Philosophisches Taschenwörterbuch. VoltaireЧитать онлайн книгу.
und sich korrigiert?
Kommst du deshalb zu dem Urteil, dass ich Gefühle, ein Gedächtnis, Vorstellungen habe, weil ich mit dir spreche? Nun gut, ich rede nicht mit dir; du siehst mich bekümmert bei mir zu Hause eintreten, unruhig nach einem Schriftstück suchen, den Schreibtisch öffnen, wo ich es meiner Erinnerung nach eingeschlossen hatte, es finden, es mit Freude lesen. Daraus schließt du, dass ich das Gefühl des Kummers und das der Freude empfunden, dass ich ein Erinnerungs- und ein Erkenntnisvermögen habe.
Beurteile also genauso diesen Hund, der seinen Herrn verloren hat, der ihn winselnd auf allen Wegen sucht, der aufgeregt ins Haus kommt, unruhig ist, nach unten und nach oben läuft, von Raum zu Raum, der schließlich den Herrn, den er liebt, in seinem Arbeitszimmer findet und diesem durch sein sanftes Bellen, seine Sprünge, seine Liebkosungen, seine Freude bezeigt.
Barbaren bemächtigen sich dieses Hundes, der in seinen Freundschaftsbezeugungen dem Menschen so sehr überlegen ist, nageln ihn auf einem Tisch fest und sezieren ihn bei lebendigem Leibe, um dir die mesaraische Vene* zu zeigen. Du entdeckst in ihm alle die gleichen Organe, die auch dich zur Empfindung befähigen. Antworte mir, Maschinist!* Hat die Natur etwa alle Anlagen zur Empfindung in diesem Tier angelegt, damit es nichts fühlt? Hat es Nerven, um empfindungslos zu sein? Behaupte nun bloß nicht, dass in der Natur solch krasse Ungereimtheiten vorkommen!
Aber die Lehrer der Philosophenschulen fragen, was denn nun die Seele der Tiere ist. Ich verstehe diese Frage nicht. Ein Baum hat die Fähigkeit, in allen seinen Fasern seinen Saft zu empfangen, der darin zirkuliert, er kann die Knospen seiner Blätter und seiner Früchte entfalten. Werdet Ihr mich jetzt fragen, was die Seele dieses Baumes ist?* Er ist mit diesen Fähigkeiten ausgestattet; das Tier hat die der Empfindungsfähigkeit, des Erinnerungsvermögens und eine gewisse Denkfähigkeit erhalten. Wer hat alle diese Gaben geschaffen? Wer hat die Tiere mit allen diesen Fähigkeiten ausgestattet? Derjenige, der das Gras auf den Feldern wachsen und die Erde um die Sonne rotieren lässt.
Die Seelen der Tiere sind substantielle Formen, sagte Aristoteles*, und nach Aristoteles die arabische Schule, und nach der arabischen Schule sagten es die Thomisten, und nach den Thomisten die Sorbonne, und nach der Sorbonne niemand mehr auf der Welt.
Die Seelen der Tiere sind materiell, posaunen andere Philosophen.* Doch diese hatten auch nicht mehr Erfolg als die anderen. Man hat sie vergebens gefragt, was eine materielle Seele ist. Sie müssen zugeben, dass Materie empfindet, doch wer hat ihr diese Empfindungen eingegeben? Materielle Seele heißt, dass es Materie ist, die der Materie Empfindungen verleiht, sie kommen aus diesem Zirkel nicht heraus.
Hört anderen Dummköpfen zu, wie sie über die Tiere urteilen. Nach ihnen ist die tierische Seele ein spirituelles Wesen, das mit dem Körper stirbt. Aber welchen Beweis habt Ihr dafür? Welche Vorstellung habt Ihr von diesem spirituellen Wesen, das eigentlich über Empfindungsfähigkeit, Erinnerungsvermögen und sein Maß an Vorstellungen und deren Kombination verfügt, aber niemals das wissen kann, was ein Kind von sechs Jahren weiß. Womit begründet Ihr die Vorstellung, dass dieses Wesen, das kein Körper ist, mit dem Körper zugrundegeht? Die größten Dummköpfe sind diejenigen, die vorgebracht haben, dass diese Seele weder Körper noch Geist ist. Das ist mir ein schönes System. Wir können uns unter Geist nur etwas Unbekanntes vorstellen, das kein Körper ist. So läuft das System dieser Herren darauf hinaus, dass die Seele der Tiere eine Substanz ist, die weder ein Körper ist noch etwas, das kein Körper ist.
Wo können so viele einander widersprechende Irrtümer bloß herkommen? Doch wohl nur von der Gewohnheit, die die Menschen schon immer hatten, zuerst zu untersuchen, was eine Sache ist, bevor man weiß, ob sie überhaupt existiert. Man nennt das Zünglein, das Ventil eines Blasebalgs die Seele des Blasebalgs. Was ist nun diese Seele? Es ist ein Name, den ich diesem Ventil gegeben habe, das sich senkt, die Luft einlässt, sich wieder aufrichtet und die Luft durch ein Rohr presst, wenn ich den Blasebalg in Bewegung setze.
Dort gibt es überhaupt keine von der Maschine verschiedene Seele. Doch wer bewegt den Blasebalg der Tiere? Ich habe es Euch bereits gesagt, derjenige, der die Sterne sich bewegen lässt. Der Philosoph, der gesagt hat Deus est anima brutorum,* hatte recht: Doch hätte er dabei nicht stehenbleiben sollen.
BIEN. SOUVERAIN BIEN – Das Gute. Das höchste Gut
In der Antike hat man sehr viel über das höchste Gut gestritten; genauso gut hätte man fragen können, was das absolute Blau ist oder das ideale Ragout, die reinste Form des Gehens oder des Lesens usw.
Jeder sieht das Gute dort, wo er vermag, und bekommt so viel davon, wie er – auf seine Art – bekommen kann.
Quid dem, quid non dem, renuis tu quod jubet alter.
Castor gaudet equis, ovo prognatus eodem pugnis. *
Das höchste Gut ist das, was uns in solchem Ausmaß ergötzt, dass es uns vollständig unfähig macht, noch irgendetwas anderes zu empfinden, ganz so, wie das größte Übel dasjenige ist, das so weit geht, uns aller Gefühle zu berauben. Dies sind die beiden Extreme der menschlichen Natur, und beide dauern sie nur einen kurzen Augenblick.
Es gibt weder extreme Wonnen noch extreme Qualen, die das ganze Leben andauern können: Das höchste Gut und das größte Übel sind beides Trugbilder.
Wir haben dazu die schöne Fabel von Krantor; er lässt den Reichtum, die Wollust, die Gesundheit und die Tugend bei den Olympischen Spielen erscheinen, und sie alle wollen den Apfel* haben. Der Reichtum sagt: »Ich bin das höchste Gut, denn mit mir kauft man alle Güter.« Die Wollust sagt: »Der Apfel gehört mir, denn man will den Reichtum nur haben, um mich zu besitzen.« Die Gesundheit versichert, dass es ohne sie keine Wollust gibt und dass der Reichtum überflüssig ist. Schließlich stellt es die Tugend so dar, dass sie über den drei anderen stehe, denn trotz Gold, Vergnügungen und Gesundheit könne das Leben erbärmlich sein, wenn man sich schlecht verhalte. Die Tugend bekam den Apfel.
Die Fabel ist sehr sinnig, doch ist sie keineswegs eine Antwort auf die absurde Frage nach dem höchsten Gut. Die Tugend ist kein Gut, sie ist eine Pflicht, sie ist von anderer Art, gehört zu einer höheren Ordnung; sie hat nichts mit schmerzvollen oder angenehmen Empfindungen zu tun. Wird der tugendhafte Mensch, den seine Koliken und die Gicht plagen, ohne Unterstützung, ohne Freunde, von einem wollüstigen Tyrannen, dem es seinerseits gut geht, des Notwendigsten beraubt, verfolgt und in Ketten gelegt, so ist er sehr unglücklich. Der unverschämte Verfolger aber, der auf seinem purpurnen Bett seine neue Geliebte streichelt, ist sehr glücklich. Sagen Sie, dass der verfolgte Weise seinem unverschämten Verfolger vorzuziehen ist, dass Sie den einen schätzen und den anderen verabscheuen, aber geben Sie zu, dass der Weise in seinen Ketten rasend wird vor Wut. Wenn der Weise das nicht zugibt, täuscht er uns – und ist ein Schwindler.
TOUT EST BIEN – Alles ist gut
Das gab einen schönen Tumult in den Fakultäten und sogar bei den Leuten, die ihre Vernunft gebrauchen, als Leibniz, Platon paraphrasierend, seine Konstruktion der besten aller möglichen Welten errichtete und sich vorstellte, dass alles zum Besten stehe.* Er saß da im Norden Deutschlands und beteuerte, dass Gott nur eine einzige Welt erschaffen konnte. Platon hatte ihm zumindest die Freiheit gelassen, fünf davon zu erschaffen:* aus dem Grunde nämlich, dass es nur fünf regelmäßige feste Körper gibt, den Tetraeder oder die dreiflächige Pyramide mit gleicher Grundfläche, den Würfel, den Hexaeder, den Dodekaeder, den Ikosaeder. Aber da unsere Welt nicht die Form eines dieser fünf Körper Platons hat, musste er Gott eine sechste erlauben.
Lassen wir nun den göttlichen Platon beiseite. Leibniz, der bestimmt ein besserer Geometer war als er und ein gründlicherer Metaphysiker, erwies also der Menschheit den Dienst, ihr klarzumachen, dass wir sehr zufrieden sein müssen und dass Gott nicht mehr für uns tun konnte, da er notwendigerweise von allen möglichen Lösungen die ausgewählt hatte, die unwidersprochen die beste ist.
»Und was wird dann aus der Erbsünde?«, schrie man ihm entgegen. »Es wird daraus werden, was daraus werden kann«, sagten Leibniz und seine Freunde, aber für die Öffentlichkeit schrieb er, dass die Erbsünde notwendigerweise zur besten aller Welten dazugehöre.*
Was!