Miles auf die schlaffen Körper, die leicht an den Stricken schaukelten. Dann trieb er sein Pferd an, zog es um die rechte Hand und schlug die Richtung zum Fort ein. Die Offiziere folgten ihm.
Mit hängenden Schultern wandte sich Whitlock ab. Er verspürte einen gallenbitteren Geschmack in der Mundhöhle und Übelkeit, die in seinen Eingeweiden rumorte. Dieses Schauspiel hätte er sich gerne erspart.
Um ihn herum waren Menschen. Sie strömten in die Stadt. Sicher öffneten an diesem Morgen die Saloons vorzeitig. Es war wie ein Volksfest. Auch Tyler Whitlock hatte das Bedürfnis, sich zu betrinken. Aber er verwarf diesen Gedanken wieder. Er dachte auch nicht mehr daran, die blaue Uniform auszuziehen. Mit seiner Einstellung musste er sich ihrer nicht schämen. Sollte er sich vorwerfen, gekniffen zu haben?
Er ging ins Hotel und warf sich angezogen auf das Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte zur weißgekalkten Decke hinauf.
Die Zeit verrann. Irgendwann klopfte es gegen die Tür. Whitlock erhob sich und öffnete. Draußen stand der Clerk und sagte: »Unten ist ein Soldat. Er soll sie ins Fort zu Colonel Miles geleiten.«
Whitlock richtete seinen Patronengurt, nahm seinen Hut vom Haken und stülpte ihn sich auf den Kopf. Dann verließ er das Zimmer. Der Soldat bei der Rezeption nahm Haltung ein, als er die Treppe nach unten schritt.
»Sir, ich habe Order, Sie...«
Whitlock winkte ab. »Ich kenne Ihre Order, Soldat. Gehen wir.«
Eine Viertelstunde später stand er Colonel Miles gegenüber. Zwischen ihnen war der Schreibtisch. Der Colonel bot Whitlock keinen Platz an und vollführte mit den Fingerkuppen einen Trommelwirbel auf der Tischplatte. Prüfend und abschätzend fixierte er Whitlock, plötzlich sagte er: »Es war notwenig, ein Exempel zu statuieren. Anders als mit drakonischen Strafen ist den rebellischen Rothäuten nicht beizukommen.«
»Ich darf darüber sicher meine eigene Meinung haben, Sir«, murmelte Whitlock und es klang herb. Er wich dem Blick des Colonels nicht aus.
»Die Gedanken sind frei«, versetzte Miles gedehnt, mit schiefem Mund. »Ich habe nach Santa Fe telegrafieren lassen. Die Antwort wird einige Tage auf sich warten lassen. Da ich Sie meinem Befehl unterstellt habe, ordne ich an, dass Sie sich ins Fort begeben. Man wird Ihnen hier ein Quartier zuweisen. Bis Antwort aus Tularosa eingeht, sind Sie vom Dienst suspendiert. Sollten Sie versuchen, das Fort zu verlassen, werde ich Sie in Haft nehmen.«
»Warum, Sir?«
»Weil ich der Meinung bin, dass sie sich auf eigene Faust von ihrer Einheit entfernt und Victorio gesucht haben. Das kann Fahnenflucht sein, Lieutenant. Ich halte Sie für renitent und aufsässig. Disziplinlosigkeit aber kann die Armee in Zeiten wie diesen nicht hinnehmen.«
»Was haben Sie gegen mich, Sir?«
»Ich mag keine Helden, und schon gar keine selbst ernannten. Außerdem stellen Sie Entscheidungen kompetenter Leute in Frage. Ich werde Sie herunterholen von Ihrem hohen Ross, Lieutenant. Mein Wort drauf. Und jetzt holen Sie Ihre persönlichen Sachen aus der Stadt. Melden Sie sich beim Quartiermeister.«
Whitlock salutierte, schwang herum und ging zur Tür.
»Außerdem sind Sie ein Indianerfreund, Lieutenant«, holte ihn die Stimme Miles' ein. »Und diese Sorte mag ich schon zweimal nicht. Es hat sich herausgestellt, dass der Apache nicht fähig ist, sich einzufügen und ein Leben zu führen wie wir Weißen. Er vergilt Gutes mit Mord und Totschlag. Wer dies akzeptiert, ist nicht besser als der Apache. Und er ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen fehl am Platze.«
Die gehässigen Worte trafen Whitlock bis ins Mark. Wortlos, mit zusammengekniffenen Lippen, klinkte er die Tür auf und betrat das Vorzimmer des Colonels. Hart zog er hinter sich die Tür ins Schloss. Er verspürte Erschütterung und Hilflosigkeit. Schwer trug er an seinen Gefühlen.
*
»Verdammt!«, fluchte Glenn Farley. »Der Gaul hat ein Eisen verloren. Er muss beschlagen werden.«
»Es gibt hier weit und breit keine Stadt«, versetzte Scott Wilburn. »Er muss es ohne das Eisen schaffen.«
»Wohin reiten wir überhaupt?« Farley spuckte aus. »Wir können doch nicht aufs Geratewohl ins Grenzgebiet reiten und hoffen, dass uns Whitlock über den Weg läuft.«
»Auch er wird hin und wieder eine Stadt anreiten. Und da es nicht allzu viele Ort gibt dort unten, tippe ich auf El Paso. Dort bekommt er alles, was er braucht, um wieder für einige Zeit in der Wildnis leben zu können.
Die Bande befand sich im Tularosa Valley. Es war eine riesige, grasbewachsene Ebene zwischen den Gebirgszügen im Osten und Westen.
»Wenn wir Glück haben, stoßen wir auf eine Ranch«, sagte Lester Wilburn. Er schaute seinen Bruder von der Seite an. »Vielleicht aber lässt du auch von deinem verrückten Gedanken los und wir verschwinden aus dem Land. In New Mexiko und Texas wird nach uns gefahndet. Sich im Grenzgebiet von Mexiko herumzutreiben ist gefährlich. Da ist unser Leben keinen rostigen Cent wert.«
»Wir reiten nach El Paso!«, beharrte Scott Wilburn stur auf seinem Entschluss. »Sicher ist Whitlock dort in Erscheinung getreten. Diesem Hurensohn habe ich mein ganzes Dilemma zu verdanken. Ich finde erst Ruhe, wenn er tot vor mir liegt.«
»Oder wenn man sechs Fuß Erdreich über dich schaufelt, Bruderherz.«
Sie ritten weiter. Das Pferd Farleys begann zu lahmen. Die Sonne schien heiß. Kein Windhauch regte sich. »Der Gaul schafft es nicht. Ich muss ihn führen.«
»Erschieß ihn und sitz bei einem von uns auf«, schlug Scott Wilburn vor. »Das Tier ist nur noch Ballast.«
Farley zog seinen Colt und hielt ihn dem Pferd an den Kopf. Der Schuss dröhnte. Wie vom Blitz getroffen brach das Tier zusammen. Farley nahm ihm Sattel und Zaumzeug ab und reichte es Scott Wilburn, der es vor sich auf den Widerrist seines Pferdes legte. Farley selbst saß hinter Lester Wilburn auf.
Das Gras reichte den Pferden bis zu den Bäuchen. Tief im Süden schien sich das Terrain mit dem ungetrübten blauen Himmel zu vereinen. Die Luft waberte vor Hitze, Luftspiegelungen täuschten weite Flächen von Wasser in der Weite des Valleys vor. Schmetterlinge flatterten durch die Luft.
Als der Abend nahte und der Himmel im Westen die ganze Skala seiner leuchtendsten Farben widerspiegelte, sahen die Banditen am Rand eines Buschgürtels eine Hütte. In einem Corral standen fünf Pferde. Aus dem gemauerten Schornstein der Hütte stieg weißer Rauch.
Scott und Lester Wilburn zügelten die Pferde. »Glaubst du an Wunder?«, fragte Scott Wilburn.
»Eine Fügung des Schicksals«, kam es von Farley.
Sie ritten weiter.
Aus der Hütte traten zwei Männer. Sie trugen Weidereiterkleidung und hielten Gewehre in den Händen. Misstrauisch beobachteten sie die Ankömmlinge. Der eine hielt die Winchester mit beiden Händen schräg vor seiner Brust, der andere hatte das Gewehr in den Hüftanschlag genommen.
»Wir sind auf dem Weg nach El Paso!«, rief Scott Wilburn. »Leider lahmte eines unserer Pferde und wir mussten es erschießen. Könnt ihr uns ein Pferd verkaufen?«
»Diese Pferde hier gehören der Red Desert Ranch«, antwortete einer der Cowboys. »Wir können keines der Tiere hergeben. Die Herde, die wir bewachen, steht weiter östlich zwischen den Hügeln. Zum Essen könnt ihr gerne bleiben. Aber mit einem Pferd können wir euch nicht aushelfen.«
»Schade.« Scott Wilburn warf den Sattel Farleys auf den Boden und saß ab. »Was Ihre Einladung zum Essen anbetrifft...«
Er zog den Colt. Seine Worte waren nur Ablenkungsmanöver gewesen. Es gelang ihm, die Cowboys zu überraschen.