Mami Staffel 1 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.
lassen, Marie-Luise. Ich möchte Sie wiedersehen, Sie müssen mir sagen, wo ich Sie erreichen kann.«
Daß jemand so spitzbübisch lächeln konnte!
»Aber ich bin doch keine Hexe, die auf ihren Besen steigt und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Ich komme morgen wieder, ich habe es den Kindern schon versprochen. Meine Adresse schreibe ich Ihnen gern auf.«
Sie hatte ihren Namen auf ein Blatt gekritzelt, das auf dem Schreibtisch lag. »Hoffentlich können Sie meine Schrift lesen.« Sie lachte vergnügt. »Die Hörsterstraße liegt zwar am anderen Ende der Stadt, aber das macht nichts, ich habe ein Auto.«
Damit war sie hinausgegangen. Natürlich hefteten sich die Kinder und auch Dagobert an ihre Fersen. Der Hund leckte sogar ihre Hand, als sie über seinen Kopf strich. Sie hatte Doris einen Kuß auf die Wange gegeben.
Das kleine Mädchen hatte die dünnen Ärmchen um Marie-Luises Hals geschlungen.
»Komm bestimmt morgen wieder, Marie-Luise. Nicht wahr, du vergiß es nicht?«
Thomas bekam einen Händedruck, aber bevor sie sich aufs Pferd schwang, gab sie ihm einen zärtlichen Nasenstüber. Und dann ritt sie davon.
Max erinnerte sich daran, daß ihm plötzlich kalt geworden war, er hatte die Schultern fröstelnd zusammengezogen und war langsam ins Haus zurückgegangen.
Es müßte herrlich sein, wenn dieses Mädchen die neue Hausgehilfin wäre. Herrlich müßte es sein, sie im Haus zu wissen. Sie sah aus, als könnte man über alles mit ihr sprechen. Sie lachte gern und viel, aber daß sie kein oberflächlicher Mensch war, das sah man in ihren Augen.
Nicht zu fassen, daß dieses Wesen noch nicht verheiratet war.
Genug jetzt, fuhr er sich heftig an. Du hast jetzt wirklich genug an sie gedacht.
»Ich sehe mir jetzte eine Sendung im Fernsehen an und gehe früh schlafen, damit ich morgen früh frisch bin. Jeden Gedanken an das Mädchen verbanne ich aus meinem Kopf. So wichtig ist sie nun wirklich nicht.
Er warf sich in seinen Sessel und streckte die langen Beine über den Teppich, der im Lampenlicht in satten Farben leuchtete. Wohlgefällig betrachtete er den Schrank, den Jenny und er in einem Trödlerladen in London entdeckt hatten. Er wollte sich an die Rückfahrt mit dem Schrank auf dem Dach erinnern, stattdessen klang jedoch noch die Bewunderung von Marie-Luise in seinen Ohren.
Der Teufel soll das Mädchen holen, wäre sie doch nie aufgetaucht.
Die Stimme der Ansagerin füllte den Raum, er hatte den Apparat bewußt laut gestellt, damit keine andere Stimme in seinem Ohr Platz hatte.
»Wir übertragen die Premiere aus dem Stadttheater in Gossar.«
Na also, dachte Max zufrieden, die hör ich mir an, ich habe hier in meinem Wohnzimmer sozusagen einen Logenplatz.
Die Ansagerin erklärte die Komödie, machte auf die Musik aufmerksam, die von einem Wiener Komponisten stammte. Auf die Namen der Schauspieler, die auf dem Bildschirm erschienen, achtete er nicht. Er goß sich nämlich gerade ein Glas Wein ein und nahm seine Pfeife vom Ständer. Entspannt, erwartungsvoll saß er wieder auf seinem Platz und stopfte seine Pfeife. Er erlaubte sich nicht einmal zu denken, daß es schön sein müßte, diesen Genuß mit jemandem zu teilen.
Der rote Vorhang hob sich, ein Zimmer erschien. Herrliche englische Möbel im Tudorstil schmückten den Raum. Ein junger Mann betrat die Bühne.
Charlotte, Charlotte, wo bist du denn? Charlotte.
Warum schreist du denn so? Du weckst ja das ganze Haus.
Schon bei der Stimme vergaß Max, das Streichholz auszublasen. Er verbrannte sich den Finger, aber nicht einmal das bemerkte er.
Er merkte nicht einmal, daß er aufgestanden war und nahe an den Bildschirm trat, als könnte er seinen Augen nicht trauen.
Die »Charlotte« war Marie-Luise.
Ein Zweifel war unmöglich.
Es war Marie-Luise. Es war ihr Lachen, ihre Stimme, die in seinen Ohren wie eine dunkle Glocke klang. Es war dieselbe Person, die in seiner Küche die Scherben aufgelesen hatte, die ihm geholfen hatte, die Bücher auszupacken. Sie hatte mit ihnen am Tisch gesessen und hatte sein Haus mit Sonnenschein erfüllt.
Vermutlich hatte es ihr Spaß gemacht, die gute Fee zu spielen. Sagte man nicht, daß Schauspieler die lächerlichsten Launen hatten? Sie hatte seinen Kindern Zärtlichkeit geschenkt und würde selbstverständlich die Stunden längst vergessen haben.
Als sie den Arm um den Hals des Mannes legte, drückte er heftig auf den Knopf. Er wollte das Stück nicht sehen. Er wollte auch die Wagner nicht betrachten.
Er brauchte keine Komödie auf dem Bildschirm zu sehen, sie hatte ihnen ja heute nachmittag eine aufgeführt, nur für die Gilbergs. Sie hatte das Haus natürlich längst vergessen, das Haus und die Menschen, die darin lebten. Aber wie die Kinder reagieren würden, das konnte er sich denken. Angst konnte man bekommen.
Er duschte sich eiskalt und zog seinen Schlafanzug an. Aber ins Bett konnte er trotzdem noch nicht gehen. Es war, als zögen ihn unsichtbare Fäden zum Fernseher hinunter.
Er stellte den Apparat an. Da stand sie. In einem zauberhaften weißen Kleid, das bis zum Boden reichte. Blumen wurden auf die Bühne geworfen, der Saal tobte vor Begeisterung.
Für die Menschen, die neben ihr standen, hatte er keinen Blick, er sah nur sie. Sie lächelte wie ein junges, ein wenig schüchternes Mädchen, als könnte sie den lautstarken Applaus gar nicht fassen.
Ihr locker fallendes Haar schimmerte. Das weiße Kleid schmiegte sich verführerisch eng um ihre phantastische Figur. Sie legte ihre Hände zusammen und dankte dem Publikum mit einer rührenden Geste.
Er wollte den Kasten abstellen, aber er konnte es nicht. Er stand da wie festgewachsen, hörte nicht, was gesprochen wurde, er hörte nicht einmal den Jubel und das Klatschen der Menge. Seine Ohren waren erfüllt von einem dröhnenden Brausen, als wäre eine riesige Welle über ihn hinweggegangen und hätte ihn in die Tiefe gerissen.
Die Vorhänge zählte er nicht. Er stand nur da und wartete, bis sie wieder auf die Bühne kam.
Er sah nur sie.
Als er im Bett lag, war ihm, als hätte er zum zweiten Mal eine geliebten Menschen verloren, so endgültig wie durch einen Tod. Aber wie konnte er etwas verloren haben, was er gar nicht besessen hatte?
Er schlief in dieser Nacht nicht eine Minute; er war froh, als der Morgen graute. Von seinem Bett aus sah er, wie der Himmel sich verfärbte. Zuerst erschienen nur spärliche rote Streifen, dann aber glühte der Himmel feuerrot, tauchte den Garten in rötliches Licht und zauberte sogar einen Rotton auf die Wände seines Zimmers.
Er hörte, daß sich im Nebenzimmer etwas rührte. Ein poltern, vermutlich war ein Stuhl umgefallen. Gestern abend hatten die Zwillinge darauf bestanden, die Betten zusammenzuschieben. Sie wollten in einem Zimmer schlafen, wie sie es gewohnt waren. Offensichtlich war es ein wenig eng.
Wie reich ich bin, versuchte Max sich einzuhämmern. Ich habe zwei bezaubernde Kinder. Sie und ich sind gesund, wir haben uns lieb.
»Es brennt, es brennt!« Doris Stimme überschlug sich vor Entsetzen. »Steht auf, Thomas. Der Himmel brennt. Wir müssen Papa wecken.«
»Du bist wirklich dümmer, als die Polizei erlaubt«, hörte Max die belehrende Stimme seines Sohnes, und trotz seines Kummers mußte Max schmunzeln. »Hat jemand schon mal so einen Blödsinn gehört? Der Himmel brennt? Fehlte nur noch, daß du die Feuerwehr holst.«
»Aber er ist doch ganz rot«, gab Doris kleinlaut zu bedenken. »Warum ist er denn so rot?«
Max horchte interessiert.
»Das dauert viel zu lange, wenn ich dir das jetzt erklären soll«, zog sich sein Sohn aus der Schlinge. »Das kannst du Papa fragen oder Marie-Luise. Marie-Luise weiß das bestimmt. Ich hab jetzt keine Zeit, außerdem hab ich Hunger, mir ist ganz schlecht