Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
und stummer Aufmerksamkeit auf etwas, das am Boden lag. Der Priester trat näher und erblickte die Hündin, die gerade warf. Sie lag vor ihrer Hütte. Fünf Junge krochen bereits um die Mutter herum, die sie zärtlich leckte und gerade in dem Augenblick, wo der Pfarrer seinen Kopf über die Köpfe der Kinder hinausreckte, noch ein sechstes Junges zur Welt brachte. Da fing der ganze Schwarm vor Freude an zu schreien und in die Hände zu klatschen: »Da kimmt noch eins! Da kimmt noch eins!« Es war dies eine Belustigung für sie, eine ganz natürliche Belustigung ohne irgendwelche unreine Beimischung. Sie sahen dieser Geburt zu, wie sie Äpfel hätten fallen sehen. Aber der Mann im schwarzen Rocke erbebte vor Entrüstung und verlor völlig den Kopf. Er erhob seinen blauen Regenschirm und schlug damit wütend auf die Kinder ein. Da liefen sie, was sie laufen konnten. Dann wandte seine Wut sich gegen die niedergekommene Hündin. Er schlug bald mit der Rechten, bald mit der Linken auf sie los, und als das Tier, das an der Kette lag und nicht fortlaufen konnte, sich stöhnend wehrte, trampelte er darauf herum und zertrat es mit seinen Füßen – wobei noch ein letztes Junges zur Welt kam; dann gab er ihm mit dem Hacken den Rest. Den blutigen Körper ließ er inmitten der Neugeborenen liegen, die kläglich piepsend herumtapsten und bereits nach den Brüsten der Mutter suchten.
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Eine seiner Gewohnheiten war, lange Ausflüge zu machen; er ging dann mit großen Schritten und wilder Miene durchs Feld. Eines Abends im Mai nun, als er von einem solchen weiten Spaziergang zurückkehrte und das Steilufer entlang ging, um das Dorf zu gewinnen, überfiel ihn ein furchtbarer Guß. Kein Haus war in Sicht, überall nackte Küste, von Wetterströmen zerspült.
Das Meer ging hoch und rollte seine Schaumkämme. Große finstre Wolken zogen vom Horizont heran und verdoppelten den Regen. Der Wind pfiff und heulte und legte die jungen Saaten nieder, schüttelte den triefenden Abbé und presste seinen durchnässten Rock gegen seine Beine, erfüllte seine Ohren mit Sturmgeheul und sein Herz mit trunkener Erregung.
Er riss sich den Hut ab und bot seine Stirn dem Gewitter preis, während er sich allmählich dem Abstieg ins Niederland näherte. Doch da packte ihn ein Windstoß mit solcher Gewalt, dass er nicht mehr weiter kam, und da er plötzlich eine Schafhürde und daneben den Schutzkarren eines Schäfers erblickte, lief er darauf zu, um Unterschlupf zu finden.
Die Hunde, die der Orkan peitschte, schlugen nicht an, als er nahte, und ließen ihn ungehindert an die Hütte, eine Art Hundehütte auf Rädern, wie sie die Schäfer im Sommer von Weide zu Weide mitschleppen.
Über einem Trittbrett öffnete sich die niedrige Tür, sodass man das Stroh darinnen erkennen konnte. Der Priester wollte hineinschlüpfen – als er plötzlich im Dunkel des Raumes ein Liebespärchen gewahrte. Da klappte er den Wetterschirm in jäher Entschlossenheit zu, legte den Riegel davor, spannte sich zwischen die Arme der Schubkarre und legte sich weit vornübergebeugt davor. Er zog wie ein Pferd und rannte, unter seinem feuchten Tuchrock keuchend, dem jähen Steilfall des todbringenden Abhangs entgegen. Das überraschte Liebespaar glaubte wohl, ein Vorübergehender machte sich einen Scherz, und trommelte mit den Fäusten gegen die Wände des Holzhauses.
Als er den Kamm des Abfalls erreicht hatte, ließ er das Wanderhaus fahren, und nun schoss es den schrägen Hang hinunter, in immer schnellerer Fahrt, in rasendem Laufe dahinrollend, bald hochspringend und stolpernd, wie ein Tier, und mit den Armen aufschlagend.
Ein alter Bettler, der in einem Graben hockte, sah es über seinen Kopf hinweg sausen und hörte das entsetzte Geschrei in dem hölzernen Kasten.
Plötzlich prallte es auf, verlor ein Rad, legte sich auf die Seite und begann wie eine Kugel bergab zu rollen, wie ein entwurzeltes Haus vom Gipfel eines Berges herunterrollen würde. Am anderen Rande des untersten Hohlweges sprang es auf und flog in hohem Bogen auf den Kies, wo es wie ein Ei zerplatzte.
Dort hob man die Liebenden auf. Sie waren zerschlagen und zermalmt, alle Glieder gebrochen, aber immer noch eng verschlungen. In ihrer Angst hatten sie die Arme um den Nacken geschlagen, als wäre es aus Liebe geschehen…
Der Pfarrer erlaubte nicht, dass ihre Leichen in die Kirche kamen, auch verweigerte er den Segen an ihren Särgen. Und am Sonntag bei der Predigt sprach er donnernd vom sechsten Gebote Gottes des Herrn und drohte den Liebenden mit rächend erhobenem Arm und geheimnisvoller Miene, indem er ihnen das Beispiel der beiden Unglücklichen vorhielt, die in ihrer Sünde gestorben waren.
Als er die Kirche verließ, nahmen zwei Gendarmen ihn fest. Ein Zollwächter, der im Guckloch gelegen hatte, hatte alles gesehen. Er wurde mit Zuchthaus bestraft.
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Und der Bauer, von dem ich diese Geschichte habe, setzte ernst hinzu:
– Ich habe ihn noch gekannt, Herr, ich selbst. Er war ein strenger Mann und von der Liebe wollte er überhaupt nichts wissen.
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Aus alten Tagen
Meine liebe Colette!
Ich weiß nicht, ob du dich eines Verses aus Sainte-Beuve entsinnst, den wir zusammen gelesen haben, und der sich meinem Gedächtnis fest eingeprägt hat; denn er sagt mir Manches, dieser Vers, und oft hat er mein armes Herz beruhigt, besonders in der letzten Zeit. Er heißt:
»Im selben Haus geboren werden, leben
Und sterben…«
Hier bin ich nun ganz allein in diesem Hause, in dem ich geboren bin, gelebt habe und auch zu sterben gedenke. Es ist nicht alle Tage heiter, aber es ist süß; denn ich bin von Erinnerungen umgeben.
Mein Sohn Henry ist Advokat; er besucht mich jährlich zwei Monate. Jeanne wohnt mit ihrem Manne am anderen Ende Frankreichs; sie besuche ich jeden Herbst. So bin ich denn hier allein, ganz allein, aber vertraute Gegenstände umgeben mich und erzählen mir unausgesetzt von den Meinen, von den Toten wie von den fernen Lebenden.
Ich lese nicht mehr viel, aber ich denke viel, oder besser, ich träume! Freilich nicht in meiner Art von ehedem. Du kennst ja unsere abenteuerlichen Grillen, unsere Pläne, die wir schmiedeten, als wir zwanzig Jahre alt waren, all die glücklichen Aussichten, die sich uns eröffneten!
Von alledem ist nichts in Erfüllung gegangen, oder vielmehr, es ist alles anders gekommen, weniger süß und poetisch, aber doch zufriedenstellend, wenn man sein Schicksal zu nehmen weiß.
Denn weißt du, warum wir Frauen so oft unglücklich sind? Weil man uns in der Jugend zu viel an das Glück glauben lehrte. Wir sind nicht mit dem Gedanken erzogen worden, dass der Mensch zu kämpfen, zu harren