Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max WeberЧитать онлайн книгу.
miteinander zu identifizieren, gerät Roscher auf die Bahn der »organischen« Auffassungsweise bis an die Grenze eines Emanatismus Hegelscher Art, den zu akzeptieren sein religiöser Standpunkt ihn hindert. Bei Betrachtung der Einzelerscheinungen wird alsdann jene organische Betrachtungsweise wieder teilweise beiseite gelassen, zugunsten eines Nebeneinander von begrifflicher Systematisierung nach Art der Klassiker, mit empirisch-statistischer Erläuterung bald der realen Geltung, bald der nur relativen Bedeutung der so gefundenen Sätze. Nur in der Darstellung der wirtschaftspolitischen Systeme behält die organisch-konstruktive Eingliederung der Erscheinungen in die Altersstufen der Völker die Oberhand. – Für die Gewinnung wirtschaftspolitischer Werturteile führt sein historisch orientierter Relativismus zu wesentlich negativen Resultaten insofern, als die objektiven Normen, deren Bestehen fortwährend vorausgesetzt wird, nicht im Zusammenhang entwickelt oder auch nur formuliert werden.
Roscher bildet zu Hegel weniger einen Gegensatz als eine Rückbildung: Die Hegelsche Metaphysik und die Herrschaft der Spekulation über die Geschichte ist bei ihm verschwunden, ihre glänzenden metaphysischen Konstruktionen sind ersetzt durch eine ziemlich primitive Form schlichter religiöser Gläubigkeit. Dabei machen wir aber die Beobachtung, daß damit Hand in Hand immerhin ein Gesundungsprozeß, man kann geradezu sagen: ein Fortschritt in der Unbefangenheit oder, wie man es jetzt ungeschickt nennt, »Voraussetzungslosigkeit« der wissenschaftlichen Arbeit geht. Wenn es Roscher nicht gelang, seinen Weg von Hegel fort bis zu Ende zu verfolgen, so ist daran im wesentlichen der Umstand schuld, daß er das logische Problem der Beziehungen zwischen Begriff und Begriffenem nicht so in seiner methodischen Tragweite erkannt hatte, wie Hegel.
II. Knies und das Irrationalitätsproblem.
I. Die Irrationalität des Handelns. Charakter des Kniesschen Werkes S. 42. – »Willensfreiheit« und »Naturbedingtheit« bei Knies im Verhältnis zu modernen Theorien S. 44. – Wundts Kategorie der »schöpferischen Synthese« S. 51. – Irrationalität des konkreten Handelns und Irrationalität des konkreten Naturgeschehens S. 64. – Die »Kategorie« der »Deutung« S. 67. – Erkenntnistheoretische Erörterungen dieser »Kategorie«: 1) Münsterbergs Begriff der »subjektivierenden« Wissenschaften S. 70. – 2) »Verstehen« und »Deuten« bei Simmel S. 93. – 3) Gottls Wissenschafts-Theorie S. 95.
Das methodologische Hauptwerk von Knies »Die politische Oekonomie vom Standpunkt der geschichtlichen Methode« erschien in erster Auflage 1853, vor dem Erscheinen des ersten Bandes von Roschers »System« (1854), mit dem sich Knies in den »Göttinger gelehrten Anzeigen« (1855) auseinandersetzte. Knies' Werk fand außerhalb enger Fachkreise relativ wenig Beachtung; darüber, daß Roscher ihn nicht eingehender erwähnt und behandelt habe, glaubte er sich beklagen zu können97, mit Bruno Hildebrand geriet er in eine heftige Fehde. – Als dann in den sechziger Jahren die Freihandelsschule von Erfolg zu Erfolg schritt, geriet das Buch fast in Vergessenheit. Erst als die »kathedersozialistische« Bewegung Macht über die Jugend gewann, begann es in steigendem Maße gelesen zu werden, so daß Knies, dessen zweites in den siebziger Jahren entstandenes Hauptwerk »Geld und Kredit« der »historischen« Methode völlig fern steht, nach 30 Jahren (1883) vor einer zweiten Auflage stand. Sie erschien unmittelbar, ehe durch Mengers »Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften«, Schmollers Rezension derselben und Mengers heftige Replik der Methodenstreit in der Nationalökonomie die Höhe seiner Temperatur erreichte, und gleichzeitig in Diltheys »Einleitung in die Geisteswissenschaften« der erste groß angelegte Entwurf einer Logik des nicht naturwissenschaftlichen Erkennens vorgelegt wurde.
Eine Analyse des Kniesschen Werkes bietet nicht geringe Schwierigkeiten. Einmal ist der Stil teilweise bis dicht an die Unverständlichkeit ungelenk, dank der Arbeitsweise des Gelehrten, der in einen geschriebenen Satz, weitergrübelnd, Nebensatz auf Nebensatz hineinschachtelte, unbekümmert darum, ob die entstehende Periode syntaktisch aus allen Fugen ging98. Die Fülle der ihm zuströmenden Gedanken ließen Knies dabei gelegentlich auch die offenbarsten Widersprüche in bald aufeinanderfolgenden Sätzen übersehen, und sein Buch gleicht so einem Mosaik aus Steinen von sehr verschiedener, nur im großen, nicht immer im einzelnen aufeinander abgestimmter Färbung. Die Zusätze der zweiten Auflage, welche ziemlich unorganisch neben dem fast unveränderten Text stehen, stellen gegenüber dem Gedankengehalt der ersten teils eine Verdeutlichung und Fortentwickelung, teils aber auch eine bewußte Umbiegung zu ziemlich abweichenden Gesichtspunkten dar. Wer den ganzen Inhalt dieses eminent gedankenreichen Werkes überhaupt in voller Tiefe wiedergeben wollte, dem bliebe nichts übrig, als zunächst die gewissermaßen aus verschiedenen Gedankenknäueln stammenden Fäden, welche neben- und durcheinander herlaufen, voneinander zu sondern und sodann jeden Gedankenkreis für sich zu systematisieren99. Seine Ansicht über die Stellung der Nationalökonomie im Kreise der Wissenschaften hat Knies erst in der zweiten Auflage endgültig präzisiert100, jedoch in einer Weise, welche durchaus den Gedankengängen der ersten entspricht. Danach erörtert sie jene Vorgänge, welche daraus entspringen, daß der Mensch für die Deckung des Bedarfs »des menschlich persönlichen Lebens« auf die »Außenwelt« angewiesen ist: – eine, gegenüber dem historisch gewordenen Aufgabenkreise unserer Wissenschaft offenbar teils zu weite, teils zu enge Umgrenzung. Um nun aus diesem Aufgabenkreis der Nationalökonomie ihre Methode abzuleiten, stellt Knies neben die schon von Helmholtz je nach dem behandelten Objekt unterschiedenen Gruppen der »Naturwissenschaften« einerseits, der »Geisteswissenschaften« anderseits, als dritte Gruppe die »Geschichtswissenschaften«, als diejenigen Disziplinen, welche es mit äußeren, aber durch »geistige« Motive mit bedingten Vorgängen zu tun haben.
Von der für ihn selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß die wissenschaftliche »Arbeitsteilung« eine Repartierung des objektiv gegebenen Tatsachenstoffes darstelle, und daß ferner dieser objektiv ihr zugewiesene Stoff es sei, der einer jeden Wissenschaft ihre Methode vorschreibe, geht nun Knies an die Erörterung der methodologischen Probleme der Nationalökonomie. Da diese Wissenschaft menschliches Handeln unter einerseits naturgegebenen, andererseits historisch bestimmten Bedingungen behandelt, so ergibt sich ihm, daß in ihr Beobachtungsmaterial als Determinanten auf der einen Seite, der des menschlichen Handelns, die menschliche »Willensfreiheit« »eingehen«, auf der anderen dagegen »Elemente der Notwendigkeit«: nämlich – erstens – in den Naturbedingungen die blinde Nezessitierung des Naturgeschehens und – zweitens – in den historisch gegebenen Bedingungen die Macht kollektiver Zusammenhänge101.
Die Einwirkung der natürlichen und »allgemeinen« Zusammenhänge faßt nun Knies ohne weiteres als gesetzmäßige Einwirkung auf, da für ihn wie für Roscher Kausalität gleich Gesetzmäßigkeit ist102. So schiebt sich ihm an die Stelle des Gegensatzes: zweckvolles menschliches Handeln auf der einen Seite, – durch die Natur und die geschichtliche Konstellation gegebene Bedingungen dieses Handelns auf der andern, der ganz andere: »freies« und daher irrational-individuelles Handeln der Personen einerseits, – gesetzliche Determiniertheit der naturgegebenen Bedingungen des Handelns anderseits103. Die Einwirkung der »Natur« auf die ökonomischen Erscheinungen würde, so meint Knies, an sich einen gesetzlichen Ablauf derselben bedingen müssen. Tatsächlich wirken nun zwar die Naturgesetze auch in der menschlichen Wirtschaft, aber sie sind nicht Gesetze der menschlichen Wirtschaft104, und zwar, nach ihm, deshalb nicht, weil in diese in Gestalt des »personalen« Handelns die Freiheit des menschlichen Willens hineinragt.
Wir werden weiterhin sehen, daß diese »prinzipielle« Begründung der Irrationalität des ökonomischen Geschehens dem, was Knies an anderen Stellen über die Einwirkung der Naturbedingungen auf die Wirtschaft ausführt, geradezu ins Gesicht schlägt, indem dort gerade die geographisch und historisch »individuelle« Gestaltung der Wirtschaftsbedingungen als dasjenige Element erscheint, welches die Aufstellung allgemeiner Gesetze des rationalen wirtschaftlichen Handelns ausschließt.
Es verlohnt aber, auf die ganze Frage, die Knies hier berührt hat, schon an dieser Stelle etwas näher einzugehen105. Die Identifikation