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Die Sprache des Dritten Reiches. Beobachtungen und Reflexionen aus LTI. Victor KlempererЧитать онлайн книгу.

Die Sprache des Dritten Reiches. Beobachtungen und Reflexionen aus LTI - Victor Klemperer


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dreißiger Jahre der Autorennfahrer: nach seinem Todessturz steht Bernd Rosemeyer eine Zeitlang fast gleichwertig mit Horst Wessel vor den Augen der Volksphantasie.5 (Anmerkung für meine Hochschulkollegen: über wechselseitige Beziehungen zwischen Goebbels’ Stil und dem Erinnerungsbuch der Fliegerin Elly Beinhorn: »Mein Mann, der Rennfahrer«6 lassen sich die interessantesten Seminaruntersuchungen anstellen.) Eine Zeitlang sind die Sieger im internationalen Autorennen, hinter dem Lenkrad ihres Kampfwagens oder an ihn gelehnt oder auch unter ihm begraben, die meistphotographierten Tageshelden. Wenn der junge Mensch sein Heldenbild nicht von den muskelbeladenen nackten oder in SA-Uniform steckenden Kriegergestalten der Plakate und Denkmünzen dieser Tage abnimmt, dann gewiß von den Rennfahrern; gemeinsam ist beiden Heldenverkörperungen der starre Blick, in dem sich vorwärtsgerichtete harte Entschlossenheit und Eroberungswille ausdrücken.

      An die Stelle des Rennkampfwagens tritt von 1939 an der Tank,7 an die Stelle des Rennfahrers der Panzerfahrer. (So nannte der Landser nicht nur den Mann am Steuer, sondern auch die Panzergrenadiere.) Seit dem ersten Kriegstag und nun bis zum Untergang des Dritten Reichs trägt alles Heldentum zu Wasser, zu Lande und in der Luft militärische Uniform. Im ersten Weltkrieg gab es noch ein ziviles Heldentum hinter der Front. Wie lange gibt es jetzt noch ein Hinter-der-Front? Wie lange noch ein ziviles Dasein? Die Lehre vom totalen Krieg wendet sich fürchterlich gegen ihre Urheber: alles ist Kriegsschauplatz, in jeder Fabrik, in jedem Keller bewährt man militärisches Heldentum, sterben Kinder und Frauen und Greise genau den gleichen heroischen Schlachtentod, oft genug sogar in genau der gleichen Uniform, wie sich das sonst nur für junge Soldaten des Feldheeres schickte oder zustande bringen ließ.

      Durch zwölf Jahre ist der Begriff und ist der Wortschatz des Heroischen in steigendem Maße und immer ausschließlicher auf kriegerischen Mut, auf verwegene todverachtende Haltung in irgendeiner Kampfhandlung angewandt worden. Nicht umsonst hat die Sprache des Nazismus das neue und seltene Adjektiv neuromantischer Ästheten: »kämpferisch« in allgemeinen Umlauf gesetzt und zu einem ihrer Lieblingsworte gemacht. Kriegerisch war zu eng, ließ nur an die Dinge des Krieges denken, war wohl auch zu offenherzig, verriet Streitlust und Eroberungssucht. Dagegen kämpferisch! Es bezeichnet in einer allgemeineren Weise die angespannte, in jeder Lebenslage auf Selbstbehauptung durch Abwehr und Angriff gerichtete, zu keinem Verzicht geneigte Haltung des Gemütes, des Willens. Der Mißbrauch, den man mit dem Kämpferischen getrieben hat, paßt genau zu dem übermäßigen Verschleiß an Heroismus bei schiefer und falscher Verwendung des Begriffes.

      »Aber Sie tun uns wirklich Unrecht, Herr Professor! Uns – damit meine ich nicht die Nazis, ich bin keiner. Doch im Feld war ich, mit ein paar Unterbrechungen, die ganzen Jahre über. Ist es nicht natürlich, daß in Kriegszeiten besonders viel von Heldentum gesprochen wird? Und wieso muß es ein falsches Heldentum sein, das da an den Tag gelegt wird?«

      »Zum Heldentum gehört nicht nur Mut und Aufsspielsetzen des eigenen Lebens. So etwas bringt jeder Raufbold und jeder Verbrecher auf. Der Heros ist ursprünglich ein Vollbringer menschheitsfördernder Taten. Ein Eroberungskrieg, und nun gar ein mit soviel Grausamkeit geführter wie der Hitlerische, hat nichts mit Heroismus zu tun.«

      »Aber es hat doch unter meinen Kameraden so viele gegeben, die nicht an Grausamkeiten beteiligt und die der festen Überzeugung waren – man hatte es uns ja nie anders dargestellt –, daß wir, auch im Angreifen und Erobern, nur einen Verteidigungskrieg führten, und daß es auch zum Heil der Welt sein würde, wenn wir siegten. Die wahre Sachlage haben wir erst viel später und allzu spät erkannt … Und glauben Sie nicht, daß auch im Sport wirkliches Heldentum entwickelt werden kann, daß eine Sportleistung in ihrer Vorbildlichkeit menschheitsfördernd zu wirken vermag?«

      »Gewiß ist das möglich, und sicherlich hat es auch in Nazideutschland unter den Sportlern und den Soldaten gelegentlich wirkliche Helden gegeben. Nur im ganzen stehe ich dem Heldentum gerade dieser beiden Berufsgruppen skeptisch gegenüber. Es ist beides zu lautes, zu gewinnbringendes, die Eitelkeit zu sehr befriedigendes Heldentum, als daß es häufig echt sein könnte. Gewiß, diese Rennfahrer waren buchstäbliche Industrieritter, ihre halsbrecherischen Fahrten sollten den deutschen Fabriken und damit dem Vaterland zugute kommen, und vielleicht sollten sie sogar der Allgemeinheit Nutzen tragen, indem sie zur Vervollkommnung des Autobaus Erfahrungen beisteuerten. Aber es war doch soviel Eitelkeit, soviel Gladiatorengewinn im Spiel! Und was bei den Rennfahrern die Kränze und Preise, das sind bei den Soldaten die Orden und Beförderungen. Nein, ich glaube in den seltensten Fällen an Heroismus, wo er sich in aller Öffentlichkeit laut betätigt, und wo er sich im Fall des Erfolges gar zu gut bezahlt macht. Heroismus ist um so reiner und bedeutender, je stiller er ist, je weniger Publikum er hat, je weniger rentabel er für den Helden selber, je weniger dekorativ er ist. Was ich dem Heldenbegriff des Nazismus vorwerfe, ist gerade sein ständiges Gekettetsein an das Dekorative, ist das Prahlerische seines Auftretens. Ein anständiges, echtes Heldentum hat der Nazismus offiziell überhaupt nicht gekannt. Und dadurch hat er den ganzen Begriff verfälscht und in Mißkredit gebracht.«

      »Sprechen Sie stilles und echtes Heldentum den Hitlerjahren überhaupt ab?«

      »Den Hitlerjahren nicht – im Gegenteil, die haben reinsten Heroismus gezeitigt, aber auf der Gegenseite sozusagen. Ich denke an die vielen Tapferen in den KZ, an die vielen verwegenen Illegalen. Da waren die Todesgefahren, waren die Leiden noch ungleich größer als an den Fronten, und aller Glanz des Dekorativen fehlte so gänzlich! Es war nicht der vielgerühmte Tod auf dem ›Felde der Ehre‹, den man vor Augen hatte, sondern günstigstenfalls der Tod durch die Guillotine. Und doch – wenn auch das Dekorative fehlte und dieses Heldentum fraglos echt war, eine innere Stütze und Erleichterung haben diese Helden doch auch besessen: auch sie wußten sich die Angehörigen einer Armee, sie hatten den festen und wohlbegründeten Glauben an den schließlichen Sieg ihrer Sache, sie konnten den stolzen Glauben mit ins Grab nehmen, daß ihr Name irgendwann einmal um so ruhmreicher auferstehen werde, je schmachvoller man sie jetzt hinmordete.

      Aber ich weiß von einem noch viel trostloseren, noch viel stilleren Heldentum, von einem Heroismus, dem jede Stütze der Gemeinsamkeit mit einem Heer, einer politischen Gruppe, dem jede Hoffnung auf künftigen Glanz durchaus abging, der ganz und gar auf sich allein gestellt war. Das waren die paar arischen Ehefrauen (allzu viele sind es nicht gewesen), die jedem Druck, sich von ihren jüdischen Ehemännern zu trennen, standgehalten hatten. Wie hat der Alltag dieser Frauen ausgesehen! Welche Beschimpfungen, Drohungen, Schläge, Bespuckungen haben sie erlitten, welche Entbehrungen, wenn sie die normale Knappheit ihrer Lebensmittelkarten mit ihren Männern teilten, die auf die unternormale Judenkarte gestellt waren, wo ihre arischen Fabrikkameraden die Zulagen der Schwerarbeiter erhielten. Welchen Lebenswillen mußten sie aufbringen, wenn sie krank lagen von all der Schmach und qualvollen Jämmerlichkeit, wenn die vielen Selbstmorde in ihrer Umgebung verlockend auf die ewige Ruhe vor der Gestapo hinwiesen! Sie wußten, ihr Tod werde den Mann unweigerlich hinter sich herzerren, denn der jüdische Ehegatte wurde von der noch warmen Leiche der arischen Frau weg ins mörderische Exil transportiert. Welcher Stoizismus, welch ein Aufwand an Selbstdisziplin war nötig, den Übermüdeten, Geschundenen, Verzweifelten immer wieder und wieder aufzurichten. Im Granatfeuer des Schlachtfeldes, im Schuttgeriesel des nachgebenden Bombenkellers, selbst im Anblick des Galgens gibt es noch die Wirkung eines pathetischen Moments, das stützend wirkt – aber in dem zermürbenden Ekel des schmutzigen Alltags, dem unabsehbar viele gleich schmutzige Alltage folgen werden, was hält da aufrecht? Und hier stark zu bleiben, so stark, daß man es dem andern immerfort predigen und es ihm immer wieder aufzwingen kann, die Stunde werde kommen, es sei Pflicht, sie zu erwarten, so stark zu bleiben, wo man ganz auf sich allein angewiesen ist in gruppenloser Vereinzelung, denn das Judenhaus8 bildet keine Gruppe trotz seines gemeinsamen Feindes und Schicksals und trotz seiner Gruppensprache: das ist Heroismus über jeglichem Heldentum.

      Nein: den Hitlerjahren hat es wahrhaftig nicht an Heldentum gefehlt, aber im eigentlichen Hitlerismus, in der Gemeinschaft der Hitlerianer hat es nur einen veräußerlichten, einen verzerrten und vergifteten Heroismus gegeben, man denkt an protzige Pokale und Ordensgeklingel, man denkt an geschwollene Worte der Beweihräucherung, man denkt an erbarmungsloses Morden …«

      Gehört die Sippe der Heldentumsworte in die LTI? Eigentlich ja, denn sie sind dicht gesät und charakterisieren überall spezifische Verlogenheit und Roheit des Nazistischen. Auch sind sie


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