Gesicht des Zorns. Блейк ПирсЧитать онлайн книгу.
sie wusste nicht, wie sie sonst darauf hätte reagieren sollen. „Ich habe mir die Akte zu dem Fall angesehen.“
„Und?“ Maitland legte seine Hände vor sich auf dem Schreibtisch ab, ordentlich ineinander gefaltet, geradezu erwartungsvoll. Zoe sah kurz zu den Händen hinüber, wodurch allerhand Winkel und Maße in ihrem Blickfeld erschienen, schaffte es aber, ihren Blick wieder von ihnen abzuwenden.
„Ich bin neugierig geworden“, sagte sie. „Nicht, dass ich den Fall annehmen will. Ich wollte bloß wissen, warum Sie mir die Akte gegeben haben.“
Maitland starrte sie für eine ganze Weile an, seine Miene unlesbar unter den Winkeln seiner Nase und Wangenknochen und deren Schnittpunkt mit den Linien seines Schädels an seiner Stirn. „Sie… waren schon immer die Beste für diese Art von Ermittlungen“, sagte er mit schroffer, aber ruhiger Stimme. „Sie glauben doch nicht, dass mir nicht aufgefallen ist, wie gut Sie mit Fällen klarkommen, in denen es nicht um nullachtfünfzehn Serienmörder geht. Wenn es skurril wird, sind Sie besonders gut. Wenn wir über den Tellerrand hinaussehen müssen. Es mit intelligenten Tätern zu tun haben. Mit Tätern, die anders denken.“
Zoe dachte über seine Worte nach. Es stimmte, was er gesagt hatte. Aber sie wusste nicht, ob es ihr auch gefiel. Ob er sie damit indirekt nicht einfach als sonderbar bezeichnet hatte. „Ja, ich habe schon an einer Reihe ähnlicher Fälle gearbeitet“, gab sie zu, womit sie ihm nicht vollständig recht gab und auch nicht zusagte, diesen Fall zu übernehmen.
„Ich möchte Sie zu nichts drängen, Agent Prime“, sagte Maitland. „Wenn Sie die Arbeit wieder aufnehmen, aber noch gar nicht bereit dafür sind, dann könnte das schlimm enden. Für uns beide. Aber ich denke auch, dass ich Sie gut genug kenne, um zu wissen, dass es Ihnen am besten geht, wenn Sie ein Rätsel vor sich haben, das Sie knacken müssen. Ich sage es ganz offen: Ich wünsche mir, dass Sie diesen Fall übernehmen. Um ehrlich zu sein gibt es niemanden sonst, dem ich es so sehr zutrauen würde, diesen Fall zu lösen, wie Ihnen.“
Zoe hielt einen Moment inne, denn ihre Gedanken überschlugen sich. Es war schwer genug, sie überhaupt zu hören, zwischen all den Zahlen, die ihr die Dezibels, Wortlänge, Silben und die Ausmaße des Tisches und allem darauf mitteilten. Und als Zoe sie dann hörte, war sie sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Es wäre sicher sinnvoll, sich die Zähne an etwas Neuem auszubeißen, anstatt innerlich immer und immer wieder die gleichen Probleme und Sorgen durchzukauen. Dadurch konnte sie die Zahlen für etwas sinnvolles nutzen, so wie sie es früher getan hatten, indem sie sie auf Verdächtige und Tatorte und so weiter anwendete.
Es würde ihr guttun, etwas Positives zu bewirken. Vielleicht das ein oder andere Leben zu retten.
Zumindest, wenn dadurch außer ihr niemand sonst in Gefahr geriet.
„Ich übernehme den Fall“, sagte sie zögerlich. Maitlands Gesicht erhellte sich. Er konnte sich zwar immer noch kein Lächeln abringen, aber seine ansonsten geradezu versteinerte Mimik war doch einem ungewohnt munteren Gesichtsausdruck gewichen. Zoe fuhr allerdings unbeirrt fort, damit der wichtigste Teil dessen, was sie sagen wollte, nicht unterging. „Aber allein. Ich möchte nicht, dass mir ein neuer Partner zugeteilt wird. Ich mache das im Alleingang.“
Maitland neigte seinen Kopf um zehn Grad weiter zur Seite als zuvor, außerdem verengten sich seine Augen um fünfzehn Prozent. „Sie wissen doch, dass das nicht geht, Agent Prime.“
„Ich habe auch in der Vergangenheit schon allein ermittelt“, merkte Zoe an. Das stimmte. Vor ihrer Zeit mit Shelley, als sie zwischenzeitlich keinen Partner hatte, weil niemand mit ihr zurechtkam, hatte sie gezwungenermaßen jede Menge Fälle allein bearbeiten müssen. Denn es wollte einfach niemand mit ihr zusammenarbeiten. Das dauerte immer so lange, bis ihr vorübergehend einer der neuen Rekruten zugeteilt wurde. Und dann wiederholte sich das Ganze.
„Aber nicht in einem Fall diesen Ausmaßes“, sagte Maitland. „Nur bei unkomplizierten Verbrechen. Und außerdem nicht unmittelbar, nachdem Ihre Partnerin verstorben ist. Es tut mir leid, Zoe. Ich sage ja gar nicht, dass Shelley ersetzt werden soll. Oder dass man sie jemals ersetzen könnte. Aber Sie werden in diesem Fall mit einem anderen Ermittler zusammenarbeiten müssen.”
Zoe sah zum Boden hinab, wo nicht so viele Zahlen zu sehen waren. „Ich würde wirklich ungern mit jemand Neuem zusammenarbeiten.“
„Ich habe aber leider schon jemanden ausgesucht. Er wird perfekt zu Ihnen passen, versprochen.“ Maitland erhob seine Stimme, um etwas in Richtung der Tür zu rufen. „Wenn Sie schon da draußen warten, Agent Flynn, dann können Sie jetzt reinkommen. Es ist jetzt an der Zeit, dass Sie beide sich kennenlernen.”
KAPITEL FÜNF
Zoe drehte ihren Kopf gerade rechtzeitig zur Seite, um sehen zu können, wie sich die Tür öffnete. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug betrat den Raum. Er war eins neunzig groß, dünn, aber mit einem eng anliegenden Anzug, der zu erkennen gab, dass sich darunter Muskeln befanden. Außerdem hatte er schwarzes Haar und ein fernsehreifes Grinsen voller strahlend weißer Zähne. Dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt. Zoe konnte ihn auf Anhieb nicht ausstehen.
„Agent Aiden Flynn“, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen, sein Gesicht dabei immer noch von einem breiten Grinsen überzogen.
Zoe nahm seine Hand und schüttelte sie leidenschaftslos und erfasste dabei die Maße seines Gesichts und die Winkel seiner hohen Wangenknochen. Er sah von Kopf bis Fuß so aus, als würde er Probleme machen. Sein Anzug saß so gut, mit normalen Kleidergrößen war das nicht möglich; er war also nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert. Dieser Kerl kam also sicher aus einer reichen Familie. Seine Hand fühlte sich weich an und Zoe war nicht auf die Hilfe der Zahlen angewiesen, um erkennen zu können, dass seine Schuhe brandneu waren.
Zoe warf Maitland einen vorwurfsvollen Blick zu. „Das ist sein erster Einsatz“, sagte sie.
„Frisch aus der Ausbildung“, erwiderte Maitland. Er streckte seine Arme aus und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Sein Rücken blieb dabei vollkommen gerade, nur sein Hüftgelenk bewegte sich.
„Ich möchte nicht die Babysitterin spielen“, blaffte Zoe und klang dabei vermutlich etwas barscher, als sie es gewollt hatte. Maitland konnte sich schließlich immer noch dazu entscheiden, ihr den Fall doch nicht zu überlassen. „Dieser Täter muss ernst genommen werden. Wir müssen ihn so schnell wie möglich schnappen.“
„Das schaffe ich“, ging Agent Flynn hastig dazwischen. „Ich war der Beste meines Jahrgangs. Ich werde mich schnell zurechtfinden.“
„Wie alt sind Sie?“, fragte Zoe. „Dreiundzwanzig?“
„Ja“, antwortete Agent Flynn verwundert. „Woher wussten Sie –“
„Der ist ja noch ein Kleinkind“, sagte Zoe wieder an Maitland gerichtet.
Er hatte seine Mundwinkel nach oben gezogen, um etwas einen halben Zentimeter, wodurch sich die Winkel in seinem Gesicht veränderten. „Agent Prime, Ich gebe Ihnen zwei Optionen“, sagte er. „Entweder arbeiten Sie mit Agent Flynn an diesem Fall, oder Sie arbeiten gar nicht daran. Wofür entscheiden Sie sich?“
Zoe sah zu Flynn herüber und überall in seinem Gesicht wimmelte es nur so vor Zahlen. Er war zu neu. Es gab zu viel zu entdecken. Er schien ganz aus spitzen Winkeln zu bestehen, seine Knochen waren kräftig und kantig, sein Anzug war perfekt geschnitten. Bei Leuten, die sie gut kannte, konnte sie mit der Zeit immerhin die Zahlen ausblenden, die immer gleich blieben. Sie konnte unmöglich mit ihm zusammenarbeiten.
Allerdings hatte sie bei der Arbeit – von Shelley abgesehen – nie jemandem von den Zahlen erzählt. Man hielt Zoe ja ohnehin schon für einen Freak, das wollte sie nicht noch weiter befeuern. Aber das bedeutete auch, dass sie die Zahlen nun nicht als Ausrede anführen konnte. Dass sie Maitland nicht sagen konnte, dass sie um sich herum sowieso schon überall nichts als Zahlen sah – zum Beispiel auf seinem Schreibtisch, der förmlich davon überladen war – und dass sie davon bereits genug abgelenkt wurde.
Zoe war sich bewusst, dass ein solches Eingeständnis sie nicht nur wie einen Freak dastehen lassen würde, sondern dass sich Maitland