Эротические рассказы

Zeige deine Klasse. Daniela DröscherЧитать онлайн книгу.

Zeige deine Klasse - Daniela Dröscher


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Leiter standen oder jetzt dort stehen, werden womöglich Ressentiments angesichts meiner Privilegien empfinden. Diejenigen, die sich als Kind faktisch oder auch nur gefühltermaßen über mir befanden oder jetzt über mir stehen, werden womöglich meine Verwirrung angesichts eines doch sanften Milieuwechsels übertrieben finden oder gar versuchen, solch feine Unterschiede für unwichtig zu erklären.19 Genau diese Unterschiede aber durchziehen unsere Gesellschaft in Form von gläsernen Barrieren. Gerade in einem jungen Menschen entscheiden sie mit darüber, welche Lebensentwürfe auf einer inneren Landkarte als erstrebenswert erscheinen.20

      Es ist ein leises Drama, das ich erzähle – eines, das so viele meiner Generation erzählen könnten, ein Drama über die Fiktion der Mittelkassen-Normalität meiner Familie. Ein Drama der KLEINSTEN SOZIALEN EINHEIT.

      Teil I Herkunft

      Warst Du nicht fett und rosig?

      Warst Du nicht glücklich?

      Bis auf die Beschwerlichkeiten,

      Mit den anderen Kindern streiten,

      mit Papa und Mama

      Wo fing es an und wann?

      Was hat Dich irritiert?

      Was hat Dich bloß so ruiniert?

      (…)

      Wo fing es an?

      Was ist passiert?

      Hast Du denn niemals richtig rebelliert?

      Kannst Du nicht richtig laufen?

      Oder was lief schief?

      Und sitzt die Wunde tief in Deinem Innern?

      Kannst Du Dich nicht erinnern?

      Bist Du nicht immer noch, Gott weiß wie, privilegiert?

      Was hat Dich bloß so ruiniert? (…)

      Die Sterne

      Heimat ist, was man nicht ertragen kann, wenn man dort ist, und nicht loslassen kann, wenn man weg ist.

      Herta Müller

      Das Küchenfenster, aus dem man als Kind blickt – ein bis vier Jahre

      Ich erinnere mich an einen Moment des Innehaltens während der Pina-Bausch-Retrospektive, die 2016 im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt wurde. Ich war ernsthaft erstaunt, zu erfahren, dass die Meisterin des tänzerischen Humors aus einer Solinger Gastwirtfamilie stammte. Was von dieser einfachen Herkunft, fragte ich mich, ist wohl eingeflossen in ihre federleichte Pantomime?

      In einer Dokumentation stellte sich ein Kritiker genau diese Frage und beantwortete sie sich selbst wie folgt: Pina Bausch habe dem klassischen Ballett »die Ferse zurückgegeben«. Der Beitrag stammte aus den 80er-Jahren, ich merkte dem Mann seine Begeisterung an. Auch deshalb hat sich mir der Satz so eingeprägt. Ich liebe die Vermischung von Ernst und Unterhaltung.

      Ein Kind ist mit dem Inventar und den Insignien von sozialen Räumen umgeben: Gestik, Mimik, Sprachduktus etc. Die vier Wände, in denen es aufwächst, sind der Schoß des Wirklichen (Mircea Eliade). In diesem Fall war das kindliche Zuhause das Wirtshaus der Eltern. Wie bewusst Pina Bausch dieser Einfluss gewesen sein mag, kann ich nicht einschätzen. Im Zentrum ihrer Ästhetik aber steht die alltägliche Geste. In ihren Choreographien wimmelt es vor Akrobatik und Clownerie, also niedrigeren kulturellen Formen. Ihr Ensemble setzte sich aus Menschen verschiedenster Nationalitäten zusammen, darunter viele Laien, die sich MIT HÄNDEN UND FÜSSEN verständigten. Ausgangspunkt der Arbeiten waren oft Gesten und Mimiken, die nach dem sprichwörtlich Bodenständigen im Menschen suchten. Dem, was sie jenseits von Sprache an geteilter Körperlichkeit miteinander verbindet: die zu einem U verzogenen Lippen, das königlich erhobene Haupt, das Naserümpfen, das Sich-auf-dem-Absatz-Umdrehen, das Ärmelhochkrempeln, der verschmierte Lippenstift.

      Lange Zeit hatte ich diesen Boden, diese Ferse nicht, hatte ich doch meine Herkunft samt Nabelschnur gekappt. Wie ein Geist schwebte ich zwischen schwarzer Schrift und weißem Papier über den Dingen.

      Aus den ersten vier Lebensjahren erinnert ein Kind kaum etwas. Ich fand es empörend, dass ich aus dieser Zeit nichts wusste. Stattdessen musste ich mit Fotografien sowie Erzählungen anderer vorliebnehmen.21 Symptomatisch ist, was sich zur ersten Erinnerung stilisiert. In meinem Fall ist es die Erinnerung an mein Überleben.

      Als ich vier Jahre alt war, rettete mein Vater mich vor dem Ertrinken. Während eines Adria-Urlaubs nahm meine ältere Großcousine mich an die Hand und lief mit mir ins Meer. Ich konnte noch nicht schwimmen. Unvermittelt löste meine Cousine den Griff, und die Wellen schwappten umgehend über mir zusammen. Mein Vater, der vom Strand aus mit Argusaugen über mich wachte, stürzte augenblicklich los. – Das ist meine erste visuelle Erinnerung, und sie ist zur Hälfte fiktiv, aus den Erzählungen meines Vaters nachkoloriert: Ich treibe strampelnd und mit von Salzwasser gefüllten Lungen am Meeresgrund und starre stumm und panisch in den wässrig blauen Himmel, bis mein Vater mich aus den Tiefen des Wassers hebt.22

      Mein Vater erzählte mir später oft von meiner Rettung. Es passte zu der Rhetorik vom »harten Leben«, zu der meine Großeltern und partiell auch meine Eltern neigten.

      Versuch, die Ferse zurückzugewinnen: Der buntscheckige Boden meiner Kindheit

      der braune weiche Teppich, in den meine kleinen Füße einsinken – mein Kinderzimmer

      der »Speicher«, immer leicht sandig – der Dachboden direkt gegenüber vom Kinderzimmer, dort trocknete die Wäsche

      die alte leberbraune knarzende Holztreppe

      beigefarbenes Linoleum – die Küche

      der Parkettboden des Wohnzimmers: spiegelglatt, darauf ein rubinroter Perserteppich

      karamellfarbene 70er-Jahre-Fliesen – das Bad

      die hellgrau gefleckte Marmortreppe hinunter zu meinen Großeltern väterlicherseits

      bunte winzige alte Mosaik-Steinfliesen – der Hausflur

      graue, große Pflastersteine – der Hof unseres Hauses

      der eiskalte, immer leicht feuchte Lehmboden, den meine nackten Füße durch die dünnen Sandalen beim Kartoffelholen spüren – der Keller

      die mit Blumen bewachsene Wiese – in unserem Garten23 und um das Dorf

      die frisch asphaltierten Straßen – die Hauptstraßen

      Lehm und Erde – der Feldweg zum Gemüsegarten meiner deutschen Oma

      Das Küchenfenster, aus dem man als Kind blickt (Knut Elstermann) ist prägend für die Welterschließung, dasselbe gilt für die Landschaft der Kindheit – das Urbild (Goethe) für alle weiteren Bilder. Wie also sah sie aus, die soziale Wirklichkeit, die sich von meinem Küchenfenster aus zu einem Urbild fügte? Was war mein Schoß des Wirklichen?

      Mein Elternhaus war das Elternhaus meines Vaters, ein Eckhaus mitten im Dorf. Gegenüber unserer Wohnung, die im ersten Stock lag, blickte ich auf einen Teil der alten Scheune, davor der Innenhof, eine etwa 50 Quadratmeter große asphaltierte Fläche. Dort spielte ich im Sandkasten, schaukelte und fuhr Dreirad. Ein schwarzes, filigranes schmiedeeisernes Tor trennte den Hof von der Straße, die den oberen Teil des Dorfes mit dem unteren verbindet. Den ganzen Tag über herrschte ein reges Kommen und Gehen, Menschen, Fahrräder, Autos, Traktoren, sogar amerikanische Panzer rollten ab und an noch, aus dem nahen Baumholder kommend, dort hindurch.

      Die Wohnung reichte vom ersten Stock bis in das ausgebaute Dachgeschoss, war hell und GERÄUMIG, insgesamt fünf Zimmer, Küche und Bad. Zu meinem Kinderzimmer – 12 Quadratmeter groß, Blick auf den Kirchturm direkt gegenüber – führte eine alte, braune, glatt gewienerte Holztreppe mit ausgetretenen Stufen. Sie knarrte bei jedem Schritt und war ein magischer Spielort, wie ein lebendiges Wesen erschien sie mir.

      Im Erdgeschoss lebten meine deutschen Großeltern. Neben den benutzten


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