Little Women. Vier Schwestern halten zusammen. Louisa May AlcottЧитать онлайн книгу.
zu benutzen«, schimpfte Meg aus den Tiefen ihres Umhangs, in den sie sich eingewickelt hatte wie eine Nonne, die von der Welt nichts mehr wissen wollte.
»Aber ich mag kraftvolle Ausdrücke, die etwas auf den Punkt bringen«, erwiderte Jo und hielt ihren Hut fest, der gerade davonfliegen wollte.
»Du kannst dich nennen, wie du willst, aber ich bin weder eine Rotznase noch eine Göre und möchte auch nicht so genannt werden.«
»Du bist ein eitles Geschöpf und unausstehlich heute Morgen, weil du nicht tagein, tagaus im Luxus schwelgen kannst, du Ärmste. Aber warte nur, bis ich reich bin, dann kriegst du Kutschen und Eiscreme und hochhackige Schuhe bis zum Abwinken, und jede Menge Knallbonbons und rothaarige Verehrer, mit denen du tanzen kannst.«
»Du bist wirklich lächerlich, Jo!« Trotzdem lachte Meg über den Unsinn und fühlte sich wider Willen ein bisschen besser.
»Sei froh, denn wenn ich mich genauso niedergeschlagen und trübsinnig gäbe wie du, wäre mit uns überhaupt nichts mehr anzufangen. Zum Glück finde ich immer etwas Lustiges, das mich bei Laune hält. Jetzt hör auf zu jammern und komm fröhlich nach Hause, sei so gut.«
Jo klopfte ihrer Schwester aufmunternd auf die Schulter, als sie sich trennten und jede ihrer Wege ging, die kleine warme Apfeltasche in der Hand, und trotz des Winterwetters, der harten Arbeit und der unbefriedigten Wünsche der lebenslustigen Jugend um gute Laune bemüht.
Als Mr. March bei dem Versuch, einem glücklosen Freund zu helfen, sein Vermögen verlor, hatten die beiden ältesten Mädchen um Erlaubnis gebeten, wenigstens zu ihrem eigenen Unterhalt beitragen zu dürfen. Da ihre Eltern fanden, dass man Tatkraft, Fleiß und Unabhängigkeit nicht früh genug fördern konnte, willigten sie ein, und die beiden begannen mit der aufrichtigen Entschlossenheit zu arbeiten, die irgendwann belohnt werden würde. Margaret fand eine Stelle als Kindermädchen und fühlte sich reich mit ihrem kleinen Einkommen, denn sie liebte ja den Luxus und hielt Armut für das Schlimmste überhaupt. Es fiel ihr schwerer als den anderen, die bescheidenen Verhältnisse zu ertragen, weil sie sich noch an die Zeit erinnern konnte, als die Familie ein schönes Zuhause gehabt hatte, das Leben leicht und unbeschwert gewesen war und sie keine Not kannten. Sie gab sich Mühe, nicht neidisch oder unzufrieden zu sein, aber es war nur natürlich, dass das junge Mädchen sich nach hübschen Dingen, lustigen Freundinnen und einem glücklichen Leben sehnte. Bei der Familie King war sie täglich von allem umgeben, was sie sich wünschte, denn die älteren Schwestern ihrer Zöglinge waren gerade in die Gesellschaft eingeführt worden. Ständig sah sie anmutige Ballkleider und Bouquets, hörte Klatsch über Theater, Konzerte, Schlittenpartien und diverse andere Vergnügungen, sie sah, wie Geld, das ihr lieb und teuer gewesen wäre, für Kinkerlitzchen ausgegeben wurde. Die arme Meg beklagte sich nur selten, aber hin und wieder ließ ein Gefühl der Ungerechtigkeit sie den anderen gegenüber bitter werden. Sie hatte noch nicht begriffen, wie reich sie mit jenen Dingen gesegnet war, die ein glückliches Leben ausmachen.
Jo diente bei Tante March, die schlecht zu Fuß war und eine flinke Person benötigte, die sich um sie kümmerte. Die kinderlose alte Dame hatte angeboten, eines der Mädchen zu adoptieren, als die Schwierigkeiten begannen, und sie war sehr gekränkt, als man ihr Angebot ablehnte. Andere Freunde mahnten die Marchs, dass sie jede Chance vertan hätten, im Testament der alten Dame berücksichtigt zu werden, doch die herzensguten Eheleute erwiderten nur: »Wir würden unsere Mädchen auch für ein Dutzend Erbschaften nicht hergeben. Ob reich oder arm, wir bleiben zusammen und erfreuen uns aneinander.«
Die alte Dame sprach eine ganze Weile nicht mit ihnen, doch als sie bei einer Bekannten zufällig Jo begegnete, fand sie Gefallen an ihrer drolligen Miene und ihrer unverblümten Art und schlug vor, sie als Gesellschafterin einzustellen. Auch wenn Jo das Angebot ganz und gar nicht gefiel, nahm sie die Stelle an, als sich nichts Besseres fand, und zur allgemeinen Überraschung kam sie mit ihrer aufbrausenden Verwandten erstaunlich gut zurecht. Hin und wieder kam es zu einem Ausbruch, und einmal ging Jo nach Hause und erklärte, sie halte es nicht länger aus. Aber Tante March lenkte jedes Mal schnell wieder ein und ließ so eindringlich um ihre Rückkehr bitten, dass Jo nicht Nein sagen konnte, weil sie die hitzige alte Dame tief im Herzen gern mochte.
Ich vermute, dass der eigentliche Anziehungspunkt für Jo eine ziemlich umfangreiche Bibliothek voller schöner Bücher war, die seit dem Tod von Onkel March vor sich hin staubte. Jo erinnerte sich noch an den freundlichen alten Herrn, der sie aus seinen dicken Wörterbüchern Eisenbahnen und Brücken bauen ließ, ihr Geschichten über die eigenartigen Bilder in seinen lateinischen Büchern erzählte und ihr Pfefferkuchen kaufte, wann immer er ihr auf der Straße begegnete. Der schummrige, verstaubte Raum mit den Büsten, die von den hohen Bücherregalen herunterstarrten, den gemütlichen Sesseln, Globen und – das Beste von allem – einem Wald aus Büchern, in dem sie wandern konnte, wie es ihr beliebte, machte die Bibliothek für Jo zu einer Insel der Glückseligkeit. Sobald Tante March ihren Mittagsschlaf hielt oder Besuch hatte, lief sie an diesen stillen Ort, rollte sich auf einem Polstersessel zusammen und verschlang Gedichte, Liebesgeschichten, Geschichts- und Reisebücher samt Bildern wie ein echter Bücherwurm. Doch wie jedes wahre Glück währte auch dieses nie lange, denn jedes Mal, wenn sie die zentrale Stelle eines Textes erreichte, die schönste Zeile eines Liedes oder das gefährlichste Abenteuer ihres Helden, rief todsicher eine schrille Stimme: »Josy-phine! Josy-phine!«, und sie musste ihr Paradies verlassen, um Garn aufzuwickeln, den Pudel zu waschen oder ihrer Tante stundenlang die Aufsätze von William Belsham vorzulesen.
Jo sehnte sich danach, etwas wirklich Großartiges zu tun. Sie wusste noch nicht, was, baute aber darauf, dass es sich mit der Zeit schon ergeben würde. In der Zwischenzeit war ihr größter Kummer, dass sie nicht nach Herzenslust lesen, toben und reiten konnte. Ihr hitziges Temperament, die scharfe Zunge und ihr unruhiger Geist brachten sie immer wieder in Schwierigkeiten, sodass ihr Leben aus einem ständigen Auf und Ab bestand, das ebenso lustig wie beschämend war. Die Erziehung, die sie bei Tante March erhielt, war daher genau das, was sie brauchte, und der Gedanke, dass sie zu ihrem eigenen Unterhalt beitrug, machte sie trotz der ewigen »Josyphine«-Rufe glücklich.
Beth war zu schüchtern, um zur Schule zu gehen. Sie hatte es versucht, litt aber so sehr darunter, dass sie es wieder aufgab und von ihrem Vater zu Hause unterrichtet wurde. Als er fortging und ihre Mutter gebeten wurde, ihre Kraft und Fähigkeiten den soldatischen Hilfsorganisationen zur Verfügung zu stellen, führte Beth ihre Studien so gut sie konnte allein fort. Sie war ein eher häusliches Wesen und half Hannah, das Heim für die Berufstätigen sauber und gemütlich zu halten, ohne im Gegenzug mehr als Liebe zu verlangen. Ihre Tage waren lang und still, aber weder einsam noch müßig, denn ihre kleine Welt war voller Fantasiefreunde, außerdem war sie von Natur aus umtriebig. Sie besaß sechs Stoffpuppen, die jeden Morgen aus dem Bett geholt und angezogen werden mussten, denn Beth war noch sehr kindlich und liebte ihre Puppen wie eh und je. Es war nicht eine besonders schöne darunter, alle waren sie Verstoßene gewesen, bis Beth sie aufnahm, denn sobald ihre großen Schwestern aus dem Puppenalter herauswuchsen, gingen deren einstige Schätze an Beth über. Amy wollte nichts Altes oder Hässliches haben. Dafür liebte Beth sie umso mehr und gründete sogar ein Krankenhaus für altersschwache Puppen. Alle wurden gefüttert und angezogen, versorgt und mit nie enden wollender Zärtlichkeit geherzt. Das jämmerlichste Überbleibsel der Puppenära hatte Jo gehört, ehe es von Beth gerettet und in Obhut genommen wurde. Da der Kopf der Puppe oben aufklaffte, befestigte sie eine hübsche kleine Kappe darauf, und da auch sämtliche Arme und Beine fehlten, versteckte Beth diese Mängel unter einer Decke und legte die chronisch Kranke in ihr bestes Puppenbett. Jedem Menschen wurde das Herz aufgehen, wenn er wüsste, wie viel Fürsorge dieses Püppchen erfuhr. Beth brachte ihm kleine Blumensträuße, nahm es unter ihrem Mantel versteckt mit an die frische Luft, sang ihm Schlaflieder und ging nie zu Bett, ohne sein kleines Gesicht zu küssen und ihm zärtlich zuzuflüstern: »Ich hoffe, du kannst gut schlafen, meine arme Joanna.«
Beth hatte ihre eigenen Kümmernisse, genau wie alle anderen, und da sie kein Engel war, sondern ein sehr menschliches kleines Mädchen, »verdrückte sie oft ein paar Tränchen«, wie Jo es nannte, weil sie weder Musikstunden nehmen noch ein besseres Klavier haben konnte. Sie liebte die Musik so sehr, gab sich beim Üben solche Mühe und spielte so geduldig auf dem misstönenden alten Instrument der Familie, dass man wirklich