Das Dekameron. Джованни БоккаччоЧитать онлайн книгу.
und ihren harten Vorsatz kundgetan hatte, weinte Currado vor Mitleid, denn er hatte Arrighetto Capece sehr gut gekannt. Dann suchte er sie mit vielen Worten von einem so grausamen Entschluß abzubringen. Er bot ihr an, sie in ihre Heimat zurückzuführen oder bei sich aufzunehmen, wo sie wie eine Schwester geehrt werden und so lange verweilen solle, bis Gott ihr ein günstigeres Schicksal bereiten werde. Da die Dame diesem Anerbieten nicht nachgab, ließ Currado sie mit seiner Gattin allein und trug dieser auf, sie solle etwas zu essen bringen lassen, die Fremde, die ganz zerlumpt war, in eines ihrer Gewänder kleiden und alles aufbieten, daß sie mit ihnen komme.
Die Edelfrau ließ, nachdem sie noch lange mit Frau Beritola über deren trauriges Geschick geweint hatte, Kleider und Speisen herbeiholen und brachte jene nur mit der größten Mühe dahin, die einen anzunehmen und die andern zu genießen. Endlich bewog sie Frau Beritola, da diese sich weigerte, an einen Ort zu gehen, wo man sie kannte, mit ihnen nach Lunigiana zu reisen. Doch machte Frau Beritola zur Bedingung, daß die beiden Rehlein und deren Mutter, die inzwischen zurückgekommen war und zu nicht geringer Verwunderung der Edelfrau jene geliebkost hatte, sie begleiten dürften. Sobald nun wieder gutes Wetter ward, ging Frau Beritola mit Currado und seiner Gemahlin zu Schiff, und mit ihnen wurden auch das Reh und die beiden Kleinen eingeschifft. Um derentwillen nannte man sie, da die andern ihren wahren Namen nicht kannten, Cavriuola, das ist Reh. Ein günstiger Wind brachte sie schnell zur Mündung der Magra, wo sie ausstiegen und sich nach den Schlössern Currados begaben. Hier lebte dann Frau Beritola in Witwentracht bei Currados Gemahlin wie eine von deren Kammerfrauen, ehrbar, bescheiden und gehorsam, liebte ihre Rehe und sorgte für deren Futter.
Inzwischen waren die Korsaren, die das Schiff in Ponza geraubt und mit allen außer Frau Beritola weggeführt hatten, nach Genua gelangt. Hier war die Beute unter den Eigentümern geteilt worden, und es hatte sich getroffen, daß unter anderen Stücken die Amme der Frau Beritola mit den beiden Kindern einem Herrn Gasparrin d’Oria zugefallen war. Dieser schickte Amme und Kinder in sein Haus, um sie als geringe Diener zu den täglichen Geschäften zu verwenden. Lange weinte die Amme, ebenso über den Verlust ihrer Gebieterin wie über das traurige Los betrübt, zu dem sie mit den beiden Kindern verurteilt war. Endlich sah sie jedoch ein, daß ihre Tränen zu nichts führten, daß sie Magd war und jene Knechte wären und blieben. Ungeachtet ihrer Armut war sie besonnen und verständig, und nachdem sie sich beruhigt hatte, so gut sie es vermochte, überlegte sie, daß den beiden Kindern in dieser Lage ihr Name, wenn er bekannt würde, leicht einmal nachteilig werden könne. Außerdem gab sie die Hoffnung nicht auf, ihr Schicksal werde sich irgendwann einmal ändern, und die Knaben könnten, wenn sie nur am Leben blieben, ihre alte Stellung wiedergewinnen. Aus diesen Gründen beschloß sie, niemand zu offenbaren, wer sie seien, bis eine günstigere Zeit käme. Demzufolge sagte sie allen, von denen sie darum befragt ward, es seien ihre Kinder, und nannte den älteren nicht Giuffredi, sondern Giannotto von Procida, dem jüngeren dagegen glaubte sie seinen Taufnamen lassen zu dürfen. Ferner machte sie dem Giuffredi mit großer Sorgfalt begreiflich, warum sie ihn anders genannt habe und welchen Gefahren er ausgesetzt sein könne, wenn er erkannt würde. Sie begnügte sich nicht, ihm dies einmal zu sagen, sondern schärfte ihm dieselben Lehren oft und vielmals ein. Auch fehlte es dem Kinde nicht an Fassungskraft, und es befolgte genau die Vorschriften der verständigen Amme. So lebten die beiden Knaben, schlecht gekleidet und noch schlechter beschuht, mit ihrer Amme mehrere Jahre lang geduldig im Hause des Herrn Gasparrin, wo sie zu den geringsten Diensten verwendet wurden.
Als indessen Giannotto sechzehn Jahre alt geworden war und edlere Gesinnungen hegte, als sie einem Diener geziemen, verließ er den Dienst des Herrn Gasparrin und schiffte sich, seiner niedrigen und knechtischen Lage überdrüssig, auf einer Galeere ein, die nach Alexandrien bestimmt war. So besuchte er verschiedene Länder und konnte es darum doch nicht weiter bringen. Drei oder vier Jahre verstrichen, seit er Herrn Gasparrin verlassen hatte, und er wuchs inzwischen zu einem stattlichen und wohlgebildeten Manne heran; auch erfuhr er, sein Vater, den er tot geglaubt hatte, lebe noch im Kerker, von König Karl gefesselt und bewacht. Da gelangte er endlich auf seinen unsteten Irrfahrten, an seinem Glück fast verzweifelnd, nach Lunigiana, und der Zufall wollte es, daß er in den Dienst Currado Malespinas trat und durch sein Geschick und gutes Benehmen sich dessen Zufriedenheit erwarb. Ob er nun gleich seine Mutter, die mit der Gemahlin des Currado zusammen wohnte, einige Male zu sehen bekam, so erkannten beide einander doch nicht, so sehr hatte das Alter beide seit der Zeit, wo sie sich zum letztenmal gesehen hatten, verändert.
Während Giannotto in Currados Diensten stand, kehrte eine Tochter des letzteren mit Namen Spina, die durch den Tod ihres Mannes, eines Niccolo von Grignano, zur Witwe geworden war, in das Haus ihres Vaters zurück. Sie war schön und liebenswürdig und so jung, daß sie wenig über sechzehn Jahre zählte, und da geschah es, daß sowohl sie auf den Giannotto als auch er auf sie ein Auge warf und beide sich auf das glühendste ineinander verliebten. Diese Liebe blieb nicht lange unbefriedigt, und der vertraute Umgang beider hatte bereits mehrere Monate gedauert, ehe jemand etwas davon ahnte. Doch wurden die Liebenden dadurch allzu sicher und benahmen sich unvorsichtiger, als es sich bei solchen Dingen ziemt. So entfernte sich denn eines Tages die junge Witwe mit Giannotto, während man in einem schönen und dicht verwachsenen Gehölz lustwandeln ging, weit von der übrigen Gesellschaft, und als beide den übrigen weit genug vorangeeilt zu sein glaubten, ließen sie sich an einer rings von Bäumen umschlossenen Stelle zwischen Kräutern und Blumen nieder und begannen einander die höchsten Freuden der Liebe zu gewähren. Obgleich sie nun schon eine lange Zeit also geruht hatten, ließ die Lust, die sie empfanden, sie dennoch die Zeit für äußerst kurz halten, und so begab es sich, daß sie zuerst von Spinas Mutter und dann von Currado überrascht wurden.
Tief gekränkt durch das, was er gesehen hatte, ließ Currado, ohne ein Wort zu sagen, die beiden Schuldigen von drei Dienern ergreifen und gebunden auf eine seiner Burgen führen. Von Zorn und Unmut übermannt, hatte er im Sinne, sie eines schmählichen Todes sterben zu lassen. Obgleich auch Spinas Mutter über den Fehltritt ihrer Tochter sehr aufgebracht war, und die grausamste Züchtigung derselben nicht für, zu hart hielt, konnte sie dennoch nicht ertragen, was sie nach einigen Worten Currados als dessen Absicht erriet. So folgte sie denn eilig dem erzürnten Gemahle nach und bat ihn, sich in seinem Alter nicht im Jähzorn zum Mörder seiner Tochter zu machen und seine Hände nicht mit dem Blut eines seiner Diener zu besudeln, sondern seinem Zorn auf andere Art Genüge zu tun, indem er sie zum Beispiel beide gefangensetzen ließe, daß sie im Kerker und im Elend ihren Fehltritt beweinen könnten. Mit diesen und mit vielen anderen Worten redete die fromme Dame ihm so lange zu, daß er den Vorsatz, sie zu töten, fallen ließ und statt dessen befahl, daß sie an verschiedenen Orten eingekerkert, sorgsam bewacht und so lange bei wenig Speise und viel Ungemach gehalten werden sollten, bis er anders über sie verfügte. Was für ein Leben die beiden jungen Leute in der Gefangenschaft unter fortwährenden Tränen und bei längerem Fasten, als ihnen lieb war, führten, kann sich jeder denken.
Während nun Giannotto und Spina so traurige Tage verlebten und schon ein ganzes Jahr vergangen war, ohne daß Currado sich ihrer erbarmt hätte, geschah es, daß König Peter von Aragonien durch Einverständnis mit Herrn Johann von Procida die Insel Sizilien aufwiegelte und dem König Karl entriß, worüber Currado, als eifriger Gibelline, seine Freude durch Festlichkeiten bezeigte. Dadurch erfuhr auch Giannotto von einem der Leute, die ihn zu bewachen hatten, etwas von dem Ereignis, und als er es hörte, seufzte er laut auf und sagte: „Gerechter Gott, nun sind es vierzehn Jahre, daß ich in der Welt umherirre und auf nichts anderes warte als eben darauf, und jetzt, wo es geschehen ist, muß ich im Gefängnis sitzen und darf nicht hoffen, vor meinem Tode wieder herauszukommen.“ „Nun“, sagte der Gefangenenwärter, „was geht es dich denn an, was die großen Könige tun? Was hattest du denn in Sizilien zu schaffen?“ Giannotto erwiderte ihm: „Mir ist, als wollte mein Herz zerspringen, wenn ich daran, denke, was mein Vater dort zu sagen hatte. Denn so klein ich auch noch war, als ich von dort entfliehen mußte, so erinnere ich mich doch noch, gesehen zu haben, wie er zu König Manfreds Zeit über die ganze Insel zu befehlen hatte.“ „Und wer war denn dein Vater?“ entgegnete der Schließer. „Meinen Vater“, sagte jener, „brauche ich jetzt nicht mehr zu verhehlen, da die Gefahr, in die zu kommen ich fürchtete, wenn ich ihn entdeckte, mich nun ohne das betroffen hat. Er hieß und heißt, wenn anders er noch am Leben ist, Arrighetto Capece, und ich nenne mich nicht Giannotto sondern Giuffredi. Es gibt keinen Zweifel,