Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten. Gustav WeilЧитать онлайн книгу.
es zu versuchen.« – »Nein, ich werde es sicher nicht versuchen, ich fürchte, daß Merlin darüber erzürnt.« – »Sire, wenn Ihr also meint, daß Merlin alles weiß, so weiß er sicher auch, was wir jetzt von ihm sprechen, und alsdann kommt er bestimmt, wofern er noch lebt, zum künftigen Fest. Kommt er aber nicht, so bitte ich Euch, Sire, um die Erlaubnis, den Platz besetzen zu dürfen, um Euch von der Lüge zu überzeugen, die er Euch vorgesagt. Ihr werdet dann sehen, daß ich so gut als ein anderer diesen Platz ausfülle.« – »Ich würde es Euch gern erlauben, wenn mir nicht bange wäre, Merlin zu erzürnen.« – »Lebt Merlin, so kommt er sicher noch ehe ich es versuche; kommt er aber nicht, so bitte ich Euch, erteilt mir die Erlaubnis dazu.« Der König gab sie ihm, und der Ritter meinte, etwas Großes mit dieser Erlaubnis erreicht zu haben.
Als nun das Pfingstfest kam, begab der König sich wieder mit allen Edlen, Rittern und dem ganzen Volk nach Kardueil. Merlin wußte sehr genau was vorging, sagte es auch dem Meister Blasius. »Ich werde nicht zur Hofhaltung hingehen«, sagte er, »sondern sie versuchen lassen, was sie wollen, damit sie selber die Wichtigkeit und Würde des leeren Platzes und meiner Worte inne werden. Denn was sie nicht sehen, das glauben sie nicht, und komme ich hin, so meinen sie durch mich gestört zu sein und glauben, ich sei Schuld an dem, was sich ereignen wird. Fünfzehn Tage nach dem Pfingstfest aber will ich zum König gehen.«
Der Ritter, welcher versuchen wollte, sich auf dem leergelassenen Platz zu setzen, sprengte das Gerücht aus, Merlin sei tot, ein Bauer habe ihn im Wald erschlagen, weil er ihn für einen Wilden gehalten. Der König glaubte endlich dem Gerücht, weil Merlin so lange ausblieb; auch hielten die andern dafür, daß er wohl tot sein müsse, weil man sonst dergleichen Proben nicht anstellen dürfe.
Die fünfzig Ritter saßen nunmehr um die Tafel, in Gegenwart einer großen Menge Fürsten, Herren, Damen und Fräulein, als der Ritter kam, der sich auf den leeren Platz setzen wollte, und mit keckem Mut rief: »Ihr Herren, ich komme, um Euch Gesellschaft zu leisten!« Die Ritter an der Tafel antworteten ihm nicht, sondern sahen demütig und still jeder vor sich nieder; auch der König sagte ihm nichts, sondern alle waren erwartungsvoll, was geschehen würde. Der Ritter setzte sich und streckte beide Beine unter die Tafel; in dem Augenblick versank er unter die Erde, wie ein Stück Blei, das ins Wasser fällt und nicht wieder zum Vorschein kommt. Voll Entsetzen sah der König und alles Volk dieses Wunder! Man durchsuchte jeden Fleck unter dem Tisch, aber man fand nicht die mindeste Spur, weder von dem Ritter, noch von der Art, wie er untersank. Der Hof und das ganze Volk geriet in Schrecken, besonders der König war in Leid versenkt, daß er solche Probe zugegeben und sich dazu hatte verführen lassen, da doch Merlin ihm gesagt, der sei noch nicht geboren, dem dieser Platz bestimmt worden.
Am fünfzehnten Tag nach Pfingsten kam Merlin an den Hof, und der König ging ihm entgegen. Merlin machte ihm Vorwürfe wegen dessen, was er hatte geschehen lassen. »Er hat mich betrogen«, entgegnete der König. »So geht es vielen«, antwortete Merlin, »sie meinen andre zu betrügen und betrügen am meisten sich selber. Du siehst nun ein, daß Du betrogen bist, weil Du es siehst; aber warum glaubtest Du ihm? deswegen wurdest Du mit Recht bestraft. Hüte Dich, diesen Versuch nochmals anzustellen oder anstellen zu lassen, denn ich sage Dir, viel Übel würde daraus entstehen. Denn dieser Platz an der Tafel ist von großer Bedeutung; es ist ein würdiger Platz und ein hohes Gut für das ganze Königreich.«
Der König fragte ihn nachher, ob er ihm nicht sagen könne, was aus dem Ritter geworden und wo er hingekommen sei. »Darum bekümmere Dich nicht«, antwortete Merlin, »es geht Dich nichts an, und Du wirst um nichts besser, wenn Du es weißt. Laß es nur Deine Sorge sein, die, welche an der Tafel sitzen, recht zu ehren und hochzuhalten, wie auch die vier Feste jährlich dort zu feiern und alles so zu halten und nichts zu verändern, wie ich es eingesetzt habe.« Der König versprach ihm, von nun an alles unverrückt zu erhalten bis an seinen Tod. Darauf nahm Merlin wieder von ihm Abschied und ging zum Meister Blasius zurück.
XXII. Wie sich Uterpendragon in Yguerne verliebte und ihr durch ihren eigenen Mann einen Becher senden ließ
Der König ließ rings um Kardueil viele schöne Häuser bauen, ließ dann in seinem ganzen Reich bekannt machen, wie er die vier Feste, nämlich Weihnachten, Ostern, Pfingsten und den Allerheiligen Tag, mit seiner Hofhaltung immer in Kardueil sein würde. Auch sollte sich ein jeder zu der Zeit dort einfinden, und ihm zu Liebe sollte jeder Baron und jeder Herr seine Gemahlin und seine Fräulein mitbringen nach Kardueil, allwo der König ihnen jedesmal Feste geben wolle.
Am nächsten Weihnachtsfest kamen nun die Gemahlinnen, die Damen und Fräulein mit den Rittern und Baronen. Wer ohne seine Gemahlin kam, war nicht gut angesehen, und so brachten die, welche nicht verheiratet waren, ihre Liebste mit. Es kamen ihrer so viele an den Tag, daß man nicht sagen kann, wie stark ihre Anzahl war; und wir können nur vorzugsweise von denen reden, welche sich am meisten hervortaten. Dies war ein Herzog von Tintayol (Tintagel) und seine Gemahlin, mit Namen Yguerne (Igerne). Nach der gebenedeiten Jungfrau Maria ward nie eine Christin holdseliger und schöner geboren als Yguerne. Als der König sie zuerst erblickte, wurde er so entzückt von ihrer Schönheit, daß er alle Fassung verlor; die Dame merkte dieses wohl, tat aber, als sähe sie es nicht. Da sie aber gewahr wurde, daß der König immer sie ansah und seine Augen gar nicht von ihr wandte, zog sie sich zurück und vermied die Gegenwart des Königs, denn sie war eine sehr tugendhafte und ehrsame Dame, bewahrte auch die Ehre ihres Gemahls und war ihm treu. Der König sandte allen anwesenden Damen schöne reiche Geschenke an Schmuck und Kleinodien, und tat es um Yguernes willen, um ihr ein Zeichen senden zu können, das sie nicht ausschlagen dürfe, weil alle Damen von ihm beschenkt worden waren. Ihr gab er einen Schmuck, von dem er wohl wußte, daß sie ihn wünschte; sie mußte ihn annehmen, obgleich sie sehr wohl einsah, daß dies nur um ihretwillen angestellt sei; sie ließ dieses aber nicht merken. Als der Hof nun wieder von Kardueil sich wegbegeben wollte und das Weihnachtsfest geendigt war, bat der König seine Barone und Fürsten des Landes, doch ja zum nächsten Fest ihre Damen wieder mitzubringen, welches sie ihm auch alle zusagten. Er war in Liebe für die Dame Yguerne ganz entbrannt, so daß er seiner Sinne kaum mehr mächtig war; als sie mit ihrem Gemahl, dem Herzog von Tintayol, von ihm Abschied zu nehmen kam, gab er ihnen das Geleit und bezeigte ihnen beiden viel Ehre. Er sah sich dabei einen Augenblick ab, wo er leise zu ihr sagen konnte: »Dame Yguerne, Ihr nehmt mein Herz mit Euch, trüge ich auch das Eurige in meinem!« Dame Yguerne tat aber nicht, als hätte sie dies gehört, und zog mit ihrem Gemahl, ohne zu antworten, fort in das Land des Herzogs.
Große Pein erduldete der König im Herzen, bis das Osterfest herankam, wo alles sich wieder zu Kardueil versammelte, und er sie wieder erblickte. Gott weiß, wie groß da sein Entzücken war; er ließ sie und den Herzog, ihren Gemahl, an seiner Tafel essen und saß zwischen ihnen beiden; auf alle Worte, die er ihr aber zuflüsterte, und wie sehr er ihr auch seine Liebe schwor, gab sie ihm doch nie eine Antwort, obgleich sie alle seine Worte sehr wohl verstand, sondern reiste mit ihrem Gemahl wieder fort.
Endlich konnte der König seine Liebespein nicht länger verhehlen, sondern entdeckte sie zweien seiner Günstlinge und fragte sie um Rat, wie er es anfangen müsse, sich Yguernes zu erfreuen und ihr seine Liebe zu klagen, da er sonst vor Leid vergehen müsse. Der König, sagten jene, gebe ein großes Fest zu Kardueil und lasse bekannt machen, daß ein jeder sich dahin begebe, weil es ein großes Fest sei und der König seine Krone tragen und auf dem Thron sitzen würde; auch, daß ein jeder sich auf einen Monat oder sechs Wochen mit allem Notwendigen versehen müsse, weil das Fest so lange dauern solle: »Auf diese Weise habt Ihr dann Zeit, mit der schönen Yguerne so viel zusammen zu sein, als es Euch beliebt.« Der Rat gefiel dem König wohl, und er tat so. Auf den bestimmten Tag kam alles in Kardueil zusammen, und jeder von den Herren kam mit seinen Damen und Gefolge, auch der Herzog von Tintayol mit Dame Yguerne, worüber der König im Herzen sich erfreute, wieder fröhlich wurde, aß und trank. Nach einigen Tagen wurde er wieder traurig und sagte endlich zu einem seiner Vertrauten, namens Ulsius: »Die Liebe tötet mich, ich sterbe für Yguerne, es ist kein Leben für mich, wenn ich sie nicht sehe; und erhört sie mich nicht, muß ich sterben.« – »Sire«, erwiderte Ulsius, »wollt Ihr um einer Frau willen