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Waidmannsruh. Alexandra BleyerЧитать онлайн книгу.

Waidmannsruh - Alexandra Bleyer


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die Freundschaft auf. Nur ganz kurz spielte Martin mit dem Gedanken, sich seine Tafel Schokolade aus dem Spind zu holen, nur um Treichel mit deren Anblick zu ärgern. Aber in der momentanen Verfassung, in der sich der Chef befand, traute er ihm den Gebrauch der Dienstwaffe zu.

      Martin begnügte sich also damit, sich einen Kaffee herunterzulassen.

      »Und, wie war’s? Was ist das für ein Kurs?«, wollte Kerstin wissen.

      »Das ist so ähnlich wie bei diesen Fettwatschern«, murmelte Treichel. »Geh, Martin, sei so gut und mach mir auch einen Kaffee.«

      Da er sich gerade erst hingesetzt hatte und gleich wieder aufgejagt wurde, bemühte sich Martin um ein besonders freundliches Lächeln. »Gern, Chef. Wie immer mit drei Stück Zucker? Oh, sorry, für dich gibt’s ja nur noch Süßstoff.«

      »Also, wie war’s? Sind viele Leute dabei?«

      »Hm. Hauptsächlich Frauen. Und natürlich die Regina. Dabei hat sie es gar nicht nötig«, maulte Treichel.

      Seine Frau hatte da wohl mehr seine Speckröllchen im Blick.

      »Wer leitet den Kurs?«

      Wollte Kerstin das ehrlich wissen, oder war das ein plumpes Ablenkungsmanöver? Denn kaum setzte Treichel zur Antwort an, schnellte ihre Hand vor, und sie ergatterte eine Reiswaffel.

      »Ein Andreas Hartinger mit einem Haufen Buchstaben hinter dem Namen. Keine Ahnung, was für Titel der genau hat.«

      »Und was hat er gesagt?«

      »Dass der BMI sagt … und nein, damit ist nicht unser Ministerium gemeint. Das habe ich zuerst auch gedacht und mich gewundert, was das den Innenminister angehen soll … Also, der BMI, das ist …« Treichel runzelte die Stirn. »Wissts eh. Dieser …«

      Martin war gespannt, ob und wie Treichel den Begriff Body-Mass-Index verhunzen würde. Aber der Chef wich den Fremdwörtern elegant aus.

      »Auf jeden Fall hat er gesagt, dass ich zu klein bin.«

      Der Treichel?

      »Ha? Hat er dich nicht angeschaut? Oder bist gesessen?«, rätselte Kerstin.

      Treichel schnaufte. »Laut BMI müsste ich zwei Meter sechzig sein … für mein Gewicht.«

      Martin gelang es gerade noch, sein Grinsen hinter seiner Hand zu verbergen; Kerstin prustete los, dass die Reiswaffelbrösel nur so über den Tisch flogen.

      »Das ist nicht witzig!« Treichel kippte seinen Kaffee hinunter.

      Kerstin folgte ihm zum Geschirrspüler und tätschelte im Vorübergehen Treichels Bauch. »Mach dir nix draus. Der ist lei neidisch. Mein Großvater hat immer gesagt, so eine Wåmpm ist ganz schön teuer, die muss man sich erst mal leisten können.« Sie schaute betont zwischen Treichel und Martin hin und her. »Ja, da sieht man, wer als Chef mehr verdient. Was meinst du dazu, Martin?«

      »Ich? Ich sag gar nichts. Weil wer im Glashaus sitzt« – er strich sich über sein Hemd, das nach den vielen Feiertagen auch ein wenig enger saß als sonst – »soll nicht mit Kokosbusserln werfen!«

      Treichel lachte. »Ja, bei unseren Luxusproblemen kann die Kerstin halt nicht mitreden.«

      Obwohl, so wie sie im Profil da stand, war auch bei Kerstin ein ganz kleines Wamperle zu erkennen; ihre Uniformhose saß eindeutig enger als sonst, was kein Wunder war bei all dem ungesunden Grafl, das sie in sich hineinstopfte. Sollte er sie – ganz im Sinne ihrer aufrichtigen Freundschaft, best friends hatten keine Geheimnisse voreinander, wie Kerstin immer wieder betonte – darauf ansprechen oder lieber schweigen?

      Die Frage musste er zum Glück nicht klären, denn in dem Augenblick kam Paul mit der Nachricht herein, dass eine Kellnerin in einem Mallnitzer Café eine dubiose Gestalt wahrgenommen hätte, die sich verdächtig an den an der Garderobe abgelegten Kleidungsstücken zu schaffen gemacht hätte. Gewichtszunahmen und Diäten waren schlagartig vergessen. Martin und Kerstin rückten aus. Mit Blaulicht, versteht sich.

      8

      Ein leises Schaben an der Bürotür, dann wurde diese vorsichtig aufgestoßen und Kathi Semslacher schob ihren Kopf ins Büro. Mit dem Rollkragenpullover, den sie unter der offenen gelben Weste mit dem Logo des Baumarktes trug, sah sie aus wie eine Schildkröte. Genauso verhielt sie sich auch.

      Er winkte sie genervt herein. Kathi blinzelte hinter den dicken Brillengläsern und kroch auf seinen Schreibtisch zu.

      »Hier, ein Kaffee«, murmelte sie und stellte ein silbernes Tablett, auf dem sich eine dampfende Tasse sowie ein Glas Wasser befanden, vor ihn hin. Ein Müsliriegel lag daneben. »Heute bist du aber besonders früh da.«

      Es war noch nicht einmal halb acht, und das Geschäft sperrte erst um neun Uhr auf, aber er hatte einiges nachzuholen, was im alten Jahr liegen geblieben war. »Es gibt viel zu tun. Was machst du denn schon so früh da?«

      Mit den Zähnen riss er den Müsliriegel auf. Der kam ihm gerade recht, denn auf ein Frühstück hatte er verzichtet.

      Kathi lächelte und rückte mit dem Zeigefinger ihre Brille zurecht. »Wie du sagst, es gibt viel zu tun. Da will ich dich nicht im Stich lassen.«

      Warum konnte Manuela nicht mehr so sein wie sie? Nicht vom Aussehen her, Gott bewahre, denn seine elegante, schlanke Ehefrau würde er nie gegen einen Bauerntrampel eintauschen wollen. Aber was den Charakter betraf, ja, da wäre ihm die Kathi weit lieber. Da gab es kein Theater. Kathi fragte nicht lange, sondern tat, was man ihr anschaffte, und bemühte sich darüber hinaus, es ihm recht zu machen. Noch nie hatte sie sich beschwert, wenn sie einmal länger im Geschäft bleiben musste, was aktuell häufiger der Fall war. Außer ihr und zwei Lagerarbeitern, die stundenweise beschäftigt waren, war nur noch Florian Drussnitzer hauptberuflich angestellt. Denn vor Weihnachten hatte ausgerechnet Herbert, sein bester Verkäufer, gekündigt, da er ein hoch dotiertes Angebot als Außenhandelsvertreter erhalten hatte. Noch hatte er keinen Ersatz für ihn gefunden.

      Der Baumarkt lief längst nicht mehr so gut wie früher einmal. Die Zeiten änderten sich; kleine Familienbetriebe hatten es schwer. Die über Jahrzehnte aufgebaute Stammkundschaft starb nach und nach weg, und die Jungen, die ohnehin auswärts arbeiteten, kauften lieber in Städten wie Spittal und Lienz ein. Die großen Baumarktketten dort waren eine schmerzhafte Konkurrenz. Mit der Billigpreispolitik konnte Walter nicht mithalten, und er ärgerte sich über jene Kunden, die sich nur dann wie Geier auf die Ware stürzten, wenn ein großes Prozentzeichen darüber hing.

      Er überlegte schon, ob er die Bücher etwas frisieren sollte; nicht für das Finanzamt, Gott bewahre. In den Knast wollte er nicht. Aber für seinen Vater. Denn der war ein Kaufmann durch und durch und hatte sich nach dem dritten Herzinfarkt nur widerwillig zur Ruhe gesetzt. Was waren das für Diskussionen gewesen, ihn davon abzuhalten, weiterhin jeden Tag in den Betrieb zu kommen! »Ich will ja nur nach dem Rechten schauen«, hatte er geraunzt. Der Vater würde nicht verkraften, wenn der vom Großvater aufgebaute Betrieb in dritter Generation heruntergewirtschaftet werden würde. Wobei sich Walter keiner Schuld bewusst war; es waren die Rahmenbedingungen, die ihm zusetzten. Dafür hätte sein Vater aber kein Verständnis – und noch besaß dieser den größten Eigentümeranteil am Geschäft.

      Dabei wäre es keine Katastrophe, wenn Walter den Baumarkt zusperren würde. Am Hungertuch nagen müsste er deswegen nicht, denn seine Vorgänger hatten in den fetten Jahren eisern gespart und in Immobilien investiert, was bedeutete: Als einziger Sohn würde Walter einmal ein Vermögen erben. Es war mehr eine Frage der kaufmännischen Ehre, den Baumarkt am Laufen zu halten.

      »Kommt die Frau Chef heute?«, fragte Kathi.

      »Weiß ich nicht«, brummte er.

      In der letzten Woche, der ersten nach den Weihnachtsferien, in denen Valentin auch wieder im Kindergarten war, hatte Manuela es nicht der Mühe wert gefunden, sich im Baumarkt blicken zu lassen. Auch wenn sie nicht mehr draufhatte, als ein paar Mails zu tippen, an der Kassa zu sitzen und hübsch auszuschauen, wären durch ihre Anwesenheit Kathi und Florian für andere Tätigkeiten freigespielt. Glaubte


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