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Ruf der Wildnis. Jack LondonЧитать онлайн книгу.

Ruf der Wildnis - Jack London


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       Ruf der Wildnis

       Jack London

      Inhaltsverzeichnis

       Kapitel 1. In die Wildnis

       Kapitel 2. Das Recht des Stärkeren

       Kapitel 3. Das wilde Tier

       Kapitel 4. Der Sieger

       Kapitel 5. Die Schrecken des langen Pfades

       Kapitel 6. Um die Liebe eines Menschen

       Kapitel 7. Der Ruf ertönt

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      Kapitel 1. In die Wildnis

      Buck las keine Zeitung, sonst hätte er gewußt, daß sich Unheil zusammenbraute, nicht nur für ihn selbst, sondern für jeden Hund, der starke Muskeln und langes, dichtes Haar hatte. Die Menschen hatten sich in die arktische Dunkelheit vorgewagt und ein gelbes Metall gefunden; und seitdem Schiffs-und Eisenbahngesellschaften begannen, auch diese öden Gegenden zu erschließen, zog es Tausende von Männern in das Nordland. Und diese Männer brauchten Hunde, Hunde mit kräftigen Knochen und dichtem Haar, die auch bei der bittersten Kälte den größten Anstrengungen gewachsen waren.

      Bucks Heimat war ein großes Haus im sonnendurchfluteten Tal von Santa Clara. Es lag ein wenig abseits der Straße, halb versteckt unter Bäumen, durch die man die luftige Veranda sehen konnte, die rings um das stattliche Haus lief. Zwischen grünen Rasenflächen führte ein kiesbestreuter Weg gerade darauf zu. Hinter dem Haus lagen die weinumrankten Wohnungen der Dienerschaft, die Wirtschaftsgebäude und große Pferdestallungen, langgestreckte Laubengänge, Obstgärten und daran anschließend ausgedehnte Weideplätze. Es gab eine Pumpanlage für den Springbrunnen und ein großes Wasserbecken, in dem die Söhne des Farmers ihr Morgenbad nahmen oder sich an heißen Nachmittagen abkühlten.

      Und über dieses große Reich herrschte Buck. Hier wurde er geboren, und hier verbrachte er die ersten vier Jahre seines Lebens. Freilich, es gab auf Millers Farm noch andere Hunde, wie es sich für einen so großzügigen Betrieb schickte, aber sie zählten nicht viel. Sie kamen und gingen, bevölkerten die Zwinger oder hielten sich im Haus auf, wie Toot, der dicke japanische Mops, oder Bella, der winzigkleine mexikanische Pinscher, seltsame Wesen, die kaum ihre Nasen zur Tür heraussteckten. Miller besaß auch noch etwa zwanzig Terrier, eine freche Gesellschaft, die drohend kläffte, sobald sie Toot und Bella am Fenster erblickte. Sie trieben es manchmal so arg, daß die Dienstmädchen sich mit Besenstielen bewaffneten und eingriffen, um Ordnung zu schaffen.

      Buck aber war weder ein Haus-noch ein Kettenhund. Er war der Herr des ganzen Reiches. Er schwamm mit den Söhnen des Pflanzers im Wasserbecken oder ging mit ihnen auf die Jagd. Er begleitete Mollie und Alice, die beiden Töchter, auf ihren langen Streifzügen, und an den Winterabenden lag er zu Millers Füßen vor dem lodernden Kaminfeuer der Bibliothek. Er ließ die Enkelkinder auf seinem breiten Rücken reiten, balgte sich mit ihnen im Gras herum oder behütete ihre Schritte auf den Entdeckungsreisen durch die Ställe, den Park und die Obstgärten. Mit den Allüren eines Königs schritt er durch die Meute der anderen Hunde, und die beiden Schoßhündchen beachtete er überhaupt nicht, er, der Herrscher über alles.

      Schon sein Vater Elmo, ein riesiger Bernhardiner, war der unzertrennliche Gefährte seines Herrn gewesen, und Buck versprach, seinem Vater in allen Dingen nachzugeraten. So groß wie er war er freilich nicht – er wog nur hundertvierzig Pfund –, denn seine Mutter war eine schottische Schäferhündin gewesen. Aber sein stolzes, würdevolles Benehmen glich die fehlende Größe aus, und wenn er so mit erhobenem Haupt herumstolzierte, war jeder Zoll an ihm adelig.

      Und in der Tat, die ersten vier Jahre seines Lebens verbrachte er wie ein Edelmann. Trotzdem wurde aus ihm kein verzärtelter Haushund, dafür sorgten die Jagd und andere Spiele im Freien, die ihn nicht nur davor bewahrten, Fett anzusetzen, sondern ihm auch zu kräftigen Muskeln verhalfen.

      So war die Lage, als im Herbst des Jahres 1897 die großen Goldfunde in Klondike Männer aus allen Ländern der Welt nach dem Norden lockten. Da aber Buck, wie gesagt, keine Zeitung las, so erfuhr er von alldem nicht das geringste. Leider wußte er auch nicht, daß Manuel, der Gärtnergehilfe, keine sehr wünschenswerte Bekanntschaft für ihn war. Manuel hatte eine unglückliche Eigenschaft: er spielte. Und da er nach einem bestimmten System spielte, das selten gewann, brauchte er Geld, viel Geld, und sein Lohn als Hilfsgärtner reichte nie aus.

      Ein Abend, an dem sein Herr einer Versammlung beiwohnte und die Söhne die Gründung eines Sportklubs berieten, wurde Buck zum Verhängnis. Niemand hörte, wie Manuel Buck zu sich rief, und kein Mensch bemerkte es, wie er mit ihm über die Felder ging, als wollte er einen kleinen Spaziergang unternehmen. Auch Buck glaubte an nichts anderes. Ebensowenig sah es jemand, daß aus dem Schatten des kleinen Bahnhofsgebäudes ein Mann hervortrat, mit Manuel einige Worte wechselte und ihm Geld in die Hand drückte.

      »Du hättest die Ware gleich anständig verpacken können«, brummte der Mann mürrisch. Manuel zog einen festen Strick aus der Tasche und legte ihn Buck um den Hals.

      »Zieh nur fest an, dann wird ihm der Atem schon ausgehen«, riet Manuel, und der Unbekannte grinste zustimmend.

      Buck hatte alles mit ruhiger Würde über sich ergehen lassen. Recht war es ihm freilich nicht, aber er hatte gelernt, den Menschen zu vertrauen und ihnen Kenntnisse zuzubilligen, die seine eigenen übertrafen. Als jedoch Manuel die Enden des Strickes in die Hände des Fremden legte, knurrte er drohend. Er wollte damit bloß sein Mißfallen zum Ausdruck bringen, weiter nichts. Er wollte nur zeigen, daß er mit fremden Leuten nichts zu tun haben mochte. Doch zu seinem peinlichen Erstaunen schnürte sich der Strick um seinen Hals zusammen und raubte ihm den Atem. Wütend sprang er den Mann an, der aber packte ihn an der Gurgel und warf ihn zu Boden. Buck zerrte verzweifelt an dem Strick, vergebens, immer fester zog sich die Schlinge um seinen Hals zusammen, seine Zunge hing weit heraus, und die mächtige Brust hob und senkte sich keuchend. Nie in seinem Leben war er so niederträchtig behandelt worden, und noch niemals hatte er eine solche Wut gefühlt. Aber seine Kraft ließ nach, und seine Augen wurden glasig. Er sah nicht mehr, daß der Zug kam und anhielt, und er spürte nicht, daß man ihn in den Gepäckwagen warf.

      Als er wieder zu sich kam, fühlte er ein sonderbares Rütteln. Der heisere Pfiff einer Lokomotive sagte ihm, wo er war, denn er hatte schon öfters mit seinem Herrn Reisen unternommen und er kannte auch das Rütteln und Schütteln in einem Gepäckwagen. Buck öffnete langsam seine Augen und sah um sich mit dem zornigen Blick eines geraubten Königs. Der Mann neben ihm griff hastig nach dem Strick, aber Buck war schneller als er. Seine Zähne gruben sich tief in die Hand des Mannes ein und ließen sie erst wieder los, als die Schlinge ihm erneut die Besinnung raubte.

      »Er hat Anfälle!« sagte der Mann und verbarg seine verletzte Hand vor dem Wagenmeister, der durch den Lärm des Kampfes aufmerksam geworden war. »Ich bring’ ihn im Auftrag seines Herrn nach Frisco. Der Narr von einem Hundedoktor dort glaubt, er könne ihn kurieren. Lumpige fünfzig kriege ich dafür neben der Fahrt. Ich würd’s kein zweites Mal machen, nicht für fünfhundert!«

      Er umwickelte seine Hand mit einem schmutzigen Taschentuch und sah mit Bedauern auf seine bis zu den Knien aufgeschlitzte Hose hinab.

      »Wenn nur keine Tollwut daraus wird!« meinte er ängstlich.


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