Die Perfekte Nachbarin. Блейк ПирсЧитать онлайн книгу.
freute.
Es war offensichtlich, dass Hannah sie glücklich sehen wollte. Aber es war auch klar, dass sie sich die Wohnung nicht unbedingt mit einem verliebten Paar teilen wollte; und schon gar nicht, wenn beide für die Polizei arbeiteten.
Gerade, als Jessie darüber nachdachte, kam Hannah rüber, nahm die Törtchen aus dem Ofen und warf das kleinste – das außerdem ein wenig verkohlt war – auf die feuchte Küchentheke neben Jessie.
„Lass es dir schmecken“, nuschelte sie.
„Danke“, erwiderte Jessie, die sich lieber darauf konzentrierte, dass man ihr einen Nachtisch angeboten hatte, anstatt auf die Art und Weise, wie ihr dieser serviert worden war.
Manchmal zeigte sich Hannahs Ablehnung durch ihr passiv-aggressives Teenager-Verhalten, oder, wie in diesem Fall, in Form von verkohlten Birnentörtchen. Manchmal zeigte sie sich durch missmutiges Schweigen. Nicht ständig, aber es trat dennoch so oft zutage, dass man es nicht leugnen konnte. In ihren grünen Augen lag dann eine gewisse Hitzigkeit, sie ließ die Schultern hängen und ihre sandfarbenen Haare waren dann zu einem strengen, schnöden Pferdeschwanz zusammengebunden.
Für Jessie und Ryan waren die Umstände auch nicht gerade rosig. Denn keiner von beiden traute sich, ihre Verliebtheit voll auszuleben; nicht mit einer 17-Jährigen, die in dem Zimmer gegenüber vom Wohnzimmer schlief. Sie lebten seit etwas weniger als einem Monat so zusammen, aber bereits jetzt war klar, dass sie sich bald über ihre künftige Wohnsituation würden unterhalten müssen.
„Bei all den Sicherheitsvorkehrungen, die du hier hast, sollten wir die Schlafzimmer vielleicht schalldicht machen“, war das Einzige, was Ryan in dieser Sache von sich gegeben hatte.
Und dann war da noch das andere, das wie ein Damoklesschwert über allem hing. War Hannah Dorsey stabil? Jessie hatte vor nicht allzu langer Zeit das Sorgerecht für ihre Halbschwester, von deren Existenz sie bislang gar nichts gewusst hatte, erhalten. Sie hatte erst von ihr erfahren, nachdem ihr gemeinsamer Vater – der Serienkiller – Hannahs Adoptiveltern ermordet hatte. Dann hatte ein weiterer Killer namens Bolton Crutchfield ihre Pflegeeltern abgestochen, Hannah entführt und versucht, sie zu seinem Ebenbild zu formen. Das war eine Menge Trauma für einen Menschen, noch dazu für jemanden, der gerade erst in seinem vorletzten Jahr an der High-School war.
„Bitte sei vorsichtig mit dem Messer“, sagte sie, als Hannah damit unbedacht die restlichen Törtchen vom Backpapier auf dem Blech kratzte.
„Danke, Mom“, brummte Hannah leise und fuhr fort, das Messer wie eine Scheuerbürste zu verwenden.
Jessie seufzte, antwortete aber nicht. Der Anblick ihrer Halbschwester mit einem langen Säbelmesser in der Hand war etwas verstörend. Trotz ihrer Bemühungen, eine sichere Umgebung zu schaffen, machte sie sich Sorgen, dass in dem Mädchen vielleicht doch eine gewisse Mordlust steckte. Hatte sie diese eventuell entwickelt, nachdem sie am eigenen Leib erfahren hatte, welche Macht sie denjenigen, die sich von ihr mitreißen ließen, ermöglichte? Gab es da vielleicht einen Keim der Mordlust, der ihr vom Vater mitgegeben worden war? Und wenn ja, besaß Jessie diesen auch?
Das war eine Frage, über die sie monatelang gebrütet hatte. Sie hatte sie auch gegenüber ihrer Therapeutin, Dr. Janice Lemmon, angesprochen, die auch Hannah betreute. Sogar ihren Mentor, den berühmten Profiler Garland Moses, hatte sie gebeten, diesbezüglich nachzuforschen. Aber keiner hatte ihr eindeutige Antworten zu Hannahs Naturell geben können, genauso wenig, wie sie etwas Eindeutiges über ihren eigenen Charakter sagen konnte.
Die meiste Zeit über schien Hannah sich wie ein normaler Teenager zu verhalten, mit all den Launen und hormonellen Schwankungen. Aber angesichts des Traumas, das sie in den vergangenen Monaten erlitten hatte, war sogar dieses „Normal“ Anlass dazu, misstrauisch zu werden.
Jessie schüttelte den Kopf und versuchte, diese Gedanken abzuschütteln. Momentan lief alles halbwegs gut. Ihre Schwester hatte Nachtisch gemacht, auch wenn sie das verbrannte Stück bekommen hatte. Alle waren nett zueinander. Jessie sollte nächste Woche an ihren Schreibtisch zurückkehren und in der Woche darauf hoffentlich wieder voll als Profiler arbeiten. Alles schien vielversprechend.
Ja, es war frustrierend, Ryan jeden Morgen das Haus verlassen zu sehen, wie er ins Hauptquartier des LAPD fuhr, wo sie beide arbeiteten. Aber bald würde sie auch wieder dort sein. Dann würde sie in die Welt zurückkehren, die sie liebte, wo sie Killer überführen konnte, indem sie in deren Gedankenwelt eintauchte.
Für den Bruchteil einer Sekunde machte ihr die Tatsache zu schaffen, dass sie diese Welt „liebte“. Aber sie schob ihre leichte Besorgnis darüber rasch beiseite, zusammen mit einem Bissen von Hannahs exzellentem Birnentörtchen. Trotz des verkohlten Bodens schmeckte es köstlich. Während sich alle an ihrem Nachtisch labten, klingelte Ryans Handy. Sogar bevor er aufs Display schaute, war klar, worum es sich handelte. Um diese Zeit war es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fall.
„Hallo?“, sagte Ryan, als er ranging.
Beinahe eine Minute lang hörte er schweigend zu. Jessie konnte kaum die Stimme am anderen Ende der Leitung heraushören. Aber angesichts deren kratzender, ruhiger Art wusste sie sofort, wer es war.
„Garland?“, fragte sie, als Ryan aufgelegt hatte.
„Ja“, erwiderte er nickend, während er aufstand und seine Sachen zusammensuchte.. „Er kümmert sich um einen Fall in Manhattan Beach und denkt, dass er perfekt für meine Sondereinheit der Mordkommission wäre. Er bittet um meine Hilfe.“
„Manhattan Beach?“, fragte Jessie. „Das ist doch gar nicht mehr unser Revier, oder?“
„Offenbar ist der Ehemann des Opfers ein großes Tier in irgendeinem Öl-Konzern. Er hat von Garland gehört und nach ihm gefragt. Scheinbar ist er ein Riesen-Arschloch, also ist die örtliche Polizei ganz froh, dass sie diesmal nach dem LAPD nur die zweite Geige spielen muss.“
„Klingt nach einem aufregenden Fall“, sagte Jessie.
„Das ist das Seltsame“, sagte Ryan, allerdings nicht zu ihr, sondern zu Hannah, während er sich seine Sportjacke überwarf und seinen Pistolengurt umband. „Die meisten Leute würden so etwas ironisch meinen. Aber bei deiner Schwester ist das ernst gemeint. Sie ist neidisch, dass sie nicht mit darf. Ist wie eine Krankheit.“
Er hatte Recht, in mehr als nur einer Hinsicht.
KAPITEL DREI
Garland Moses hatte ein schlechtes Gewissen.
Er fuhr sehr schnell, um so rasch wie möglich am Tatort zu sein. Als er entlang des Manhattan Beach Boulevards nach Westen fuhr, in Richtung des Ozeans, erreichte er gerade rechtzeitig die Kuppe eines Hügels, um sehen zu können, wie die letzten Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne den kleinen Strandort und den Pazifik in ein rosa-orangefarbenes Licht tauchten.
Dieser Anblick löste den angespannten Knoten in seiner Brust. Die meisten Leute kannten ihn als den hartgesottenen Profiler mit langjähriger Erfahrung, der selten Gefühle zeigte, schon gar nicht so etwas wie Ehrfurcht. Aber wie er da so allein in seinem Auto saß, erlaubte er es sich, den Anblick der schemenhaften Surfer, die sich vor der purpurnen Sonne abzeichneten, mit ein paar Segelbooten im Hintergrund, in sich aufzusaugen. Doch während er sich an diesem Postkartenmotiv erfreute, schlich sich langsam das schlechte Gewissen ein, das ihn schalt und ihm sagte, er sei nicht wegen der schönen Aussicht hier. Er machte hier seinen Job.
Als er jedoch das letzte Stück der Sackgasse entlangfuhr, die an einem Pier endete, blickte er neidisch auf die Menschen, die in ihrer sommerlichen, legeren Kleidung umher spazierten. Auch wenn es beinahe 20 Uhr war, trug er immer noch seine inoffizielle Arbeitskleidung – ein abgenutztes, graues Sakko und ein schlichtes, grauweißes Hemd. Normalerweise gehörte dazu auch ein Pullunder, aber an einem so heißen Tag wie diesem war das selbst für ihn zu viel. Allerdings trug er wie immer seine dunkelblaue Hose, deren Farbe langsam verblich, und seine schäbigen, abgewetzten Halbschuhe. Sein ganzes Outfit war eine Art Kostüm, dazu gedacht, dass Verdächtige und Zeugen ihre übliche Scheu oder Vorsicht vergaßen und dem ältlichen, scheinbar leicht verwirrten Herrn offenherziger antworteten, wenn er ihnen persönliche Fragen stellte.
Er bog rechts auf den Ocean Drive, nur einen