Das Weiße Haus am Meer. Hannes NygaardЧитать онлайн книгу.
Friedhof, was ist mit dir? Hat dein Lieblingsverein Holzbein Kiel wieder verloren?«
Friedjof schüttelte den Kopf. »Die halten einen guten Mittelplatz in der Zweiten Liga.«
»Da gehören sie auch hin. Das ist gut so«, sagte Lüder. »Im Haifischbecken Erste Liga werden sie nur zerschlagen. Viele Vereine, die zur Freude ihrer Anhänger den Aufstieg geschafft haben, mussten bitter Lehrgeld bezahlen und wurden dann in untere Ligen durchgereicht. Freuen wir uns, dass dein Holstein Kiel eine gute Rolle in der Zweiten Liga spielt.« Sind wir auch in der Zweiten Liga?, überlegte Lüder. Oder siedeln uns Leute wie Kuckuck vom BND oder die Vertreter der Berliner Ministerien in den Amateurklassen an?
»Wir haben außerdem den THW Kiel, eine erste Adresse im Handball.«
»THW – Technisches Hilfswerk. Und die spielen Handball«, sagte Friedjof leise.
Lüder lachte. »THW steht für Turnverein Hassee-Winterbek.«
»Hassee – da wohnst du doch«, stellte Friedjof fest. »Wie schön.«
Lüder stand auf und legte Friedjof freundschaftlich einen Arm um die Schulter. »Was ist mit dir? So kenne ich dich nicht.«
»Ach – nichts.«
»Friedhof!« Es klang nachdrücklich.
»Ich bin besorgt. Wegen Franzi.«
»So. Wer ist Franzi?«
»Meine Freundin. Wir wohnen seit zwei Wochen zusammen.«
»Mensch, alter Schwerenöter. Das ist ja großartig.« Lüder führte Friedjof zum Besucherstuhl und drückte ihn auf die Sitzfläche. Er selbst nahm auf der Schreibtischecke Platz.
»Franzi ist krank. Ein Infekt.«
»Das ist doch nicht weiter schlimm.«
»Ich mache mir aber Sorgen.« Er sah zu Lüder auf.
»Weshalb hast du das nicht erzählt – ich meine, mit Franzi?«
»Na – sie ist doch auch behindert. So wie ich.«
»Ja und? Du bist doch auch mein Freund.«
»Also …«, druckste Friedjof herum. »Sie hat das Downsyndrom. Und wenn wir beide unterwegs sind … Manche Leute gucken komisch.«
»Das sollte euch nicht stören.«
»Franzis Eltern sind okay. Sie haben nichts dagegen, dass wir zusammenwohnen, ich meine, so … so wie Mann und Frau.«
»Friedjof. Es zählt doch nur, dass ihr euch liebt.«
Friedjof nickte heftig. »Oha – doch. Das tun wir. Sie ist eine ganz Liebe. Und sie kocht gern. Am liebsten Pfannkuchen.«
»Mensch. Das ist eine wunderbare Neuigkeit. Weißt du was? Wir laden euch zum Essen bei uns ein.«
»Ehrlich?« Friedjof strahlte.
»Natürlich. Aber erst, nachdem der amerikanische Präsident wieder weg ist.«
»Was?« Der Bürobote musterte Lüder mit offenem Mund. »Der ist auch bei euch eingeladen?«
Lüder lachte laut auf. »Um Gottes willen. Der ist nirgendwo willkommen. Im Unterschied zu euch. Nun sieh zu, dass du deine Runde abschließt. Dann machst du heute etwas früher Feierabend und pflegst Franzi. Du wirst sehen. Morgen ist sie wieder fit.«
Friedjof atmete tief durch. »Danke«, sagte er und zog von dannen.
Lüder machte sich auf den Weg nach Timmendorfer Strand. Für die etwa siebzig Kilometer, die ihn an Preetz und Plön vorbeiführten, benötigte er fast anderthalb Stunden. Zu anderen Jahreszeiten war es eine reizvolle Strecke durch die leicht hügelige Landschaft. Heute bereitete das Fahren auf den alleenartigen Straßen wenig Freude.
Timmendorfer Strand mit fast neuntausend Einwohnern galt als eines der mondänsten Ostseebäder mit seinem großen touristischen Angebot. Vor der deutschen Wiedervereinigung bevölkerten Massen die Orte an der Lübecker Bucht. Lüder hatte sich damals, wie viele andere, gewundert, dass man die Lage hemmungslos ausnutzte, um zu überhöhten Preisen Urlaubsfreuden anzubieten, ohne im gleichen Maße zu investieren.
»Dein Soli verschwindet an Mecklenburgs Küste«, hatte sein Vater irgendwann einmal festgestellt, nachdem seine Eltern die herausgeputzten Orte im Osten entdeckt hatten.
Plötzlich war man an der Lübecker Bucht ins Hintertreffen geraten. Timmendorfer Strand schien davon verschont geblieben zu sein. Selbst an einem Tag mit widrigen Witterungsbedingungen wie heute traf man auf Touristen, die – wetterfest gekleidet – den Ort durchstreiften. Wer den Strandweg Richtung Niendorf mit seinem beschaulichen Fischereihafen benutzte, konnte das durch einen Zaun und sorgfältig gestutzte Rhododendrenbüsche abgeschirmte Haus bewundern, das der Familie von Crummenthal gehörte. Lüder wählte die Zufahrt über die ruhige Wohnstraße, in der sich zahlreiche Traumhäuser auf großzügigen Grundstücken aneinanderreihten.
Am gemauerten Pfosten neben dem schmiedeeisernen Tor fand er einen bronzenen Klingelknopf. Ein Namensschild fehlte. Es dauerte eine Weile, bis sich die Kamera in der gläsernen Halbkugel bewegte. Er wurde gescannt, nannte nach Aufforderung seinen Namen und hielt seinen Dienstausweis in die Kamera.
»Kommen Sie«, sagte eine Stimme mit einem hart klingenden Akzent.
Dann öffnete sich die Pforte automatisch. Es war ein weiter Weg durch das makellos gepflegte Anwesen bis zum repräsentativen Portal. Marmorstufen, stellte Lüder fest. Die vier Säulen waren makellos weiß. Das galt auch für die schwere Holztür mit den eleganten Verzierungen und den Messingbeschlägen. In der Türöffnung stand ein Mann mittleren Alters in einem mausgrauen Anzug. Er hielt in einer Hand den Türrahmen, in der anderen das Türblatt und sah Lüder mit einem fragenden Blick an.
»Landespolizei«, sagte Lüder und präsentierte erneut seinen Dienstausweis, den der Mann aufmerksam studierte. Lüder hielt ihn für den Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes.
»Sie wünschen?« Es war die Stimme, die ihn über den Lautsprecher am Tor begrüßt hatte.
»Ich würde gern mit Frau von Crummenthal sprechen.«
»Mit der gnädigen Frau?« Der Mann zog eine Augenbraue in die Höhe, als hätte Lüder um eine Audienz beim Papst gebeten. Oder beim amerikanischen Präsidenten, ergänzte er für sich selbst. »Ich werde nachfragen«, erklärte der Securitymann und schloss die Tür.
Es dauerte einige Minuten, bis er wieder erschien, die Tür ganz öffnete, Lüder ins Haus bat und ihm bedeutete, in der Halle zu warten. Lüder sah sich um. Hier schien alles auf Repräsentation ausgerichtet zu sein.
Eine geschwungene Marmortreppe mit einem handgeschnitzten Geländer führte ins Obergeschoss. Teppiche bedeckten große Flächen der ebenfalls mit Marmor ausgelegten Halle, in der Plastiken deponiert waren. Wäre nicht Weiß die dominierende Farbe, hätte das Interieur den Anstrich eines düsteren englischen Adelssitzes haben können. Dazu passten auch die Wandgemälde, eine Galerie von in Öl gefassten, finster dreinblickenden Männern, vermutlich die Ahnenreihe der erfolgreichen Industriebarone, Bankiers und Reeder. Die hohen Räume waren an den Decken stuckverziert und wurden durch Kristallleuchter erhellt.
Eine Frau in einem beigefarbenen Pullover und einem Rock im schottischen Karomuster erschien. Auf dem ausladenden Busen lag eine Kette aus grüner Jade auf. Die ganze Erscheinung wirkte dezent.
»Guten Tag«, sagte sie. »Sie kommen von der Polizei? Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit?«
Lüder wollte seinen Dienstausweis zeigen, doch die Frau winkte ab.
»Es geht um den Wunsch des amerikanischen Präsidenten, dieses Haus zu besuchen.«
»Das hat uns viel Unruhe beschert«, sagte die Frau. »Mein Name ist Berghoff. Ich bin die Assistentin Frau von Crummenthals«, stellte sie sich vor. »Sie sehen mich nicht überrascht, dass die Polizei uns ihre Aufwartung macht. Es war schon jemand von der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts