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Repression und Rebellion. Karim El-GawharyЧитать онлайн книгу.

Repression und Rebellion - Karim El-Gawhary


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ihrer politischen Unreife, einem Erbe von 30 Jahren Mubarak, in denen die Opposition keinerlei Spielraum hatte, Politik zu machen und zu lernen, machten alle Seiten in dieser entscheidenden Zeit des demokratischen Übergangs riesige Fehler.

      Um ihre demokratische Legitimität zu behalten, hätten die Muslimbrüder ihre konservativen Islamvorstellungen auflockern können und Liberale und Linke hätten zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie Ägypten nicht über Nacht in ein säkulares Land verwandeln können, sondern die konservative ägyptische Gesellschaft dort abholen müssen, wo sie sich befand. Und alle Seiten hätten sich ernsthaft des Themas annehmen müssen, das der Mehrheit der Ägypter auf den Nägeln brannte und brennt: der sozialen Frage.

      Langer Rede kurzer Sinn: Alle Seiten hätten über ihren Schatten springen müssen. Getan hat das am Ende keine. Die Muslimbrüder wählten die zweite Option: Sie glaubten, ihren eigenen konservativen Kurs, auch mithilfe der erzkonservativen radikalislamischen Salafisten, weiterfahren und ihre Agenda durchsetzen zu können. Und die meisten Liberalen und Linken schossen sich auf die Muslimbruderschaft ein und vergaßen dabei, dass das alte System noch lange nicht aus dem Weg geräumt war. Das Land, das den Sturz des Diktators zuvor noch enthusiastisch gemeinsam gefeiert hatte, fand sich in einer tiefen Polarisierung wieder. Es war eine Zeit, in der die Ägypter praktisch zusahen, wie sich auf einer eingleisigen Strecke zwei Züge entgegenkommen. Wenn niemand die Bremsen zog, war es nur eine Frage der Zeit, bis es krachen würde.

       Das Gegenbeispiel Tunesien

      Auch aus den ersten Wahlen in Tunesien ging die islamistische Ennahda-Partei als der große Sieger hervor. In Europa und bei den Säkularen in der arabischen Welt ging die Angst um, dass nach Ägypten nun ein zweites arabisches Land infolge des Aufstandes in die Hände der Islamisten fällt. Demokratisch gewählt, war Ennahda jetzt zwar die größte, aber nicht die einzige Partei, die nun in der verfassunggebenden Versammlung am neuen Grundgesetz Tunesiens arbeiten konnte.

      Dabei ließen die Tunesier erst einmal die Moschee im Dorf. Denn wenn die erste tunesische Wahl irgendetwas gezeigt hatte, dann, dass beide, die Islamisten in Form einer Partei und die Liberalen in Form von mehreren Parteien, zwei wichtige Strömungen in diesem Land darstellten, die einander nicht ignorieren konnten. Vorgezeichnet war aber dennoch ein ausgiebiger Streit über die Rolle von Religion und Staat in der Verfassung. Schließlich war es das erste Mal, dass sich beide gesellschaftlich relevanten Seiten in einer Demokratie offen mit dieser Frage auseinandersetzen mussten – ohne einen Diktator, der die Richtung vorgibt. Dabei waren die Islamisten der Ennahda-Partei keine Taliban, sondern eine relativ moderate islamistische Bewegung, die die Gesellschaft nicht mit militanten Mitteln, sondern über den Weg durch die Institutionen nach ihren konservativen Vorstellungen verändern wollten, und sie schlugen auch nach den Wahlen keine polarisierenden Töne an. Ihr Spielraum war ohnehin begrenzt. Die tunesischen Frauen waren und sind selbstbewusst und präsent genug, um sich ihre Rechte nicht einfach wieder wegnehmen zu lassen. Ausländische Investitionen und der Fremdenverkehr, von dem so viele Arbeitsplätze im Land abhängen, gaben den Islamisten nicht die Möglichkeit, selbst wenn sie gewollt hätten, einen islamistisch geprägten Staat in Tunesien zu gründen. Etwas, das übrigens langfristig auch für die Muslimbrüder in Ägypten gegolten hätte. Ennahda bildete 2011 zunächst eine Regierungskoalition mit zwei kleineren säkularen Parteien. Das reichte vorerst, um das Land nicht, wie Ägypten, entgleisen zu lassen.

       Ägypten: Das Militär kehrt zurück an die Macht

      Ägypten wurde indes durch die Polarisierung zwischen Muslimbrüdern auf der einen und Liberalen und Säkularen auf der anderen Seite immer unregierbarer. Nach einem Jahr Herrschaft der Muslimbrüder wurde immer deutlicher, dass das Land nicht von diesen alleine regiert werden kann, diese Lektion hatten die Ägypter gelernt. Doch die tunesische Lektion, dass das Land auch nicht ohne Islamisten regiert werden kann, die wollten sie nicht lernen. Beide Seiten standen einander unversöhnlich gegenüber. Der Ton wurde immer schärfer. Viele derjenigen, die gegen Mursi auf die Straße gingen, riefen dazu auf, die Muslimbrüder „fertigzumachen“. Und hier ging es nicht um ein paar Tausend Menschen: Millionen Ägypter sollten fertiggemacht werden.

      Während sich auf den Straßen der Ärger über die Muslimbruderschaft in Massendemonstrationen entlud, in denen der Rücktritt von Präsident Mursi gefordert wurde, mobilisierten die Muslimbrüder wiederum ihre Anhänger unter dem Slogan der demokratischen Legitimität Mursis als ägyptisches Staatsoberhaupt. Und in all dieser Zeit plante das Militär im Hintergrund bereits die Machtübernahme. In ägyptischen Talkshows wurde bereits offen über ein Datum diskutiert, wann das der Fall sein könnte.

      Am 30. Juni 2013 wurde dann das Ende Mursis eingeläutet. Es kam zu Massenprotesten gegen die Muslimbrüder, mit dem Tahrir-Platz als deren Zentrum. Dort hatten sich alle Gegner der Muslimbrüder versammelt. Es herrschte ein regelrechter Anti-Mursi-Rausch. Doch auch bei dieser ganz großen Anti-Muslimbruder-Koalition, die da auf dem Platz stand, waren die politischen Widersprüche der Post-Mursi-Zeit schon angelegt. Die Demonstranten einte einzig ihr Protest gegen die Muslimbruderschaft – über die Zukunft Ägyptens hingegen gingen ihre Vorstellungen weit auseinander.

      Da standen zum einen jene auf dem Platz, die Mubarak Anfang 2011 gestürzt hatten, junge Tahrir-Aktivisten, Linke, Vertreter der Zivilgesellschaft. Sie hatten beim Sturz Mubaraks den Blutzoll gezahlt. Neben ihnen war die „Sofa-Partei“ zahlreich auf dem Platz vertreten: jene Ägypter, die sich den arabischen Wandel bisher nur im Fernsehen angeschaut, sich aber nicht an ihm beteiligt hatten, und von denen nach einem Jahr Amtszeit Mursis immer wieder der Satz zu hören war: „Unter Mubarak war es doch besser.“

      Und dann gab es da noch die alten Mubarak-Seilschaften zu sehen. Deren Vertreter hofften nun, durch die Hintertür wieder in das politische System zu kommen, nicht zu vergessen die Männer des Sicherheitsapparats, die sich nichts sehnlicher wünschten, als rehabilitiert zu werden, natürlich ohne ihren Unterdrückungsapparat reformieren zu müssen. Mit anderen Worten: Revolution und Konterrevolution feierten geeint in ihrer Ablehnung Muhammad Mursis und der Muslimbruderschaft. Und das eigentliche Zepter lag in den Händen des Militärs, das seine eigenen Interessen und Privilegien im Auge hatte.

      Am 3. Juli 2013 verkündete Ägyptens Militärchef Abdel Fattah El-Sisi dann die Verhaftung Mursis und die Machtübernahme durch das Militär. Über Nacht hatte sich auch der Fokus der nationalen Debatte verändert. Statt über die Frage zu debattieren, wie viel Religion die Politik verträgt, stritt man nun wieder darüber, wie viel Neues und wie viele Reformen in dem Land am Nil durchgesetzt werden können. Das erinnerte ein wenig an den Ausgangspunkt der Revolution – alles begann von vorn, nur ohne die Muslimbrüder. Die gingen direkt ins Gefängnis, jedenfalls zunächst die Führungskader.

      Die saßen nun zum Teil in den gleichen Gefängnissen wie die Vertreter des alten Regimes, allen voran Mubarak. Wie die ägyptische Justiz mit den neuen und den schon etwas länger Inhaftierten umging, war symptomatisch. Gegen die Vertreter des alten Regimes wurden oft Verfahren im Schongang geführt, an deren Ende sie meist freigelassen wurden – die korruptesten unter ihnen mit einer Ablasszahlung –, während die obersten Kader der Muslimbruderschaft von einem Verfahren zum nächsten getrieben wurden und in den Gefängnissen verrotteten.

       Das ägyptische Tiananmen

      Die Anhänger der Muslimbruderschaft bäumten sich noch ein letztes Mal auf. Sie richteten mehrere Protestlager ein. Das größte lag auf dem Rabaa-Al-Adawiya-Platz im Osten Kairos. Am 14. August 2013 begannen Militär und Polizei mit der blutigen Räumung des Platzes. Ich stand damals mit dem ORF-Team an einer der zum Rabaa-Platz benachbarten Kreuzungen. Wir diskutierten mit einem Team von Sky News, unter anderem mit dessen Kameramann Mick Deane, welche Straßen noch sicher seien, um zum Platz zu gelangen, und welche auch für Journalisten zu gefährlich. Wir blieben stehen, das Sky-News-Team zog weiter. Kurz darauf wurde Deane erschossen. Dessen Kollege Craig Summers stand direkt neben ihm, als das geschah. Deane sei mit Absicht ausgesucht und erschossen worden, ist dessen Überzeugung. „Ich weiß nicht, warum sie ihn erschossen haben, die einzigen Menschen um uns herum waren


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