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Philosophisches Taschenwörterbuch. VoltaireЧитать онлайн книгу.

Philosophisches Taschenwörterbuch - Voltaire


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      Früher lief ein jeder, der auf irgendeinem Fachgebiet über ein geheimes Wissen verfügte, Gefahr, als Hexer angesehen zu werden. So wurde auch jede neue Sekte bezichtigt, bei ihren Ritualen Kinder zu schlachten, und jeder Philosoph, der von der Begrifflichkeit seiner Schule abwich, wurde von den Fanatikern und den Schurken des Atheismus bezichtigt und von den Dummköpfen verurteilt.

      Wagt Anaxagoras etwa zu behaupten, dass die Sonne nicht von dem auf einem von vier Pferden gezogenen Wagen stehenden Apollon gelenkt wird, so nennt man ihn einen Atheisten, und er ist gezwungen zu fliehen.

      Aristoteles wird von einem Priester des Atheismus bezichtigt, und da er die Bestrafung seines Anklägers nicht erreichen kann, zieht er sich nach Chalkis zurück. Doch der Tod des Sokrates ist wohl das Schändlichste, was in der Geschichte Griechenlands je vorgekommen ist.

      Aristophanes*, dieser Mann, den die Kommentatoren so bewundern, weil er ein Grieche war, wobei sie nicht bedenken, dass auch Sokrates ein Grieche war, dieser Aristophanes also war der Erste, der die Athener auf den Gedanken brachte, Sokrates als Atheisten zu betrachten.

      Diesem Komödiendichter also, der weder komisch noch ein Dichter ist, würden wir heute noch nicht einmal erlauben, seine Farcen auf dem Jahrmarkt von Saint-Laurent aufzuführen. Er scheint mir noch viel gemeiner und verachtenswerter, als Plutarch ihn darstellt. Hier folgt nun, was der weise Plutarch über diesen Spaßvogel sagte: »Der Sprache des Aristophanes merkt man den armseligen Scharlatan an, der er war; seine Pointen sind äußerst gemein und abstoßend; nicht einmal dem Volk gefallen seine Stücke, und für Leute mit Urteilsvermögen und Ehrgefühl sind sie unerträglich, seine Arroganz ist nicht auszuhalten, und anständige Menschen verabscheuen seine Bosheit.«*

      Das ist, nebenbei gesagt, der Tabarin*, den Madame Dacier, die Verehrerin von Sokrates, zu bewundern wagt: Er ist der Mann, der aus sicherer Entfernung vom Geschehen das Gift zubereitete, mit dem dann niederträchtige Richter den tugendhaftesten Mann Griechenlands in den Tod schickten.

      Die Gerber, die Schuster und die Schneiderinnen von Athen applaudierten einer Farce, in der Sokrates in einem Korb in der Luft schwebt, aus dem er verkündet, dass es keinen Gott gibt, und sich dann rühmt, jemandem seinen Mantel gestohlen zu haben, als er ihn in Philosophie unterrichtete. Ein ganzes Volk, dessen schlechte Regierung einen derartigen Sittenverfall zuließ, verdiente sehr wohl, was ihm danach zustieß, nämlich zu den Sklaven Roms gemacht zu werden und heute die der Türken zu sein.

      Überspringen wir nun den gesamten zeitlichen Abstand, der zwischen der Römischen Republik und uns liegt. Die Römer, bedeutend klüger als die Griechen, haben keinen einzigen Philosophen wegen seiner Ansichten verfolgt. Bei den unkultivierten Völkern, die auf das Römische Reich folgten, ist es nicht so. Sowie Kaiser Friedrich II. Streit mit dem Papst hat, bezichtigt man ihn, Atheist zu sein und gemeinsam mit seinem Kanzler Petrus de Vinea das Buch von den drei Betrügern verfasst zu haben.*

      Unser großer Kanzler Michel de L’Hôpital braucht nur zu erklären, dass er gegen die Hugenottenverfolgung ist, und sofort bezichtigt man ihn des Atheismus. Homo doctus, sed verus atheos.* Ein Jesuit, der ebenso weit unter dem Niveau des Aristophanes steht wie Aristophanes unter dem Homers, ein Bedauernswerter also, dessen Name selbst bei den Fanatikern zum Inbegriff der Lächerlichkeit wurde, kurz, der Jesuit Garasse, entdeckt überall Atheisten. So nennt er einfach all jene, gegen die er wettert. Er bezeichnet sogar Théodore de Bèze als einen Atheisten, und er ist es auch, der die Öffentlichkeit über Vanini* in die Irre führte.

      Vaninis unglückliches Ende erfüllt uns nicht in gleicher Weise wie das von Sokrates mit Empörung und Mitleid, weil ja Vanini bloß ein ausländischer Besserwisser ohne besondere Verdienste war. Doch schlussendlich war Vanini keineswegs ein Atheist, wie behauptet wurde; er war gerade das genaue Gegenteil.

      Er war ein armer neapolitanischer Priester, Prediger und Theologe von Beruf, einer, der bis zum Exzess über die Wesenheiten und die Universalien* stritt; et utrum chimera bombinans in vacuo possit comedere secundas intentiones.* Aber darüber hinaus gab es bei ihm nicht die geringste Neigung zum Atheismus. Sein Gottesbegriff entspricht der herrschenden Lehrmeinung und wird in der Theologie allseits akzeptiert. »Gott ist Anfang und Ende, er ist Vater des Einen und des Anderen, er ist von beidem unabhängig, er ist ewig, ohne in der Zeit zu sein, allgegenwärtig, ohne an einem bestimmten Ort zu sein. Für ihn gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft, er ist überall und außerhalb von allem; er regiert alles und hat alles geschaffen; er ist unbewegt, unendlich und ungeteilt; seine Macht ist sein Wille etc.«*

      Vanini rechnete es sich zur Ehre an, diese schöne Auffassung Platons zu erneuern, die später von Averroës übernommen wurde, dass Gott eine Kette von Wesen geschaffen hat, vom kleinsten Lebewesen bis hin zum größten, deren letztes Glied mit seinem ewigen Thron verbunden ist; ein Gedanke, der allerdings eher erhaben als wahr ist, aber genauso weit vom Atheismus entfernt wie das Sein vom Nichts.

      Er reiste, um reich zu werden und zu disputieren, aber leider ist der Weg des Disputs dem des Reichtums genau entgegengesetzt, man schafft sich dadurch ebenso viele unversöhnliche Feinde, wie man Gelehrte oder Besserwisser findet, gegen die man argumentiert. Es gab gar keinen anderen Grund für das Unglück Vaninis. Sein Eifer und seine Grobheit im Disput brachten ihm den Hass einiger Theologen ein, und nachdem er eine Auseinandersetzung mit einem gewissen Francon oder Franconi hatte, versäumte es dieser Franconi, ein Freund seiner Feinde, nicht, ihn zu beschuldigen, ein Atheist zu sein und den Atheismus zu lehren.

      Dieser Francon oder Franconi war, unterstützt von einigen Zeugen, bei der Gegenüberstellung grausam genug, das aufrechtzuerhalten, was er bereits vorgebracht hatte. Vanini, der auf der Anklagebank saß, antwortete, als er gefragt wurde, was er über die Existenz Gottes denke, dass er ebenso wie die Kirche einen dreifaltigen Gott verehre. Er hob einen Strohhalm vom Boden auf. »Dieser Halm genügt«, sagte er, »um zu beweisen, dass es einen Schöpfer gibt.« Dann hielt er eine sehr schöne Rede über das Wachstum der Pflanzen und die Bewegung und die Notwendigkeit eines höchsten Wesens, ohne das es weder Pflanzen noch Wachstum gäbe.*

      Der Gerichtspräsident Grammont, der zu jener Zeit in Toulouse war, gibt diese Rede in seiner Geschichte Frankreichs wieder, die heute völlig vergessen ist, und derselbe Grammont behauptet aufgrund einer unbegreiflichen Voreingenommenheit, dass Vanini dies alles eher aus Eitelkeit oder Angst vorgebracht habe als aus einer inneren Überzeugung.

      Worauf kann sich diese verwegene und abscheuliche Einschätzung des Präsidenten Grammont stützen? Es ist doch offensichtlich, dass Vanini auf seine Antwort hin von der Anschuldigung des Atheismus hätte freigesprochen werden müssen. Was aber geschah? Dieser vom Pech verfolgte ausländische Priester beschäftigte sich auch noch mit der Medizin. Man fand bei ihm eine dicke lebende Kröte, die er in einem Aquarium hielt, und unweigerlich klagte man ihn daraufhin der Hexerei an. Man behauptete, diese Kröte sei der Gott, den er verehrte, und legte, was sehr bequem und allgemein üblich ist, in mehrere Passagen seiner Bücher einen gottlosen Sinn hinein, indem man Einwände als Antworten interpretierte, irgendwelche unklaren Sätze böswillig umdeutete und irgendeinen unschuldigen Ausdruck verdrehte. Schließlich rang die Partei, die ihn verfolgte, den Richtern den Urteilsspruch ab, der diesen Unglücklichen zum Tode verurteilte.

      Um seine Hinrichtung zu rechtfertigen, musste man diesen Bedauernswerten des abscheulichsten Verbrechens anklagen, das es überhaupt gab. Der sehr minderwertige Minderbruder Mersenne hat den Wahnsinn so weit getrieben, drucken zu lassen, dass Vanini Neapel mit zwölf seiner Jünger verlassen habe, um alle Völker zum Atheismus zu bekehren. Wie erbärmlich! Wovon hätte denn ein armer Priester zwölf Männern ihren Lohn zahlen sollen? Wie hätte er zwölf Neapolitaner dazu überreden sollen, mit hohem Kostenaufwand umherzureisen, um überall diese abscheuliche und empörende Lehre unter Einsatz ihres Lebens zu verbreiten? Wäre denn ein König mächtig genug, um zwölf Prediger des Atheismus zu bezahlen? Vor Pater Mersenne hatte niemand solch einen haarsträubenden Unsinn geäußert. Aber danach hat man es ihm nachgebetet, die Zeitungen und die historischen Lexika damit verpestet; und die Welt, die nichts so sehr liebt wie das Ungewöhnliche, hat dieses Ammenmärchen ungeprüft geglaubt.

      Bayle höchstselbst spricht in seinen Pensées diverses von Vanini als einem Atheisten: Er bedient sich dieses Beispiels,


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